Extremsport Downhill-Skaterin Anna Pixner: Wie ihr die Angst gegen die Panik half

Anna Pixner in Schutzausrüstung auf ihrem Skateboard: Bei einem Downhill trägt die 28-jährige Österreicherin ein Funkgerät und erfährt aus einem vorausfahrenden Auto, was ihr entgegenkommt
Anna Pixner in Schutzausrüstung auf ihrem Skateboard: Bei einem Downhill trägt die 28-jährige Österreicherin ein Funkgerät und erfährt aus einem vorausfahrenden Auto, was ihr entgegenkommt
© Rodrigo Soares
Foto: Rodrigo Soares
Mit bis zu 100 km/h rast die Tirolerin Anna Pixner auf ihrem Skateboard Alpen-Pässe hinunter. Sie setzt sich dabei einem hohen Risiko aus – und fühlt sich zugleich frei

GEO: Was geht dir bei einem Downhill durch den Kopf?

Anna Pixner: Ich bin in jedem Fall wahnsinnig fokussiert, sodass ich an so gut wie gar nichts denke. Für mich ist es außerdem fast ein meditatives Gefühl, ich finde das entspannend. Was ein bisschen paradox klingt, weil ein Downhill auf dem Skateboard bei diesem Tempo so extrem ausschaut. Es gibt aber nur wenige Dinge, die ich in meinem Leben ausprobiert habe, bei denen man seinen Kopf so ausschalten kann, bei denen man so im Moment verfangen ist wie bei meinem Sport.

Diese Konzentration ist vermutlich überlebenswichtig.

An irgendetwas anderes zu denken und nicht so ganz präsent zu sein, das wäre einfach gefährlich. Es kann jederzeit etwas Unerwartetes passieren, ein entgegenkommendes Auto auf meine Fahrbahn geraten, ich durch ein Schlagloch brettern. 

Um so präsent zu sein, bist du dann wie im Tunnel – und hast gar keinen Gedanken im Kopf?

Doch, ich denke zum Beispiel an die nächste Kurve, wie ich die angehe, wo ich bremsen muss. Daran denke ich, unter höchster Konzentration. Ich blende während des Downhills aber eben alles andere in der Welt aus, was heutzutage ja gar nicht so einfach ist.

Wenn du sicher unten angekommen bist, wie fühlt sich das an?

Die Dosis Adrenalin, die ich mir gewissermaßen selber verabreiche, die bewirkt viel im Körper. Es ist so, als würden die Glücksgefühle geradezu explodieren. Dann fühle ich mich einfach extrem lebendig. 

Schaust du dir die Strecken vorher an, um das Risiko zu reduzieren und heil durchzukommen?

Ja, meistens sehe ich mir schon sehr genau an, wie eine Strecke beschaffen ist. Besonders wenn ich plane, auf maximales Tempo zu gehen. In diesem Fall sind die Straßen auch abgesperrt. Dann versuche ich, so aerodynamisch wie möglich auf dem Brett zu stehen. Und wir fahren die Strecke vorher auch mal kurz mit dem Auto ab und checken, wo Schlaglöcher lauern. Oder ob es irgendwo nass ist. Aber hin und wieder steige ich auf einer Passhöhe auch einfach aus dem Auto. Und teste eine Strecke, ohne sie zuvor gesehen zu haben. Aber dann rolle ich da auch anders herunter, bremse häufiger ab und baue auch Drehungen oder Slides in die Abfahrt ein, das nennt man "Freeride", neben "Speed" die zweite Disziplin in meinem Sport. Erstere verschafft mir ein ungeheures Freiheitsgefühl.

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Der Film zum Interview lässt sich bei der aktuellen "European Outdoor Filmtour" anschauen, die auf rund 400 Events in ganz Europa läuft.

Weißt du denn, was an Verkehr auf dich zukommt?

Ich trage immer ein Funkgerät. Jemand fährt dann mit dem Auto bergabwärts vor und sagt durch, was mir entgegenkommt: Farbe eines Fahrzeugs und die Größe sind wichtig, dann kann ich mich darauf einstellen. Sollte es sich um Lkw handeln, bremse ich komplett runter und bleibe kurz stehen, denn es besteht immer die Gefahr, dass die eine Kurve schneiden – und das kann natürlich brenzlig werden. 

Was ist mit den Autos, die wie du den Berg herunterfahren?

Da muss ich aufpassen, dass ich genügend Abstand halte. Wir Downhill-Skater sind einfach schneller als jedes Auto. Vor allem in den Kurven müssen die meist herunterbremsen. Und überholen will ich lieber kein Auto.

Was sagst du Leuten, die deinen Sport zu risikoreich finden – auch für andere?

