Nach zwei Stunden kapitulieren Lungen und Gleichgewichtssinn. Die Fischer lassen sich auf den Felsen nieder, atmen durch und versuchen, trotz der tropisch-feuchten Hitze zu verschnaufen. Dann geht es zurück in die Fluten des Mekongs. Nachdem sie tief Luft geholt haben, tauchen Sin, 26, und zwei weitere Fischer auf den Grund des Flusses, suchen ihn nach Felsgestein ab, das sie für das Fundament ihrer Li benötigen.
Es ist das Ende der Trockenzeit im südlichen Laos. Unbarmherzig brennt die Sonne auf die Felsen der unzähligen Eilande, die im Binnendelta Si Phan Don - wörtlich übersetzt bedeutet das 4000 Inseln - den Mekong zu einem kilometerbreiten Labyrinth aus Wasser machen. Unmittelbar bevor sich sein Geflecht aus Wasserarmen wieder zu einem gigantischen Strom vereint und der Mekong die kambodschanische Grenze passiert, ergießt er sich über eine schier endlose Landschaft aus Klippen, Schluchten und Kaskaden: die Mekongfälle. Hier, wo der Mekong seine ganze, unbändige Kraft demonstriert, wird von der einheimischen Bevölkerung die alte Tradition des Fischfangs mit Flügelfallen, den Li, gepflegt.
Die Feierlichkeiten des buddhistischen Neujahrs, das die Regenzeit und damit auch die Li-Saison einläutet, sind vorüber. Überall wird Holz vom Festland angeliefert und mit Booten, Traktoren, Handkarren oder einfach auf den Schultern zu den Li-Standorten transportiert.
Auch Sin baut mit seinem Schwager und dessen Vater zwei Li. Die eine befindet sich direkt unterhalb des Khon Pasoi, einem der vielen Wasserfälle hier, die zweite etwa 300 Meter weiter flussabwärts. Wer wo eine Li bauen darf, ist traditionell festgelegt. Dieses Recht wird von der Dorfgemeinschaft nicht angetastet.
Nachdem Sin und die beiden anderen Fischer das nötige Holz herbeigeschafft haben, errichten sie das Skelett der ersten Li. Die Sicherheit, mit der sie sich in den reißenden Fluten des Mekongs bewegen, das Wissen, wie die Pfähle in den Stromschnellen zu positionieren sind, zeigt ihre tiefe Verbundenheit mit dem Fluss.
Insgesamt benötigen Sin, sein Schwager und sein Schwiegervater für den Bau der drei Meter hohen und zehn Meter langen Li knapp zwei Wochen. Mehr als 60 Kilogramm Nägel haben sie am Ende in der Li verbaut und ein zehn Kubikmeter großes Fundament gefüllt mit zentnerschweren Felstrümmern vom Grund des Mekongs. Außer einem Hammer und ihrem Fischermesser haben sie nur das Wissen der Vorfahren und die Kraft ihrer Körper eingesetzt.
Jetzt, da die Li steht, heißt es warten. Mit all den anderen Fischern, die eine der insgesamt etwa 500 Li gebaut haben. Die Männer warten auf den Regen. Und das Wasser. Weil dann die Fische kommen.
Zwischen Überleben und Verbot
Auch außerhalb der Li-Saison leben sie - wie ein Großteil der Bevölkerung in Südlaos - fast ausschließlich von dem, was der Mekong ihnen gibt. Doch die Li-Saison ist etwas Besonderes. Steigt der Pegel des Mekongs während der Regenzeit an, findet bei Phnom Pen in Kambodscha ein weltweit einzigartiges Phänomen statt. Die Wassermassen des Mekongs drängen den Tonle Sap Fluss, der eigentlich vom Tonle Sap See in den Mekong fließt, aufwärts und zwingen diesen, seine Fließrichtung umzukehren. Das ist der Zeitpunkt, zu dem die große Fischwanderung beginnt. Riesige Fischschwärme schwimmen dann den Mekong aufwärts zu ihren Laichplätzen in Laos und Thailand. Dabei müssen sie die Mekongfälle überwinden. Enden sie an einem der steilen Wasserfälle, müssen sie umkehren und sich auf die Suche nach einem besser passierbaren Wasserlauf machen. Ermüdet von den vergeblichen Versuchen, die Kaskaden zu passieren, geraten sie dabei, wenn sie Pech haben, in eine der Fallen.
In der Zeit der großen Fischwanderungen, die in der Regel zwischen Juni und August stattfinden, werden die Fischer Tag und Nacht bei ihren Li verbringen. In halsbrecherischen Kletteraktionen über selbst gespannte Seile oder kurzfristig errichtete Bambusgerüste überqueren sie, egal ob Tag oder Nacht, den tobenden Fluss, um den Fang einzuholen. Zurück am sicheren Ufer werden sie voller Erwartungen von ihren Familien in Empfang genommen. Einige Wochen später wird der nun vollends unbeherrschbare Mekong auch die letzte Li mit sich gerissen haben. In guten Jahren haben die Fischer mit ihren Fallen dann viele Tonnen Fisch gefangen und das Überleben ihrer Familie für die nächsten Monate gesichert.
Eventuell reicht es sogar für kleine Investitionen, zum Beispiel in eine Kühlbox, um den Fang frisch zu halten. Steigt der Pegel des Mekongs zu Beginn der Regenzeit jedoch zu schnell, werden die Fallen überflutet oder vom reißenden Strom des Mekongs sogar zerstört, bevor die Fischwanderung die Mekongfälle erreicht. Die Gefahr, dass den Familien dadurch der Fang entgeht, auf den sie das ganze Jahr gehofft haben, besteht. Aber auf ein schlechtes Jahr folgt auch wieder ein gutes.
Doch auch von anderer Seite droht Gefahr für die Li-Fischerei. Im Jahr 2010 erließ die laotische Regierung im Rahmen eines neuen Fischerei- und Aquakulturgesetzes ein Verbot der Li-Fischerei, das allerdings nur sehr zögerlich umgesetzt wird. Über die Gründe für das Verbot gibt es nur Spekulationen. Zum einen kritisieren Naturschützer, dass seltene Arten wie der Mekong-Riesenwels zur Laichzeit gefangen werden. Manche sehen auch einen Zusammenhang mit den Staudammprojekten in Laos. Experten befürchten einen Rückgang wichtiger Fischarten, weil die Staudämme deren Wanderungen unmöglich machen würden. In den Fallen der Li-Fischer ließe sich dieser Rückgang gut dokumentieren. Andere sagen, die Tourismus-Industrie stecke dahinter, die den Tourismus in der Gegend fördern will.
Fakt ist, dass Sin eine siebenköpfige Familie ernähren muss. Täglich hält er sich mit dem, was der Mekong und sein kleines Reisfeld ihm geben, über Wasser. Alternativen zum Li-Fischfang sieht er keine. Früher einmal war er in nicht ganz seriöse Geschäfte verwickelt. Doch damit möchte er eigentlich nicht wieder anfangen.