Australien Phantom im Untergrund: Die Genetik des geheimnisvollen Beutelmulls

Eisenoxide im Boden verleihen dem hellen, seidigen Fell des Großen Beutelmulls einen roten Schimmer
Eisenoxide im Boden verleihen dem hellen, seidigen Fell des Großen Beutelmulls einen roten Schimmer
© Video: Altair Byaltair @byaltair| Foto: ANT / Avalon / imago images
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Mit kräftigen Klauen schaufelt sich der Beutelmull durch den australischen Wüstensand – und entgeht so der Erforschung. Nun liefern DNA-Analysen neue Einblicke in seine Geschichte

Die Abgeschiedenheit Australiens hat eine Vielfalt bizarrer Tiere hervorgebracht. Doch kaum eines ist so absonderlich wie der Beutelmull. Der pelzige Zwerg ist kaum so lang wie eine Hand und wühlt sich durch die Sandwüsten des Kontinents. Sein Körperbau ähnelt dem von Maulwürfen. Er ist von gedrungener Statur und besitzt einen äußerst muskulösen Oberkörper. Zwei Finger seiner vorderen Grabschaufeln sind mit riesigen, krabbenhaften Krallen ausgestattet. Mit ihnen schwimmt der Beutelmull förmlich durch den Sand. Während Maulwürfe und afrikanische Mulle Tunnelsysteme anlegen, hinterlässt der Beutelmull nur flüchtige Spuren: Im lockeren Boden stürzen seine Gänge direkt hinter ihm wieder ein. Ans Tageslicht kommt er nur selten. Denn die Gliedmaßen, mit denen es sich so vorzüglich graben lässt, erlauben an der Oberfläche nur ein unbeholfenes Robben. 

Weil der Beutelmull den Großteil seines Lebens in einem halben bis zwei Meter Tiefe verbringt, ist sein Lebenswandel bis heute rätselhaft. Als Futter scheinen ihm Käfer, Ameisen und Termiten, gelegentlich auch Würmer, Spinnen und kleine Echsen zu dienen. In seinem Beutel finden zwei Junge Platz und Nahrung. Die Öffnung zeigt nach hinten, damit sich die Hautfalte beim Graben nicht permanent mit Sand füllt. Doch wann und wie die Einzelgänger zur Paarung zueinanderfinden und wie sie ihre Jungen großziehen, liegt buchstäblich im Dunkeln. Selbst die Lebensdauer der Mulle gibt Rätsel auf. 

Ein selter Anblick im Herzen Australiens: Nach einem kurzen Trip an die Oberfläche buddelt sich der Beutelmull schnell wieder ein
Ein selter Anblick im Herzen Australiens: Nach einem kurzen Trip an die Oberfläche buddelt sich der Beutelmull schnell wieder ein
© ANT / Avalon / imago images

Forschende spüren die Tiere gelegentlich anhand ihrer Spuren im Sand auf – der kleine Stummelschwanz hinterlässt dort eine charakteristische Wellenlinie. Oder sie horchen mit Mikrofonen in den Boden, um die Mulle beim Graben zu ertappen. Doch weder über den Großen Beutelmull noch über seinen westaustralischen Verwandten, den Kleinen Beutelmull, weiß die Wissenschaft viel zu berichten. Versuche, die Exoten in Gefangenschaft zu halten, schlugen fehl. Am längsten überdauerte ein Südlicher Beutelmull, der in menschlicher Obhut nach zehn Wochen verstarb.

Der Großteil des Wissens beschränkt sich daher auf die Anatomie der Tiere. Was wie eine riesige Nase aussieht, ist in Wahrheit eine verhornte Hautplatte. Sie schützt den Mull davor, sich das Gesicht wundzuschubbeln, wenn er sich durch den Untergrund gräbt. Aus demselben Grund liegen auch die Hoden der Männchen im Körperinnern. Unter dem hellen, seidigen Fell verbergen sich winzige Ohröffnungen. Die Nasenlöcher bilden zwei Schlitze, durch die Signale bis ins große Riechzentrum des kleinen Gehirns gelangen. Augen besitzt der Mull nicht. Lediglich zwei Pigmentflecken unter der Haut erinnern an die Existenz von Sehorganen. 

