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Grenze im Niemandsland Das Land retten oder sich selbst? Ein Treffen mit Ukrainern auf Fahnenflucht nach Rumänien

Text: Quentin Lichtblau
Sie wollen nicht an der Front sterben – und setzen ihr Leben aufs Spiel, um in den Westen zu gelangen: Tausende kampftaugliche Ukrainer versuchen, über den Fluss Theiß nach Rumänien zu flüchten. Ein Besuch an der Grenze im Niemandsland
Die ufer des Flusses sind mit Schnee bedeckt
Ein Fluss, zwei Seiten: Etwa 60 Kilometer weit verläuft die Theiß entlang der Grenze zwischen der Ukraine und Rumänien. Schon zu Zeiten der Sowjetunion versuchten hier Menschen, in den Westen zu gelangen
© Ioana Moldovan

Am dritten Tag in den Bergen verlor Andrei (alle Namen geändert) die Hoffnung. "Ich glaube wir schaffen es nicht", sagte er zu seiner Frau, als sein Smartphone einen Moment lang Empfang hatte. Sie hatten das Aprilwetter unterschätzt, in den Karpaten herrschten zweistellige Minusgrade, der Schnee lag meterhoch, ohne Schneeschuhe kaum zu bewältigen. 

Andrei und die anderen Männer waren in Alltagskleidung unterwegs, nicht einmal Skihosen trugen sie. Die Nächte hatten sie in Schneelöchern verbracht, Essen und Wasser waren längst aufgebraucht, die Orientierung hatten sie verloren. Andreis Frau antwortete: "Red keinen Unsinn! Steh auf und geh weiter. Wir brauchen dich!" Ein Mann aus Andreis Gruppe war bereits am Morgen auf eigene Faust aufgebrochen. Sie suchten nach ihm, folgten einer Blutspur im Schnee, er musste gestürzt sein. Als sie ihn fanden, war er erfroren.

Erschienen in GEO 06/24