GEO.de: Was hat Sie zu dieser Reise bewegt?
Raphael Thelen: Je mehr Zukunftsprognosen wir gelesen haben, desto mehr Angst hat uns gemacht, was durch die Klimakrise auf uns zukommt. Beruflich nur Reporter und Kampaigner zu sein, hat sich angesichts dessen ungenügend angefühlt. Wir wollten etwas machen, was groß genug ist — quasi der Größe der Klimakrise entspricht: eine Reise durch alle Klimazonen. Wir wollten Menschen treffen, die heute schon stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind und herausfinden, was sie tun und wie wir mit den Folgen der Klimakrise leben können.
Theresa Leisgang: Für mich war diese große Demo von „Fridays for Future“ mit rund einer Million Menschen in Berlin ein Schlüsselerlebnis. Und danach die Verabschiedung des Klimapakets 2019: Das war für viele ein Schlag ins Gesicht, weil sie gehofft hatten, dass sich durch die Demonstrationen etwas in der Politik ändert, was nicht der Fall war. An diesem Punkt haben wir uns gefragt, wenn die Politik weder auf Bürgerinnen und Bürger noch auf die Wissenschaft hört, was ist unsere Rolle? Reicht es noch, einen Artikel zu schreiben? Mit diesem Gefühl sind wir aufgebrochen.
Sie sind von Südafrika zum nördlichen Polarkreis gereist. Wie haben Sie die Orte ausgewählt?
Theresa Leisgang:Wir wollten als erste deutsche Reporterinnen die Klimafolgen sehen und durch alle Klimazonen reisen. Wir wollten erfahren: Was ist bei unseren Nachbarinnen und Nachbarn los, die viel weiter südlich oder viel weiter nördlich wohnen als wir? Wir sind an Orte gereist, die heute schon deutlich unter den Folgen der Klimakrise leiden: In Südafrika beispielsweise war die schlimmste Dürre seit Hunderten von Jahren. Kapstadt hat es dennoch geschafft durch die Zusammenarbeit der Bewohnerinnen und Bewohner und der Stadtregierung so viel Wasser zu sparen, dass trotz der Dürre das Wasser nicht ausgegangen ist. Und das, obwohl die Stadt sonst so stark durch Rassismus gespalten ist.
Sie wollten also die Facetten des Klimawandels abbilden?
Theresa Leisgang: Ja, genau. Was mir bewusst geworden ist, dass häufig nur einzelne Aspekte der Klimakrise betrachtet werden: In Deutschland zum Beispiel versteift sich die Diskussion meist darauf, dass CO2 eingespart werden muss. Dabei lassen wir aber außer Acht, ob wir als Gesellschaft überhaupt so aufgebaut sind, dass wir so einen Krisenmoment meistern können.

Ich lebe in Hamburg und es ist eine der ersten deutschen Städte, die dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer fallen würde. Durch den Klimawandel droht dieses Schicksal einigen Städten — gar ganzen Inseln oder Ländern. Der Lebensraum für die Menschen würde schrumpfen. Heißt, es geht Ihnen darum, wie wir in solchen Krisen reagieren und sie lösen könnten?
Raphael Thelen: Es ist ja nicht so, dass heute alles gut ist und morgen der Kollaps droht — wir befinden uns auf dem Weg dorthin. Wenn das Klima kippt, wird Landwirtschaft schwerer, der Meeresspiegel steigt, im Sommer wird es heißer und vielleicht kälter im Winter. Das setzt die Gesellschaft unter Stress und wir müssen schauen, wie wir damit umgehen können. Es ist sicherlich wichtig, die demokratischen Strukturen zu stärken, weil sich sonst rechtspopulistische Parteien leichter festsetzen. Die Rechte von Minderheiten und Frauen müssen gestärkt werden und sie müssen mitgedacht werden. Wenn Hamburg langsam untergeht, müssen wir trotzdem weiterhin dafür sorgen, dass ein lebenswertes Leben möglich ist – und damit müssen wir jetzt anfangen.
Theresa Leisgang: Mit dem steigenden Meeresspiegel werden Sturmfluten wahrscheinlicher und Städte wie New York und Hamburg können selbst bei einem geringen Meeresspiegelanstieg komplett überflutet werden, weil ein Sturm das Wasser in die Städte drängen würde. Bei solch einer Naturkatastrophe, die durch die Klimakrise befeuert wird, ist die Frage, ob wir eine sinnvolle Struktur aufgebaut haben. Zum Beispiel, dass Menschen mit Behinderungen, Frauen, alleinerziehende Mütter oder alte Menschen wirklich zuerst Hilfe bekommen.
Sie haben gesagt, dass wir in Deutschland zu einseitig auf die Einsparung von CO2 schauen. Was haben Sie vor der Reise für die beste Lösung der Klimakrise gehalten und wie sehen Sie es jetzt?
Theresa Leisgang: Ich habe durch die Reise gemerkt, dass ich nicht weiter daran festhalten will, dass der große Wurf durch die Politik passieren muss. Ich will mich mit klimabewegten Menschen zusammentun und sich gegenseitig unterstützen. Zum Beispiel, dass wir unser Geld solidarisch teilen, so wäre für die nächste Krise, vielleicht eine Finanzkrise, ein Stückchen vorgesorgt. Es ist wichtig, sich nicht entmutigen zu lassen, wenn sich politisch wenig bewegt und weiter laut zu bleiben. Ich glaube, für uns als weiße Mehrheitsgesellschaft ist es essenziell, einfach zuzuhören, wie es Menschen im globalen Süden zum Beispiel jetzt schon ergeht.

