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Prognosemodelle Alles purer Zufall? Wie die Chaosforschung unser Weltbild auf den Kopf stellt

Von Tobias Hürter
Staus und Gewitter, Börsenkurse und Lottozahlen: Viele Phänomene entziehen sich ­präzisen ­Vorhersagen. Sie verhalten sich unberechenbar, aber nicht willkürlich. Forschende suchen nach der verborgenen Ordnung im Chaos
Gestrandetes Boot nach dem Tsunami an Japans Ostküste
2011 löste ein Seebeben einen Tsunami aus, der Japans Ostküste verwüstete. Bis heute lassen sich solche Erdstöße nicht verlässlich vorhersagen
© The Asahi Shimbun via Getty Images

An einem Wintertag des Jahres 1961 tippte der Meteorologe Edward Lorenz am MIT in Boston ein paar Zahlen in seinen Computer, der aussah wie eine Waschmaschine mit angeschlossener Schreibmaschine. Dann stand Lorenz auf, um eine Tasse Kaffee zu trinken, und ließ die Vakuumröhren und Dioden rechnen. Als er zurückkam, fiel ihm etwas auf, das die Wissenschaft für immer verändern sollte.

Als einer der ersten Forscher simulierte Lorenz damals das Wettergeschehen per Computer. Sein Modell beruhte auf zwölf Variablen für die Temperatur, die Windgeschwindigkeit und andere Größen. An jenem Tag wiederholte er ­eine Berechnung, die er schon einmal durchgeführt hatte. Zu seiner Überraschung lieferte der Computer diesmal ein völlig anderes Resultat. Dabei hatte Lorenz lediglich eine der Variablen von 0,506127 auf 0,506 gerundet. Was sollte das schon ändern? Der Computer gab ­ohnehin nur drei Stellen hinter dem Komma aus.

Doch tatsächlich hatte der Eingriff einen immensen Effekt, er änderte das Ergebnis der Berechnung radikal. Winzige Ursache, große Wirkung. So ebnete ein simples Abrunden einem Wissenschaftsbereich den Weg, der seither versucht, Ordnung in schwer fassbare, zuweilen rätselhaft erscheinende Vor­gänge zu bringen: die Chaosforschung.

Lorenz' These: Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen Tornado in Texas auslösen

Erschienen in GEOkompakt Nr. 65