Tierindustrie Das passiert wirklich mit den "geretteten" Bruderhähnen

So genannte "Bruderhähne" fristen – ohne ihre Schwestern oder Eltern – ihr kurzes Leben meist in drangvoller Enge
So genannte "Bruderhähne" fristen – ohne ihre Schwestern oder Eltern – ihr kurzes Leben meist in drangvoller Enge
© dpa | Philipp Schulze / picture alliance
Neue Recherchen bestätigen: Seit dem Verbot des Kükentötens in Deutschland hat sich für die angeblich "geretteten" männlichen Hühner nichts verbessert. Sie leiden nur länger. Dabei gibt es eine ethische Alternative

Als im vergangenen Jahr das industrielle Kükengemetzel in Deutschland verboten wurde, jubelten Tierschützer*innen. Es war das Aus für die ebenso lange geübte wie barbarische Praxis, wenige Stunden alte Tiere systematisch und massenhaft zu vergasen und zu schreddern. Weil sie in der Hühnerindustrie nun mal anfallen, sich aber nicht gewinnbringend zu Geld machen lassen.

Fortan warben die Unternehmen mit herzerwärmenden Schlagwörtern wie "Bruderhahn" oder aktivistischen Slogans à la "Ohne Kükentöten" und "Rette meinen Bruder!" für einen angeblich ethischen Konsum.

Nun entlarven Recherchen von Tierschützenden und ZDF WISO die vermeintliche Verbesserung als zynische Marketing-Strategie, die Probleme verlagert, statt sie zu lösen: Die frisch geschlüpften Küken chillen demnach nicht mit ihren weiblichen Geschwistern und ihren Eltern auf Bullerbü im Sandbad. Sondern werden nach dem Schlüpfen lasterweise nach Polen oder Südosteuropa gekarrt, unter erbärmlichen Umständen wenige Wochen gemästet, bevor ihr Elend im Elektrobad des Schlachthofs endet. Die Tierschutzorganisation Animal Society spricht sogar von einem "neuen Zweig der Massentierhaltung".

A six-week-old broiler rooster at a commercial chicken farm.

Massentierhaltung Ist das Masthuhn ein Wunder? Oder Wahnsinn?

Innerhalb eines Monats erreicht es das Vierzigfache seines Geburtsgewichts, es ist spottbillig, und was wir davon essen, erzählt viel über die Lage der Welt: Das hocheffiziente Turbohuhn ist zum wichtigsten Fleischlieferanten der Menschen geworden. Ist das irre? Oder notwendig?

Die Geschlechtsbestimmung im Ei wiederum, schon vor Jahren als Wunderwaffe gegen das Kükentöten angekündigt und gepriesen, hat sich bislang im industriellen Stil nicht durchsetzen können. Und wird zudem vom Tierschutzbund kritisiert, weil die Schmerzempfindung des Embryos schon bei einem Alter von wenigen Tagen nicht sicher ausgeschlossen werden kann.

Es gibt keinen "ethischen" Tierkonsum

All diese Konsequenzen – die im Übrigen leicht vorhersehbar waren – sind kein Argument gegen ein Verbot des Kükentötens. Im Gegenteil: Es braucht nun endlich eine Ausweitung auf alle europäischen Länder. Zugleich braucht es aber auch einen gesetzlichen Mechanismus, mit dem die Auslagerung der Probleme ins Nicht-EU-Ausland verhindert wird.

Das Hauptproblem aber bleibt: Eine ethisch lupenreine Hühnerindustrie gibt es nicht. Selbst das sogenannte Zweinutzungshuhn, oft als Alternative zur Legehenne mit maximaler "Legeleistung" gerühmt, würde nur das Problem der überzähligen, schlecht monetarisierbaren männlichen Tiere adressieren. An den Haltungs-, Transport- und Schlachtbedingungen änderte sich unter dem enormen Kostendruck für die Masse der Tiere: gar nichts.

Nüchtern betrachtet, ist das oft für Werbezwecke missbrauchte "gute Gewissen" beim Fleisch- und Eikonsum nur mit pflanzlichen Alternativen zu haben. Von denen gibt es heute, und das ist die gute Nachricht, mehr als jemals zuvor.