GEO.de: Je älter wir werden, desto mehr blicken wir zurück. Manche Menschen bereuen es, wie die Dinge gelaufen sind. Oder sie trauern hinterher, dass etwas nicht geklappt hat. Wie kann man falsche Entscheidungen und geplatzte Träume loslassen?
Bärbel Wardetzki: Alles, was wir tun, hat einen Sinn. Der Hintergrund von Bedauern ist meist, dass ein Wunsch unerfüllt geblieben ist. Deswegen kann es der Person etwas bringen, dass sie daran festhält.
Das ist doch schmerzhaft. Was soll das bringen?
Wer über frühere Entscheidungen grübelt, sollte sich fragen: Welcher Teil in mir bereut bestimmte Dinge? Und warum? Wenn ich das hinterfrage, komme ich auf bestimmte Bedürfnisse. Wenn ich die kenne, kann ich schauen, was ich mir davon noch erfüllen kann – und was nicht.
Traum geplatzt? Wer nichts bereuen will, sollte sich seine Bedürfnisse erfüllen
Was ist mit Wünschen, die nicht mehr zu erfüllen sind – weil es einfach zu spät ist?
Nehmen wir ein Paar, das keine Kinder mehr bekommen kann. Die bereuen es, nicht früher gestartet zu haben. Ihr Bedürfnis ist klar: Ein Teil von ihnen hätte gerne ein Kind. Das ist völlig in Ordnung, das Bedauern sollte man annehmen. Doch es ist jetzt leider zu spät. Also muss man sehen, wie man damit seinen Frieden finden kann.
Wie kann das funktionieren?
Vielleicht kann man anders sein Bedürfnis zu stillen. Etwa, indem man Patentante- oder Patenonkel wird. Oder sich um die Kinder von Freunden kümmert. Oder man stellt fest: So wichtig ist der Wunsch gar nicht mehr für mich. Ich lasse los.
In den 40ern bekommen einige Menschen die bekannte Midlife-Crisis und trauern ihrer Jugend hinterher. Die Jugend kann man, außer mit Botox und Facelift, nicht wiederherstellen. Und selbst das ist nur ein verzweifelter Versuch…
Dann sollte ich mir wieder meine Bedürfnisse ansehen: Was hat die Jugend für mich bedeutet? Was war so besonders, dass ich so an ihr hänge? Das kann das Aussehen sein, aber auch die Lebensweise von damals. Vielleicht trauert man der WG-Zeit hinterher, weil man mit so netten Freunden zusammengelebt hat. Oder alles war friedlich, man hatte weniger Stress. Wenn man dann auf sein Leben heute blickt, kann es sein, dass man merkt: Ich lebe ja ganz anders, als ich es eigentlich möchte! Und dann kann man das ändern.
Job weg: Akzeptanz hilft – und die Überzeugung, dass noch etwas Besseres kommen kann
Viele Menschen sind zufrieden und wollen nur, dass alles so bleibt, wie es ist. Dann verlieren sie ihren Job. Und es kommt die Angst durch: Vielleicht kommt nichts Besseres mehr…
Ich habe als Therapeutin immer wieder Patienten in solchen Situationen gehabt. Die haben ihrem alten Job hinterher getrauert – und dann irgendwann eine neue Stelle gefunden, bei der sie wirklich glücklich waren.
Das klingt aber sehr positiv.
Erst spürt man natürlich Wut, Ärger und Verzweiflung. Das ist alles so ungerecht! Man schimpft auf die Welt und die Kapitalisten. Diese Gefühle sind normal und dauern. Loslassen ist ein Prozess. Der erste Schritt ist Akzeptanz.
Was, wenn man beruflich nicht erreicht, was man wollte?
Auch das muss ich akzeptieren. Das kann ich auch betrauern. Aber dann sollte man Dinge hinnehmen, die nicht mehr zu ändern sind. Darin liegt letztendlich Gelassenheit und Zufriedenheit. Loszulassen und anzunehmen: Es ist so, wie es ist.
Beziehung loslassen: "Irgendwann ist man es leid, zu leiden!"
Aber nur wenn ich etwas akzeptiere, habe ich es ja noch nicht positiv in meinem Kopf bewertet. Ich nehme es hin, ja. Aber glücklich bin ich nicht automatisch…
Das dauert. Nehmen wir das Beispiel, der Partner trennt sich von einem. Dann leidet man erst einmal, und will auch leiden. Wenn dann jemand rät "Lass einfach los!", dann wird man zurecht sauer. Doch irgendwann kommt man an den Punkt, dass man nicht mehr leiden will. Wenn man es leid ist, zu leiden. Die Lösung liegt immer in uns.
Also muss ich meine innere Haltung verändern, damit ich loslassen kann?
Genau. Um loszulassen, muss innerlich die Bereitschaft entstehen: Ich möchte etwas hinter mir lassen, das mich schädigt oder auf Dauer nicht glücklich macht.
"Menschen wollen erstmal das, was sie kennen. Auch, wenn es sie nicht glücklich macht."
Klingt logisch. Warum fällt es dennoch so schwer?
Loslassen kann uns Angst machen. Weil wir dann etwas, das wir kennen, nicht mehr haben. Und Menschen wollen erstmal das, was sie kennen. Auch, wenn es sie nicht glücklich macht. Manche Menschen sind auch misstrauisch, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben.
"Hinterher denkt man oft: Zum Glück hat es damals nicht geklappt!"
Wie können diese Menschen positiv nach vorne blicken? Hilft es, sich eine schöne Zukunft vorzustellen?
Ja. Es ist so, wie es ist. Aber was kann ich ab heute mit meinem Leben machen? Welche Bedürfnisse habe ich, die ich mir ab sofort erfüllen möchte? Wichtig ist es, sich um sich selbst zu kümmern. Wenn es einem selbst gut geht, und man seine Bedürfnisse erfüllt, kann man auch leichter loslassen. Das Ziel ist es, glücklich und zufrieden zu werden.
Warum lohnt es sich, loszulassen?
Weil dort draußen etwas ganz Neues warten kann, was wir noch gar nicht kennen. Viele Menschen haben zu wenig Vertrauen in sich und das Leben. Ja, oft läuft es nicht so, wie wir es eigentlich wollten. Doch hinterher denkt man oft: Zum Glück hat es damals nicht geklappt. Es ist sogar noch etwas Besseres gekommen.
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