Wind weht um meine Haare. Sanft flattern sie hin und her. Ich atme leise hoffend ein. Wie ein rettendes Boot in der Not pumpt dieser Atemzug sauerstoffreiches Blut durch meinen Körper und meine Arterien. Kleine Salzkörner lüften meinen Hals und meine Nase. Es tut so gut. Wieder kommt eine kräftige Briese auf. Wassertropfen, dann Schaum fliegen zu mir in die Höhe. Dann öffne ich die Augen. Einen Schritt müsste ich gehen um in die Tiefe zu fallen. Aufgespießt zu werden. Tod und gleichzeitig Erlösung sind nur einen Schritt entfernt. Eine Träne oder mehr, ich habe nicht mitgezählt, fließen meine Wangen hinunter. Sie sind so nass und salzig wie das Meer.
Ach, das Leben ist doch o unnötig und der Tod ist so nah. Was würde mir mein Leben jetzt noch bringen? Mein Leben ist wie eine Schlange, die ihren eigenen Schwanz frisst um zu überleben. Nur ein Hauch des Todes. Mein Leben ist doch viel schlimmer als dieser unbeschreibliche und grauenvolle Tod. Ich bin doch alleine. Meine Mutter ist tot, meine Geschwister und sogar mein geliebter Vater. Er hat das letzte Stück Leben aus mir hinausgesaugt. Wie ein starker Windstoß hat er es mit sich genommen. In den Himmel, oder sonst wo hin. Das Leben ist so sinnlos. Also beuge ich mich vor, schließe meine Augen und…
Leon
"Tu das nicht, Meli!" ruft eine laute Stimme hinter mir, und ich zucke zurück. Das wäre der perfekte Augenblick gewesen - und wer wagt es den zu versauen? Ich drehe mich um. Dort steht Leon, ein Klassenkamerad. Was tut er denn hier, hat er nicht schon genug versaut? Hat er nicht schon mein Herz in tausend Stücke zerrissen, es einfach fallen lassen? Wie kann er es wagen, mich jetzt in den Arm zu nehmen? Mich wegzuziehen von der Klippe und mich an den Strand zu setzen, so dass ich ganz nass werde und meine Füße voller Schaum sind? Ich will treten, weglaufen, beißen und kratzen, aber ich bin zu schwach für all diese Dinge. Wer würde es nicht ausnutzen, einen Menschen ohne jegliche Hoffnung mit seinem Leben zu foltern? Plötzlich fängt dieser abscheuliche Mensch, dieser Leon, an zu sprechen.
"Es tut mir leid, dass ich dir dass angetan habe. Ich liebe dich doch immer noch. Dein Leben ist nicht sinnlos, warum tust du das?" Ich schließe die Augen, habe keine Kraft mehr. Kann Leon nicht in seine meerestiefblauen Augen schauen. So arg schäme ich mich. "Es war kein Leben mehr da. Das letzte bisschen Hoffnung wurde mit einer einzigen Welle davon gespült. Die letzte Hoffnung", meine ich und schluchze. "Und was war mit deinem Vater?", fragt Leon leise.
Der Unfall
"Er ist dort mit mir auf der Klippe gesessen und hat mit mir über mein Leben geredet und wie toll es doch wäre. Und dann hat er sich sein Surfbrett geschnappt und ist hinein in das Wasser... Ich konnte nichts tun. Da kam diese Welle und hat ihn mitgerissen. Ich habe doch seinen Schrei gehört. Ich hätte ihm bestimmt helfen können. Aber unter Wasser wurde er mitgerissen und gegen die Klippe geschleudert. Sein Körper wurde zerschmettert und sein Surfbrett wurde in tausend Teilen hier angespült. Ich habe jedes einzelne Teil bei mir."
Ich heule nun lauter. Tränen zwängen sich so lange aus mir heraus, bis man mit ihnen ein Meer hätte füllen können. Leon drückt mich an sein T-Shirt. "Mein Leben macht keinen Sinn mehr. Ich möchte jetzt bei ihm sein. Es ist doch alles nur wegen mir so passiert. Und ich habe vergessen ihm zu sagen, dass ich ihn liebe. Ich lass mich jetzt fallen."
Aber Leon schüttelt den Kopf. "Er hat es doch gewusst, dass du ihn liebst. Ich will nicht dass du stirbst, sonst sterbe ich mit dir. ES WAR NICHT DEINE SCHULD."
Die Abstimmung zum Schreibwettbewerb findet ihr diesmal hier im Forum.