Raphael Thelen: Selbst wenn wir durch CO2-Einsparung das Klima retten könnten, würden wir lebenswichtige planetare Systeme zerstören, wenn unser Wirtschaftssystem gleich bliebe. Und deswegen muss dieser Wandel sehr, sehr tief ansetzen. Wir müssen aufhören, den Planeten als etwas anzusehen, das wir ausbeuten können. Wir brauchen einen Kulturwandel, der sich in Gesetzen und Regierungsverhandlungen niederschlagen muss — nur so können wir die Zerstörung der Erde aufhalten.
Und wenn wir jetzt nochmal ein bisschen lokaler schauen, an welchen Orten war für Sie die Klimakrise am deutlichsten spürbar?
Raphael Thelen: Ich würde sagen Kapstadt. Die Klimakrise ist auch eine Ungerechtigkeit-Krise: Die reichen Industriestaaten stoßen sehr viel CO2-Emissionen aus, um ihren Wohlstand damit zu erkaufen und zerstören die Lebensgrundlage nicht-weißer Menschen. In Kapstadt können wir die ganze Welt im Kleinen beobachten: Es gibt eine reiche, weiße Oberschicht, die auch in der Wasserkrise sehr gut leben konnte. Und es gibt Millionen Menschen, die selbst außerhalb der Dürre kaum Zugang zu Wasser haben, was sich dann in der Klimakrise noch verschlimmerte. Also eigentlich ist das, was wir dort durch die Klimakrise erleben, ein Abbild von anderen großen globalen Strukturen.

Theresa Leisgang: Mit der Perspektive, dass wir in Kapstadt oder Mosambik schon die klaren Zeichen der Klimakrise sehen konnten, habe ich das gute und warme Wetter im April 2020 gar nicht genießen können. Brandenburgs Grundwasserspeicher zum Beispiel haben sich über das ganze Jahr nicht erholt, weil es viel zu wenig geregnet hat. Ich erkenne in immer mehr kleinen Details, dass die Klimakrise schon bei uns angekommen ist.
Was haben Sie aus den Projekten, die sie gesehen haben, gelernt, was wir tun können?
Raphael Thelen: Im Wesentlichen sind es drei Aspekte: Im Lokalen Zukunftsmodelle entwickeln, die dann global umgesetzte werden können; sich der Zerstörung durch zivilen Ungehorsam in den Weg zu stellen und dritten an einem tiefgreifenden Kulturwandel zu arbeiten, der die Lebendigkeit des Planeten in den Mittelpunkt stellt.
Was hat Sie auf der Reise schockiert und was hoffnungsvoll gestimmt?
Theresa Leisgang: Ein Dorf in Mosambik wurde durch einen Zyklon zerstört. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben die Häuser wiederaufgebaut. Doch der wichtige Punkt ist es, zu erkennen, dass es nicht der letzte Sturm gewesen sein wird. Dasselbe könnte im nächsten Jahr wieder passieren. Es ist einfach eine neue Lebensrealität, die nicht mehr weggeht.

Raphael Thelen: Hoffnung kommt sicherlich daher, dass jede Krise immer auch die Möglichkeit beinhaltet, dass Dinge besser werden können, weil man sich bewusst wird, was schlecht es läuft. Meine Hoffnung: Wir verändern dieses System, das den Planeten zerstört und so viele Menschen so unglücklich macht, hin zu einem lebensfreundlichen System.
Inwieweit bringt der Einsatz von jedem Einzelnen oder jeder Einzelnen etwas?
Raphael Thelen: Man muss davon wegkommen zu denken, dass der Konsum der einzelnen Personen einen signifikanten Einfluss hat. Es ist zwar besser kein Fleisch zu essen, aber es entscheidet nicht über die Rettung oder die Zerstörung des Klimas.
Braucht es dennoch den Einsatz von jeder einzelnen Person? Ja, klar! Wir haben einen Schweden getroffen, der sein Leben dem Naturschutz gewidmet hat. Greta Thunberg folgte ihm auf Twitter, lange bevor sie berühmt wurde. Vielleicht hat dieser ältere Herr auf seine Art Greta also inspiriert, was zum Klimastreik und „Fridays for Future“ geführt hat. Die Welt ist so komplex, dass man nie so genau weiß, was das eigene Handeln auslösen kann.
Sie haben sich am Anfang Ihres Buches die Frage gestellt, wer Sie sein wollen, um die Welt zu einer klimagerechteren Welt zu machen. Wer wollen Sie jetzt sein?
Theresa Leisgang: Ich habe gemerkt, dass ich langsamer sein muss. Ich habe anerkannt, dass ich nicht alles allein machen kann und es auch nicht allein schaffen muss. Ich will meine Arbeitszeit reduzieren und meine so frei gewordene Zeit nutzen, um mich in verschiedenen Kollektiven und Klimaprojekten einzubringen.
Raphael Thelen: Die Klimagerechtigkeit fängt bei uns selbst an: Die Industriestaaten haben einen Großteil der Erde verwüstet und jetzt geht es auch darum, ihren Reichtum wieder zu teilen und Grenzen zu öffnen — für Menschen, die vor Klimakatastrophen fliehen müssen. Wir müssen global denken, weil wir auch bereits global Schaden angerichtet haben.