Wertvolle Bronze-Statuen, Münzen, Goldschmuck, Amphoren und filigrane Glasphiolen aus dem 1. Jahrhundert vor Christus - als Archäologen im Sommer 1901 die wertvollen Funde aus dem Wrack eines römischen Handelsschiffes bergen, das um 70 vor Christus völlig überladen vor der Insel Antikythera in einem Sturm versank, ahnt niemand, dass der eigentliche Schatz ein unscheinbarer verrosteter Kasten ist.
Keiner weiß etwas anzufangen mit dem merkwürdigen Apparat und seinen vom Salzwasser zerfressenen Zahnrädern, Zeigern und Platten. Jahrzehntelang beachtet niemand den unscheinbaren Fund, an dessen Seiten die uralten Inschriften in Altgriechisch bereits verblassen.
Antikythera-Mechanismus gibt zahlreiche Rätsel auf
Erst bei näherem Hinsehen in den 1960er Jahren, als der englische Physiker und Wissenschaftshistoriker Derek de Solla Price den Mechanismus in die Finger bekam, entpuppte sich das Gerät als eine Art analoger Rechner – manche bezeichnen ihn heute sogar als den ältesten Computer der Welt. Lange Zeit rätselten Forscher, wie der sogenannte "Antikythera-Mechanismus" funktioniert haben könnte.
Über Jahre studierten viele Wissenschaftler den Apparat, entzifferten und übersetzten die Inschriften, durchleuchteten das Gerät mit Röntgenstrahlen und versuchten, die mutmaßlich fehlenden Teile des Jahrtausende Jahre alten Rechners zu ergänzen, um so den Mechanismus vollständig rekonstruieren zu können und seiner Funktion auf die Schliche zu kommen.

Das Gerät erwies sich schon bald als eine sehr komplexe astronomische Uhr, die dazu diente, Kalenderdaten sowie besondere Konstellationen von Sonne und Mond - zum Beispiel Himmelsereignisse wie Sonnen- und Mondfinsternisse - vorauszusagen. Außerdem ließen sich an den Skalen der Uhr die babylonischen Tierkreiszeichen und der Olympia-Zyklus sowie die Zyklen der fünf in der Antike bekannten Planeten ablesen.
Bislang allerdings rätselten Wissenschaftler, wie präzise die Angaben dieser antiken Uhr tatsächlich waren, welche Merkmale der Planetenbewegung mit ihr gemessen wurden und welche Mechanismen noch in der Planetenuhr steckten. Einige der 82 Fragmente der astronomischen Uhr, die im Archäologischen Museum von Athen aufbewahrt werden, konnten in ihrer Funktion bis heute nicht zweifelsfrei zugeordnet werden.
Frontseite der Maschine liefert neue Erkenntnisse
Besonders von der Frontseite des Apparats, die nur noch in Teilen erhalten geblieben ist, erhofften sich die Forscher zuletzt weitere Erkenntnisse, um das Rätsel um die Maschine entgültig lüften zu können.
Jetzt glaubt ein Forscher-Team des University College London, das fehlende Stück des Puzzles gefunden zu haben: Die britischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten das komplizierte Räderwerk an der Vorderseite des Geräts rekonstruieren. Dazu kombinierten sie tomografische Analysen der Fragmente und Inschriften, mathematische Berechnungen sowie die astronomischen Daten der Uhr miteinander.
Ihre Ergebnisse, die sie im Fachjournal "Nature" veröffentlichten, lassen darauf schließen, dass der Antikythera-Mechanismus schon in der Antike noch weit komplexer war als bisher vermutet wurde.
Demnach werden die Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn als ein System von Ringen dargestellt. Die altgriechischen Inschriften auf der Innenseite der Frontansicht liefern Informationen zu den Planeten und Intervallen, in denen sie sich am Himmel positionieren. Daraus zog das Forschungsteam die nötigen Schlüsse, um die Mechanismen und die Anzahl der verlorenen Zahnräder des Antikythera-Mechanismus zu reproduzieren.
Das Ergebnis ist ein komplexes Konstrukt aus sieben Zahnrädern, das durchaus an ein modernes Schaltgetriebe erinnert. Die Frontseite des Antikythera-Mechanismus zeigte die Mondphasen und die der Sonne an. Darüber hinaus werden die Umlaufbahnen der in der Antike bekannten Planeten dargestellt. Am Ende ihrer Studienergebnisse konstatieren die Wissenschaftler, dass die Rekonstruktion der Mechanik "all unsere Vorannahmen über die technologischen Fähigkeiten der alten Griechen in Frage stellt."
Schon in der Antike wussten die alten Griechen bereits viel mehr über unser Sonnensystem, als wir bislang angenommen hätten.