Weil ich selber immer mit Walkie-Talkies skate, kann ich mein Fahrverhalten dem Verkehr anpassen. Und unser Bremsweg ist derselbe wie der von Fahrradfahrern, und ich kann in jedem Moment bremsen. Es mag erschreckend wirken, wenn man das noch nie gesehen hat. Aber die meisten Menschen wissen auch nicht, dass wir uns sehr kontrolliert im Verkehr bewegen können.

Hast du eine Lieblingsstrecke?

Eigentlich nicht. Ich finde es viel spannender, immer wieder neue Straßen zu erkunden. Weil ich dann auch so viel mehr auf Zack sein muss, mit meiner Reaktion, meiner Einschätzung der Kurven, meinem Fokus.

Gibt es etwas, was du nicht befahren würdest? Also zum Beispiel runter vom Stilfser Joch, dem zweithöchsten geteerten Pass in den Alpen? Oder die legendäre Großglockner-Hochalpenstraße?

Im Gegenteil, die sind beide super. Die Abfahrt vom Großglockner ist richtig cool. Die hat einen guten Flow, ist ewig lang und schenkt einem beeindruckende Aussichten auf die Landschaft. Aber ja, ich bin auch lieber dort unterwegs, wo es einsam ist, wo ich wirklich frei sein kann. Zum Beispiel war ich schon in Israel, am Toten Meer, in der Wüste. Oder auch in Tibet, im Himalaya. 

Downhill-Skaten verschafft dir ein Freiheitsgefühl. Fühlst du dich sonst eingesperrt? 

Ja, vor allem in der Zeit, in der ich angefangen habe mit dem Sport. Da war ich noch in der Pubertät, 16, 17 Jahre alt. Und da habe ich mich immer im Zwiespalt befunden, mit meiner Rolle in der Gesellschaft. Ich bin sehr umweltbewusst und versuche auf eine Art zu leben, die anderen nicht allzu sehr schadet. Und je mehr man darüber lernt, desto mehr merkt man: In unserem Gesellschaftssystem funktioniert mein bevorzugter Lebensstil nicht wirklich. Da hab ich mich manchmal ein wenig eingesperrt gefühlt, weil ich mich in das System einfügen musste, obwohl ich es hinterfrage. Mich beschäftigt zum Beispiel auch, dass mein Sport nicht der umweltfreundlichste ist, da bin ich immer ein bisschen im Kampf mit mir. Zwar gehe ich oft zu Fuß hoch. Aber wenn es jetzt superlange Strecken sind, dann fahren wir eigentlich immer mit dem Auto. Es beschäftigt mich, dass ich mich irgendwann damit abfinde, dass es eben so ist, dass man gewisse Dinge einfach macht, obwohl sie negative Konsequenzen haben.

Hat dir der Sport auch geholfen?

Ja, weil ich dabei einfach mal kurz mein Gehirn ausschalten kann. Wenn mich so viele negative Themen umkreisen, hilft es mir, auf der Straße diese Momente zu erleben, in denen ich einfach nur bei mir bin. Daraus ziehe ich Energie, kriege den Kopf frei und kann wieder ein Stück weit funktionieren. Und mehr noch: Ich erlebe immer wieder positive Neustarts und schöpfe Hoffnung, dass ich vielleicht doch etwas gesellschaftlich verändern kann.

Wenn es regnet, verzichtet Anna Pixner auf schnelle und gefährliche Abfahrten, denn sie versucht, das Risiko zu reduzieren. Seit einem Unfall höre sie viel mehr auf sich und ihr Bauchgefühl, sagt die Tirolerin
Wenn es regnet, verzichtet Anna Pixner auf schnelle und gefährliche Abfahrten, denn sie versucht, das Risiko zu reduzieren. Seit einem Unfall höre sie viel mehr auf sich und ihr Bauchgefühl, sagt die Tirolerin
© Rodrigo Soares

Du hast mal gesagt, dass du über den Sport auch deine Sozialängste in den Griff bekommst.

Als Kind und auch als Jugendliche habe ich panische Zustände in Gesellschaft anderer erlebt. Schon in der Schule hat es mich manchmal enorm überfordert, dass ich jeden Tag einen Raum aufsuchen musste, in dem 30 andere Menschen sind. Allein dieser Lärm, den andere veranstalten, hat mich immer total gestresst. Und wenn ich wusste, dass ich irgendwo hin muss, wo ich neue Leute kennenlernen soll – davon bekam ich krasse Bauchschmerzen. Und auch diesbezüglich hat mir der Sport geholfen. Ich mache ja einen Individualsport, bei dem man voll bei sich ist, aber den man trotzdem mit anderen macht. Und man verbindet sich dann auf ganz besondere Weise mit anderen Skatern, weil man gemeinsam extreme Situationen durchlebt. Und ich glaube, das hat mir geholfen. Zu erkennen, dass ich mich auch wohlfühlen kann in Gegenwart anderer Menschen, auch wenn ich sie nicht so gut kenne. 

