Anzeige
Anzeige

Interview Verhaltensforscher: "Tiere haben Anspruch auf ein sinnvolles und schönes Leben"

Schweine in Massentierhaltung
Weil Tiere uns ähnlicher sind, als wir bislang dachten, haben sie nicht nur Anspruch auf Freiheit von Schmerzen und Leiden - sondern sogar auf ein "sinnvolles und schönes" Leben, meint Karsten Brensing. Von beidem ist unsere Massentierhaltung weit entfernt
© acceptfoto / Fotolia
Tiere kommunizieren mit Wörtern, Sätzen, sogar Redewendungen. Und weil sie uns so ähnlich sind, sagt der Verhaltensforscher Karsten Brensing, haben sie einen Anspruch auf ein sinnvolles und schönes Leben

GEO.de: Es ist ein alter Menschheitstraum, Tiere zu verstehen. Wenn man Ihr Buch liest, bekommt man den Eindruck: Wir sind davon gar nicht so weit entfernt, wie wir dachten ...

Karsten Brensing: Seit den 70er Jahren gibt es eine intensive Kommunikationsforschung mit Tieren. 20, 30 Jahre lang arbeitete man mit Graupapageien, Delfinen, Primaten – immer unter der Prämisse: Wir bringen den Tieren unsere Sprache bei, oder denken uns Zeichen aus, deren Bedeutung sie erlernen müssen. Damit hatten die Wissenschaftler teilweise beeindruckende Erfolge. Aber so richtig überzeugend waren die Ergebnisse auch nicht. Die ganze Forschung ist eingeschlafen, weil sie nicht weiterkam. Was fehlte, war die Bestätigung aus dem Freiland. Jetzt stehen wir gerade am Anfang eines neuen Booms. Denn das Augenmerk liegt nun auf der Frage: Wie kommunizieren sie miteinander?

Wie wurde das möglich?

Heute sind die Untersuchungsmethoden feiner, die Elektronik ist besser, man kann Laute viel besser unterscheiden. Kameras sind heute kompakt und kosten nicht viel. Man kann sie im Freiland mit einem Solarpanel betreiben und bekommt wunderbare Aufnahmen. Dadurch sind heute Beobachtungen möglich, die früher undenkbar waren.

Mit welchem Ergebnis?

Man hat zum Beispiel festgestellt, dass es auch bei Tieren so etwas wie Wörter gibt. Einzelne Laute werden dabei zusammengezogen. Auf diese Weise werden die Informationen eindeutiger und man kann ein viel größeres Vokabular erschaffen. Es gibt sogar so etwas wie einen Satzbau. Den ersten Beweis dafür haben übrigens Meisen geliefert. Bei Delfinen steht der Beweis aus dem Freiland noch aus, obwohl sie in Gefangenschaft Satzbau und Grammatik sicher anwenden. Es gibt Insekten, die signalisieren ihrem Gegenüber wie ein Funker: Over and out - jetzt bist du dran! Dabei hätte man vor ein paar Jahren gar nicht gedacht, dass es im Tierreich überhaupt so etwas wie Dialoge gibt. Meerkatzen benutzen untereinander sogar Redewendungen ...

Redewendungen?

Sie haben unterschiedliche Alarmrufe für „Feind von oben“ und „Feind am Boden“. Wenn sie sich gegenseitig dazu einladen, zusammen auf Nahrungssuche zu gehen, dann kombinieren sie beide. Das heißt dann: „Komm, wir machen einen Spaziergang!“ Vielleicht sind so die ersten Redewendungen entstanden.

Verhaltensforscher Karsten Brensing
Soeben erschienen: "Die Sprache der Tiere - Wie wir einander besser verstehen", das neue Buch des Meeresbiologen und Verhaltensforschers Dr. Karsten Brensing
© Milena Schlösser

Und wir Menschen, sagen Sie, können Tiere auch verstehen?

In einem Versuch haben Forscher Studenten aus verschiedenen Ländern Rufe von ganz unterschiedlichen Tieren vorgespielt, und Beispiele einer exotischen Sprache, die keiner verstand. Die Probanden sollten beurteilen, wie sich das jeweilige Tier, etwa ein Frosch, oder der Mensch fühlt. Das Ergebnis war eine 90-prozentige Trefferquote, sowohl bei einigen Tieren als auch beim indischen Dialekt. Die Forscher folgern daraus, dass der sprachliche Ausdruck keine willkürliche Konvention ist. Sondern er ist im Verlauf der Evolution entstanden. Vermutlich können alle Wirbeltiere sich gegenseitig „verstehen“ - nicht im Sinne von abstrakter Begrifflichkeit, sondern von Emotionen. Die Wissenschaft hat das lange für unmöglich gehalten. Jede Art, dachte man, müsste ihr eigenes, nur ihr verständliches Kommunikationssystem haben. Vermenschlichen, das durfte man auf keinen Fall.

Sie sind uns also ähnlicher, als wir dachten. Was folgt daraus?

Wenn wir uns klarmachen, was wir heute über Tiere wissen, dann fällt es immer schwerer, einen prinzipiellen Unterschied zwischen Menschen und Tieren zu finden. Wir Menschen schützen uns gegenseitig vor Verletzungen und Tod, weil wir uns hohe kognitive Fähigkeiten zuschreiben und uns als Individuen respektieren. Das müsste, unserer eigenen Moral folgend, auch für Tiere gelten. Es würde bedeuten, dass Tiere einen Anspruch auf sich selbst hätten – und einen Anspruch auf ein angemessenes Leben. Ich setze mich nicht dafür ein, die Tierhaltung komplett abzuschaffen, das wäre illusorisch. Aber der Anspruch eines sinnvollen und schönen Lebens, der ist mir wichtig. Darum betone ich in meinem Buch auch, wie wichtig Freude für Tiere ist. Die allermeisten und die wichtigsten Verhaltensweisen werden durch Freude erzeugt. Und nicht durch die Abwesenheit von Stress und Schmerz. Wir müssen also darüber reden, was wir dafür tun können, damit den Tieren ihr Leben gefällt. Und nicht darüber, was wir tun müssen, damit sie nicht leiden. Und das bedeutet natürlich auch, dass sich an der Tierhaltung etwas ändern muss.

Neu in Natur

VG-Wort Pixel