Wie der Mull erblindete, zeichnen nun genetische Untersuchungen einer internationalen Forschungsgruppe nach. Weil die Beuteltiere so schwer aufzuspüren (und womöglich selten) sind, gewann das Team Erbgut des Großen Beutelmulls aus einem Museumsexemplar. Die Zahl angehäufter Genmutationen zeigte: Zuerst wurde die Linse des Auges überflüssig, anschließend die für das Farbsehen verantwortlichen Zapfen. Zu guter Letzt verschwanden auch die Stäbchen, die vor allem bei Dämmerlicht aktiv sind. Heutige Mulle besitzen nicht einmal einen Sehnerv. Gleichzeitig gewannen die Tiere neue Fähigkeiten. Damit die Jungen die extreme Sauerstoffarmut überstehen, die unter der Erde im Beutel herrscht, besitzen sie zwei Kopien eines Hämoglobin-Gens. 

Eisenoxide im Boden verleihen dem hellen, seidigen Fell des Großen Beutelmulls einen roten Schimmer
Eisenoxide im Boden verleihen dem hellen, seidigen Fell des Großen Beutelmulls einen roten Schimmer
© Video: Altair Byaltair @byaltair| Foto: ANT / Avalon / imago images

Vor allem aber legt die Studie eine jahrzehntelange Debatte über die Abstammung des Beutelmulls bei. Sie begann im Jahr 1888 mit einem kolossalen Irrtum. Damals bekam erstmals ein westlicher Naturforscher namens Edward Charles Stirling ein Exemplar zu Gesicht. Der Kadaver, den man ihm aus dem Northern Territory zur Bestimmung nach Adelaide geschickt hatte, war in ein kerosingetränktes Tuch gehüllt und durch den langen Transport so stark verwest, dass weder die Hautfalte noch die typischen Knochenstrukturen zu erkennen waren. Stirling befand, es handele sich nicht um ein Beuteltier, sondern um einen gemeinsamen Vorfahren von Säugetieren und Beuteltieren. 

Der Irrtum klärte sich auf, sobald besser erhaltene Exemplare entdeckt wurden. Nun hielt man die Mulle für weit entfernte Verwandte anderer Beuteltierspezies. Erste genetische Analysen wiederum rückten sie wahlweise in die Nähe der Nasenbeutler, der Pinselschwanzbeutler oder der Koalas und Kängurus. Das Forschungsteam um Stephen Frankenberg und Andrew Park von der University of Melbourne schaute sich nun Erbgutschnipsel namens Retrotransposons an, die sich an willkürlichen Stellen in die DNA einfügen und fortan von Generation zu Generation weitergegeben werden. Je mehr solcher Versatzstücke zwei Arten gemein haben, desto länger folgten sie derselben Entwicklungslinie. Im Falle der Beutelmulle war die Antwort klar: Die enigmatischen Sandschaufler spalteten sich vor rund 60 Millionen Jahren von den nagetierähnlichen Nasenbeutlern (Bandikuts und Bilbys), ihren engsten Verwandten, ab. 

Das Erbgut des Südlichen Beutelmulls erlaubt sogar einen Blick in die Entwicklungsgeschichte der Population. Berechnungen legen nahe, dass die Zahl der Tiere über mindestens 200.000 Jahre hinweg recht stabil blieb. Doch vor rund 70.000 Jahren brach sie ein – vermutlich noch bevor die Aborigines als erste menschliche Siedler ihren Lebensraum erreichten. Damals sanken weltweit Temperaturen und Meeresspiegel. Die bislang letzte Eiszeit begann. "Es ist daher möglich, dass die klimatischen Veränderungen in dieser Zeitspanne die Populationen der Beutemulle beeinflusst haben", schreiben die Forschenden. Doch sie räumen auch ein, dass die Berechnungen lediglich Schätzungen liefern. Denn Generationsdauer und Mutationsrate, zwei entscheidende Parameter, sind nicht genau bekannt.

Heute muss der Beutelmull wie viele in Australien heimischen Arten gefräßige Invasoren fürchten. Katzen und Füchse, aber auch Dingos verspeisen ihn, wenn sie seiner habhaft werden. Doch unter der Oberfläche bleibt er unter dem Radar der Raubtiere. Dort wühlt er sich unbeirrt voran – stets auf der Suche nach dem nächsten schmackhaften Snack, der ihm Energie für die anstrengende Grabungsarbeit liefert.