Auch wenn du diese Ängste besiegt hast: Fürchtest du dich heute noch vor etwas, zum Beispiel einer Abfahrt? 

Es kommt drauf an, ob ich eine Strecke schon oft gefahren bin, dann bin ich nicht wirklich ängstlich. Oder wenn sie nicht sonderlich schnell ist. Aber ansonsten verspüre ich oft ziemliche Ängste, bevor es losgeht. Aber ich glaube, das dies immer genau der Punkt war, der mich immer so angezogen hat. Weil ich grundsätzlich eher auf der ängstlichen Seite verortet bin und mir das selber gar nicht zugetraut hätte, dass ich solche Herausforderungen gern meistern wollen würde. 

Also wirkt Downhill-Skating auch wie eine Art Konfrontationstherapie?

Ja! Und ich glaube, dass ich mit der Zeit gelernt habe, das zu übersetzen auf andere Lebenssituationen. Wenn man erlebt, dass man Dinge machen kann, die einen total ängstigen – und die dann aber doch Spaß machen: Dann schlussfolgert man, okay, vielleicht ist das sonst im Leben auch so. Bezogen auf Situationen, die sich zuvor nie gut angefühlt haben. Wer ein ängstlicher Mensch ist, dem hilft es sehr, das für sich zu entdecken. Denn es ist schrecklich, immer in Angst zu leben. Und ich bin mir sicher, viele Menschen leiden unter ihren Ängsten. Ich bin Erziehungswissenschaftlerin und arbeite gern mit Kindern und Jugendlichen, denen ich nach Möglichkeit zu vermitteln versuche, dass sie Dinge probieren sollten. Selbst wenn sie Angst davor haben. 

Du hast bei einer Abfahrt selber etwas sehr Beängstigendes durchlitten: einen schweren Unfall. Musst du oft daran denken?

Mittlerweile eigentlich nicht mehr, ich bin total drüber hinweg. Aber es war schon ein recht langer Prozess. Nur wenn ich auf einer Straße abfahre, die mich an die Unfallstrecke erinnert, dann kann ich schon noch mal panisch werden.

Fast wie Meditation fühle sich das an, die Berge hinunter zu rasen, erzählt Pixner. Denn dann blende sie alles aus. Aussichten wie diese versucht sie dennoch zu genießen, wenn auch nur ganz kurz
Fast wie Meditation fühle sich das an, die Berge hinunter zu rasen, erzählt Pixner. Denn dann blende sie alles aus. Aussichten wie diese versucht sie dennoch zu genießen, wenn auch nur ganz kurz
© Rodrigo Soares

Wie ist es zu dem Unfall gekommen?

Das war 2018, in Israel, in einer Kurve auf einer einsamen Bergstraße in der Wüste. Wir waren seit Sonnenaufgang zum Filmen unterwegs, ich bin mehrmals gefahren und dann war irgendwann Pause. Mittags gab es dann zeitlich ein bisschen Druck, ich habe mich nicht wirklich aufgewärmt und bin noch mal gestartet. Da habe ich plötzlich viel weniger Grip in einer Kurve gehabt als zuvor und bin rausgerutscht, weil die Straße sich in der Hitze so aufgeheizt hatte, dass der Asphalt total seifig war. Ich bin in die Leitplanke gecrashed und hab mir zwei Wirbel und vier Rippen gebrochen und ein Loch in der Lunge gehabt. An einem Ort, weit weg von allem. Eine beängstigende Erfahrung. 

Konntest du überblicken, was mit dir los war?

Nein, es gab zunächst keine Diagnose. Ich habe nur gespürt, dass sich da an meinen Organen irgendwas richtig falsch anfühlt, und ich konnte nicht sonderlich gut atmen. Und da habe ich schon kurz daran gedacht, dass es das gewesen sein könnte.

Hast du daraus etwas über dich gelernt? 

Ich gehe immer noch Risiken ein, aber eher kalkulierte. Einfach so drauflos fahren tue ich nicht mehr. Wenn ich heute einen Filmdreh mache und merke, dass ich müde werde und nicht mehr fahren sollte, dann sage ich das auch. Und dann lasse ich mich nicht so stressen von Leuten, die meinen, das sei jetzt der wichtigste Shot der Woche. Vor allem bin ich seit dem Unfall einfach dankbar dafür, dass ich überhaupt am Leben bin. Seither kann ich auch die kleinsten Dinge viel mehr wertschätzen. Und ich versuche, mir das immer wieder zu vergegenwärtigen. Wie schön es ist, dass ich gesund bin und ich all das erleben darf, was ich so erlebe.