Besser rechnen mit Fehlern IBM verkündet Durchbruch in der Quantencomputer-Forschung

Quantencomputer von IBM
Fast jährlich präsentiert IBM neue Quantencomputer, wie hier 2020. Doch bislang hatten sie wenig praktischen Nutzen
© AA+W / Adobe Stock
Konzerne, Start-ups und Universitäten liefern sich ein Wettrennen: Sie wollen endlich einen Quantencomputer bauen, der einen praktischen Nutzen hat. Nun hat die Firma IBM einen ungewöhnlichen Durchbruch verkündet

Seit Jahrzehnten träumen Physikerinnen und Informatiker weltweit von einem Quantencomputer, der Lösungen für die großen Probleme der Menschheit findet. Indem solch eine Maschine die kontraintuitiven Gesetze des Mikrokosmos nutzt, könnte sie Berechnungen absolvieren, die kein moderner Supercomputer bewerkstelligt. Doch trotz großer Fortschritte leisten bisherige Quantencomputer kaum mehr als ein Taschenrechner. Der US-Konzern IBM glaubt, nun die Wende gebracht zu haben: In der Fachzeitschrift "Nature" beschreibt sein Forschungsteam einen Ansatz, wie ihre Quantencomputer schon bald erstmals sinnvolle Aufgaben lösen könnten.

Die Neuigkeit ähnelt einer Nachricht aus dem Jahr 2019. Damals löste Googles Quantencomputer "Sycamore" eine Rechenaufgabe schneller als jeder moderne Supercomputer. Ein Meilenstein. Doch bei genauem Hinsehen entpuppte sich die Rekordmeldung als irreführend: Die Aufgabe war exakt auf die Arbeitsweise des Quantencomputers zugeschnitten gewesen. Einen praktischen Nutzen hatte sie nicht.  

Dabei ist die Geschwindigkeit eh nicht entscheidend: Quantencomputer rechnen grundsätzlich nicht schneller als klassische Computer. Sie rechnen vielmehr anders. Bei manchen mathematischen Fragestellungen bringt das Vorteile, bei anderen nicht. Gibt man beispielsweise eine Reiseroute durch mehrere Städte vor, brauchen beide Typen von Computern gleich viele Rechenschritte, um die Länge der Route zu bestimmen.

Verzwickter ist es jedoch, wenn die Reihenfolge der Städte egal ist und man stattdessen die kürzest mögliche Route zwischen all den Städten sucht. Gängige Computer scheitern daran, ihre Rechenzeit wird exorbitant, sobald die Zahl der Städte steigt. Anders der Quantencomputer: Weil er auf andere Weise nach einer Lösung sucht, soll er selbst bei vielen Städten in akzeptabler Zeit zu einem Ergebnis kommen.

Quantencomputer soll neuartige Stoffe entwickeln

IBM behauptet nun, ihr Quantencomputer "Eagle" könne klassische Computer bei bestimmten sinnvollen Aufgaben überflügeln – oder stehe zumindest kurz davor. In einem Test berechnete "Eagle" das Verhalten eines magnetischen Materials. Wirklich anwendungsnah war auch das nicht, denn das simulierte Material kann es so in der Realität nicht geben. Dennoch entspricht die Aufgabe im Prinzip dem, was Forschende sich in naher Zukunft von Quantencomputern erhoffen: dass diese die Eigenschaften von Materie präzise berechnen, um bekannte Materialien zu optimieren oder neuartige zu erfinden.

Blick unter die Haube: Das Gros der Bauteile eines Quantencomputers dient der Kühlung auf Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt

Quantencomputer Die Jagd nach dem Rechner der Zukunft

Die außergewöhnlichen Fähigkeiten des Allerkleinsten könnten helfen, die großen Probleme der Menschheit zu lösen. Wir müssen nur lernen, sie in einem neuartigen Rechner zu zähmen: in einem Quantencomputer. Doch wie funktionieren sie? Und wozu sind sie gut?

Innovativ war vor allem der Umgang des IBM-Forschungsteams mit den Fehlern seines Rechners. Quantencomputer sind äußerst empfindlich. Kleinste Störungen von außen und innen führen dazu, dass deren Berechnungen falsche Ergebnisse liefern. Das stellt die Wissenschaft vor ein Dilemma. Einerseits müssen die Maschinen immer mehr Recheneinheiten – sogenannte Qubits – besitzen, um relevante Aufgaben lösen zu können. Andererseits werden sie dadurch immer anfälliger für Störungen.

Die zentrale Herausforderung auf dem Weg zum Quantencomputer ist daher, eine funktionierende Fehlerkorrektur zu entwickeln. Derzeit scheitern solche Verfahren an der schieren Menge der Fehler. Bis Quantencomputer zuverlässig arbeiten, dürften noch viele Jahre vergehen.

Zwischenlösung auf dem Weg zum Computer der Zukunft

Damit die Maschinen schon vorher nützliche Dienste leisten können, ging das IBM-Team einen neuen Weg. Statt die Fehler auszumerzen, preisten die Forschenden sie ein. Sie maßen vorab, welchen Störungen jedes einzelne der 127 Qubits von "Eagle" ausgesetzt ist. Abhängig ist das unter anderem von der jeweiligen Position im Quantencomputer und winzigen Unvollkommenheiten in der Produktion. Dann stellte das Team seinem Quantencomputer die eigentliche Aufgabe. Zwar rechnete er nach wie vor fehlerhaft. Doch dank ihres Vorwissens konnten die Entwicklerinnen und Entwickler auf das richtige Ergebnis schließen.

IBM hofft nun, dass Quantencomputer auf diese Weise schon in naher Zukunft ihren Nutzen unter Beweis stellen werden. Allerdings lässt sich der ungewöhnliche Ansatz nicht auf beliebig lange Rechnungen ausweiten. Deshalb sieht ihn auch IBM nur als Zwischenlösung: Langfristig will das Unternehmen ebenfalls Fehler korrigieren, um komplexere Berechnungen auf größeren Maschinen zu ermöglichen. Ziel sei es, auf diese Weise in zehn Jahren einen zuverlässig funktionierenden Quantencomputer mit 100.000 Qubits zu erschaffen.