Mit einer neuen Methode lässt sich die Meereis-Bedeckung im Nordpolarmeer in den vergangenen 30.000 Jahren rekonstruieren. Eine zentrale Rolle spielt das Isotop Helium-3, das nur in kosmischem Staub vorkommt, wie eine Gruppe um Frank Pavia von der University of Washington in Seattle in der Fachzeitschrift "Science" schreibt. "Wenn wir den Zeitpunkt und die räumlichen Muster des künftigen Rückgangs der Eisbedeckung vorhersagen können, wird uns das helfen, die Erderwärmung zu verstehen, Veränderungen von Nahrungsnetzen und Fischerei vorherzusagen und uns auf geopolitische Verschiebungen vorzubereiten", wird Pavia in einer Mitteilung seiner Universität zitiert.
Verlässliche Daten zur Eisbedeckung im Arktischen Ozean gibt es erst seit 1979, als die regelmäßige Beobachtung des Meereises durch Satelliten erfasst wurde. Die Abschätzung für frühere Zeiträume basierte bisher auf Fossilien kleinster Meereslebewesen und auf Biomarkern, die von Kieselalgen produziert werden. Deren Häufigkeit wird aber auch von anderen Faktoren als der Eisbedeckung beeinflusst.
Pavia und Kollegen nutzten nun für ihre Methode den Umstand, dass sich kosmischer Staub nahe der Sonne mit dem seltenen Isotop Helium-3 anreichert. Die winzigen Staubkörnchen mit Helium-3 rieseln mit konstanter Rate auf die Erde. Im offenen Ozean sinken sie auf den Grund und lagern sich im Sediment ab.
Das Team wertete drei Sedimentbohrkerne aus
Ist die Meeresoberfläche jedoch mit Eis bedeckt, kann Helium-3 nicht zum Grund gelangen. Im Gegensatz dazu wird das Isotop Thorium-230 ständig durch den Zerfall von Uran, das im Meerwasser in nahezu konstanter Konzentration gelöst ist, neu gebildet und sinkt zum Grund.
Das Verhältnis der beiden Isotope in Sedimentbohrkernen kann Aufschluss geben über die Meereis-Bedeckung. Wo das Verhältnis von Thorium-230 zu Helium-3 sehr hoch ist - also Helium-3 kaum vorhanden ist -, hat eine permanente Eisdecke den kosmischen Staub davon abgehalten, ins Meer zu gelangen. Bei wenig Helium-3 können zeitweise Risse im Eis gewesen sein, bei mehr Helium-3 hat die Eisbedeckung nur saisonal bestanden.
Nach diesem Prinzip wertete das Team um Pavia drei Sedimentbohrkerne aus: Einer stammte von einer Stelle 89 Grad nördlicher Breite - also fast am Nordpol -, die anderen von Meeresgebieten 81 und 78 Grad nördlicher Breite. Anhand der Bohrkerne rekonstruierten die Forscher die Eisbedeckung für vier große Zeiträume:
- die letzte Eiszeit (vor 30.000 bis 20.000 Jahren),
- die Entgletscherungszeit (vor 20.000 bis 11.000 Jahren),
- das frühe, wärmere Holozän (vor 11.000 bis 5000 Jahren) sowie
- das späte, kühlere Holozän (ab vor 5000 Jahren).
Die Studienautoren entdeckten auch, dass das Isotop Stickstoff-15, das in bestimmten Einzellern - sogenannten Foraminiferen - gebunden ist, ebenfalls mit der Meereis-Bedeckung variiert: Seine Konzentration ist höher, wenn an der Oberfläche Photosynthese betrieben wurde, also kein Eis vorhanden war.
Die Sedimente an den weiter vom Nordpol entfernten Stellen zeigen, dass die Eisbedeckung schon während der Entgletscherung zurückging. Das geschah im Wesentlichen durch die wärmere Atmosphäre. Denn die zeitweilige Landbrücke zwischen Eurasien und Nordamerika wurde erst vor etwa 11.000 Jahren durch den steigenden Meeresspiegel überflutet. Dadurch entstand die heutige Beringstraße zwischen den beiden Kontinenten. Erst danach konnte wärmeres Wasser aus dem Pazifik in den Arktischen Ozean fließen. Dies zeigen die Sedimente durch erhöhte Werte von Stickstoff-15.