Hallo, ich heiße Manuel, ich bin ein geborener Großstadtindianer und wohne jetzt in einem kleinen Dorf. Gerne denke ich an die Zeit zurück, als ich noch in Wien lebte. Ich hätte mir nicht vorstellen können, jemals von dieser schönen Stadt, wo es alles nur Erdenkliche und Traumhafte gibt, wegzuziehen. Mein Vater war dort Kinderarzt, und ich fand seinen Beruf sehr interessant. In den Ferien fuhren wir manchmal zum Neusiedlersee, er wird auch das Meer der Wiener genannt. In Rust, einem kleinen Dorf am Neudsiedlersee, gibt es viele Störche und schöne Radwege.
Auch wenn es dort nett ist, hätte ich dort oder in einem anderen kleinen Örtchen niemals leben wollen. Denn ich brauche die Stadt: meinen Stephansdom mit dem Südturm, der tollen Aussicht aus der Türmerstube aus 72 Metern Höhe, meine Pummerin, meine Hofburg, die Nationalbibliothek mit dem schönen Prunksaal, meinen Naschmarkt mit den vielen guten Köstlichkeiten, meine Museen, meine guten Wiener Kaisersemmerln, meine Mater Salvatoris Schule, meine Donauinsel, meine Freunde und vieles mehr. Jeden Tag traf ich mich mit meinen Freunden zum Fußball in einem Park mit Fußballkäfig.
Eines Tages sagte meine Mutter beim Abendessen: "Manuel, wir ziehen aufs Land, nach Deutschland." - "Was??????????? Aber, aber...", versuchte ich einen Satz rauszubekommen, ich fing zu heulen an. Ich wollte keineswegs von Wien weg und schon gar nicht in ein langweiliges Dorf. "Aber warum denn, warum müssen wir aufs Land ziehen?", fragte ich meine Mutter ganz deprimiert. "Dein Vater will dort eine Stelle als Landarzt antreten", antwortete meine Mutter. "Du wirst dich dort schnell einleben, dort gibt es nette Kinder, die vor allem gerne Fußball spielen, so wie du." Na, da bestand ja doch eine gewisse Hoffnung für mich...
Alles war hier sehr, sehr klein
Nach ein paar Wochen zogen wir um, an der Staatsgrenze wurde mir klar, nun verließ ich meine Heimat, aber ich war mir sicher, auch dort in der neuen Umgebung Freunde zu finden. Als wir im Dorf ankamen, sah ich eigentlich nichts. Kein Menschengetümmel, keine U-Bahnen, keine Straßenbahnen, keine hundert Autos auf sechs Fahrspuren, natürlich kein Stephansdom, keine Donauinsel, keine Hochhäuser, keine Prunkbauten, kein Schloß Schönbrunn, kein Schloß Belvedere, kein Tiergarten Schönbrunn. Sofort bekam ich Heimweh. Ich sah nur Bäume, Wiesen, Gras, Vögel, Kühe, Bauernhöfe, ein paar Einfamilienhäuser, uralte, windschiefe Gebäude, Fachwerkhäuser und eine sehr kleine Kirche. Alles war hier sehr, sehr klein. Was sollte ich hier bloß tun?
Die einzige Schule hier im Dorf war allerdings groß, relativ gesehen natürlich, denn alle Kinder aus den Dörfern aus der Umgebung kamen hierher. Am Berg oben sah man viele Kliniken und Unigebäude. Es war ein Universitätsdorf mit 90.000 Einwohnern, Wien hat im Vergleich 1,7 Millionen Einwohner und ständig ist was los. Wir zogen im Dorf in eine Wohnung mit Terrasse, drei Fußballplätze sind in der Nähe, das ist sehr gut. Was ich allerdings nicht mag, sind die Tafelbrötchen, die schmecken fad und sind nicht so kross wie meine geliebten Kaisersemmeln, ich mag weiters nicht die uralten windschiefen Fachwerkhäuser, den viel zu kleinen und gefährlichen Pausenhof der Schule, das schlechte Benehmen mancher Kinder, vor allem an der Schule.
Was ich mag sind die Fußballplätze, meine Freunde, mein Gitarrelehrer Gerrit, der auch was von Fußball versteht und der mir viel auf der Gitarre beibringt, meinen WT-Trainer, meinen Nachbarn gleich nebenan. Und ich mag es, ganz besonders sogar, wenn ich in den Ferien nach Wien fahre und dort Großstadtindianer spiele.