Umstrittenes Urteil Tierqual für Centbeträge: Warum wir mehr Videos aus Schlachthöfen brauchen

Etwa 34 Millionen Schweine werden jedes Jahr in Deutschland vor der Tötung mit Kohlendioxid betäubt
Etwa 34 Millionen Schweine werden jedes Jahr in Deutschland vor der Tötung mit Kohlendioxid betäubt
© Animal Rights Watch e.V.
Weil Aktivisten in einen Schlachthof einbrachen und die Betäubung von Tieren filmten, wurden sie nun verurteilt. Der Streit zeigt: Es gibt viel zu wenig Öffentlichkeit bei dem Thema

Jedes Jahr sterben in Deutschland 745 Millionen Tiere in Schlachthöfen – zwei Millionen pro Tag. Sehen will das aber niemand. Und auch Schlachthöfe wollen nicht, dass Bilder davon an die Öffentlichkeit gelangen. Erst kürzlich hatte ein Betreiber aus Niedersachsen zwei Aktivisten verklagt, die in seine Anlage eingedrungen waren. Die Filmaufnahmen hatte die Tierrechtsorganisation Animal Rights Watch veröffentlicht. Der Vorwurf des Betreibers: Rufschädigung. Zu sehen ist allerdings nur business as usual: Die ganz normale Betäubung von Mastschweinen mit Kohlendioxid.

Dabei werden die Tiere in kleinen Gruppen in einen Metallkäfig getrieben, die sogenannte Gondel, mit der sie wie in einem Paternoster mehrere Meter in die Tiefe fahren. Unten erwartet sie Kohlendioxid – das Gas ist schwerer als die normale Atemluft – mit einer Konzentration von mindestens 80 Prozent. Nach anderthalb Minuten fahren die betäubten Tiere wieder nach oben, werden an einem Bein aufgehängt und abgestochen. Rund 34 Millionen Schweine werden jedes Jahr in deutschen Schlachthöfen mit dieser Methode betäubt. Trotzdem wollte der betroffene Schlachthof die Bilder nicht im Fernsehen sehen. Und bot den Aktivisten an, auf Schadenersatzforderungen in Höhe von fast 100.000 Euro zu verzichten, wenn sie die Aufnahmen zurückzögen. Warum, wenn doch nichts Verbotenes zu sehen ist?

Die Antwort liegt auf der Hand: Weil die Fleischbranche sich um die Akzeptanz der Verbraucherinnen und Verbraucher sorgt. Und die leidet nun mal immer dann, wenn öffentlich wird, wie es den Tieren in der Mast und im Schlachthof wirklich geht. Im konkreten Fall kommt noch hinzu, dass die Betäubung von Schweinen mit Kohlendioxid zwar üblich und legal ist – aber auch umstritten. Und das schon seit Jahren.

Die Betäubung mit Kohlendioxid ist seit Langem umstritten

Die Videos zeigen, wie die Tiere in den verdreckten Metallkäfigen nicht etwa friedlich einschlafen: Sie spüren, dass etwas nicht stimmt, werden unruhig. Die Angst steigert sich zur Panik, die Schweine schreien, schnappen nach Luft, versuchen, der Gondel zu entkommen. Es ist lange bekannt, dass die Betäubung mit Kohlendioxid für die Tiere quälend ist. Das Gas reizt die Schleimhäute, erzeugt ein Erstickungsgefühl. Bis zu eine halbe Minute dauert es, bis die Tiere das Bewusstsein verlieren. Die Fleischbranche ist offenbar der Meinung, das könne man den Schweinen zumuten.

Schweine in der Kohlendioxid-Gondel: Die Betäubung mit dem Gas verstößt nach einer Stellungnahme der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT) gegen deutsches und europäisches Tierschutzrecht
Schweine in der Kohlendioxid-Gondel: Die Betäubung mit dem Gas verstößt nach einer Stellungnahme der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT) gegen deutsches und europäisches Tierschutzrecht
© Animal Rights Watch e.V.

Dabei wäre es auch ohne Umbauten möglich, andere, schonendere Gase einzusetzen, zum Beispiel Argon. Doch das Gas ist teurer und die Betäubung dauert einige Sekunden länger. Das zieht in einem industrialisierten Tötungsprozess Mehrkosten nach sich: etwa einen Cent pro Kilogramm Fleisch. Kosten, die offenbar niemand der Tierindustrie und den Konsumentinnen und Konsumenten zuzumuten bereit ist. Nicht nur in Deutschland. Auch auf EU-Ebene weiß man zwar um die Tierschutzprobleme der CO2-Betäubung, hält eine Kostensteigerung durch alternative Gase aber für "wirtschaftlich nicht tragbar".

Das Urteil des Landgerichts Oldenburg ist noch nicht rechtskräftig – die Aktivisten haben Berufung angekündigt. Statt dem Schlachthof eine "Rufschädigung" zu beglaubigen, sollten nachfolgende Instanzen das Recht der Öffentlichkeit auf Transparenz würdigen. Gerade weil solche Videos den normalen Betäubungsprozess zeigen, gehören sie flankierend zu einer öffentlichen Debatte. Darüber, was wir hochsensiblen Tieren zumuten. Für einen Cent pro Kilo.