Das wahre Russland beginnt für Frank Herfort, wenn die Moskauer Skyline hinter dem Horizont verschwindet. Wenn Birkenwälder statt Apartmentblöcken die Straße säumen und dann mitten im Nichts die perfekt erhaltene Ruine einer sowjetischen Abhöranlage auftaucht. Oder ein Dorf, das Zukunft heißt, obwohl es in einer ewig währenden Vergangenheit gefangen bleibt. Oder Menschen, die sauber in einen See steigen und schlammverkrustet wieder herauskommen.

Seit gut 15 Jahren währt die Faszination nun, seit Herfort, Jahrgang 1979, damals junger Student der Fotografie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, zum ersten Mal das riesige russische Hinterland bereiste. In Jakutsk in Sibirien beschlich ihn das Gefühl, in einem wirklich sehr fremden Land zu sein: "Alles war anders als das Bild, das wir uns im Westen von Russland machen. Viel skurriler. Surrealer." Herfort flog wieder und wieder in den Osten, lernte die Sprache und blieb: Sechs Jahre lang lebte er in Moskau, inzwischen pendelt er zwischen der russischen Hauptstadt und Berlin.
Für illustre Kunden fotografierte Herfort Innenräume spektakulärer Wohnungen und Villen; doch in seiner Freizeit zog es ihn immer wieder raus aufs Land. Etwa nach Buduschtscheje, das Dorf mit dem Namen Zukunft, in dem fast nur noch alte Leute lebten (und das jedes Jahr ein Sechstel seiner Bewohner verliert, etliche durch alkoholbedingte Todesfälle). "Da leben Menschen in Holzhütten wie vor 150 Jahren, und das in einem so modernen Land", staunt Herfort. Menschen, die ihn schief ansahen, wenn er sagte, er komme aus Moskau: "Auf dem Land wollen die meisten nichts mit der Hauptstadt zu tun haben. Sie finden, dort lebten die unverdient Reichen. Dort werde nur das Geld verbrannt, das sie hart verdienten."
Russland werde selbstbewusster, wirke aber orientierungslos
Die Fotos, die Herfort von diesen Ausflügen durch das riesige Land mit zurückbringt, nennt er "Teilinszenierungen": "Die meisten Bilder entdecke ich zufällig. Oft sehe ich im Vorbeifahren eine Szene, aber immer ist irgendetwas im Bild nicht perfekt." Dann trägt Frank Herfort das Bild in sein "Storyboard" ein, das Tagebuch der unvollendeten Werke, und kommt später wieder – mit Amateurmodels, geliehenen Requisiten, um im perfekten Licht genau jene Szene nachzustellen, die er im Vorbeifahren gesehen hatte. Oder gesehen haben wollte. In seinen Bildern, sagt Herfort, suche er jene "Unklarheit, jene Mystik", die ihn an Russland fasziniert. Vieles wirkt erst banal, dann absurd.
Seine Architekturaufnahmen vermitteln, ebenso wie seine Porträts, den Eindruck einer trotzigen Eigenständigkeit, eines russischen Wegs in eine glänzende, aber nicht immer ästhetische Zukunft. Russland, sagt Frank Herfort, habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert; die Architektur sei volksnaher geworden, aber auch stalinistischer. Das Land werde selbstbewusster, wirke aber orientierungslos. Außer in den Weiten des russischen Hinterlandes, jenseits von Putins Protz: Dort atmet die russische Seele "ein eigenartiges Gefühl von Freiheit", sagt Herfort. Eine Freiheit, wie sie nur ein sehr weites oder in der Weite sehr verlorenes Land vermitteln kann.