Video über den Elektroschrotthandel und das "Recycling" in Accra, Ghana
Keine zwei Monate nach dem Verkaufsstart für das iPad hatte Apple zwei Millionen Geräte verkauft. Die Tablet-Computer stürmen einen Markt, der wie kein anderer explosionsartig wächst. Und zu jedem Gerät, das ist die Logik der boomenden Branche, wird es schon bald ein noch besseres Nachfolgermodell geben. Die Generationenfolge von Rechnern und anderen Elektrogeräten verkürzt sich im selben Maß, wie sich die Lebensdauer der einzelnen Geräte verkürzt.
Und was passiert mit den alten? Diese Frage ist für viele Laien uninteressant. Und selbst für Fachleute schwer zu beantworten.
Experten schätzen in einer Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), dass der weltweite Elektronikschrottberg jedes Jahr um 40 Millionen Tonnen anschwillt. Und damit zwei- bis dreimal so schnell wächst wie jeder andere sortenreine Müllberg. Für eine fachgerechte Entsorgung oder Aufbereitung fehlen in den hoch entwickelten Herstellerländern schon jetzt die Kapazitäten.
Die Organisation Basel Action Network (BAN) geht davon aus, dass 80 Prozent aller Geräte, die in den USA recycelt werden müssten, direkt nach Übersee verschifft werden. Nach China, Indien und in die schwach entwickelten Länder West- und Südafrikas. Genaue Zahlen kennt niemand.
Der anschwellende Altgerätestrom hat eine gute und eine schlechte Seite: "Länder wie Ghana, die keine nennenswerte Elektroindustrie haben, sind auf Second-Hand-Geräte angewiesen", sagt der Abfallwirtschaftsexperte Julius Fobil von der Universität von Ghana. Was für die Bürger der wohlhabenden Industrienationen Schrott ist, könne für ärmere Menschen in Entwicklungsländern ein wertvolles Gut sein.
Die Kehrseite: Die Importländer verkommen zu gefährlichen Endlagern für unseren giftigen Zivilisationsmüll.
Da in diesen ärmeren, strukturschwachen Ländern kein State-of-the-Art-Recycling möglich ist, verdienen sich immer mehr junge Menschen, darunter auch Kinder, ihren Lebensunterhalt, indem sie die Relikte unseres Wohlstands mit bloßen Händen und primitiven Mitteln ausweiden.
Giftiger Chemie-Cocktail
Begehrt ist etwa das Kupfer aus den Drähten von elektromagnetischen Spulen. Die störenden Isolierungen verbrennen die Arbeiter auf kleinen Scheiterhaufen aus Plastik, Platinen und Autoreifen. Auf der Müllhalde von Accra, der Hauptstadt von Ghana, lodern den ganzen Tag solche Feuer. Dem giftigen Qualm - bei der Verbrennung entstehen Dioxine und andere gesundheitsschädliche, schwer abbaubare Verbindungen - atmen die Menschen ungeschützt ein. Schwermetalle wie Blei, Quecksilber und Cadmium verseuchen den Boden und das Grundwasser. Über den nahe gelegenen Fluss gelangt der Chemiecocktail direkt in den Atlantik. Im Jahr 2008 untersuchte Greenpeace die Folgen des Elektroschrott-Recyclings in Ghana. Die Ergebnisse sind alarmierend.
Niemand weiß, wie viele Menschen sich diesen Gefahren unmittelbar aussetzen. Nicht einmal Julius Fobil, der vor Ort das Uni-Projekt "Urban Health" leitet. Doch dass es mehr werden, davon ist er überzeugt. Dass die Dämpfe, die Menschen einatmen, giftig sind, wissen zwar viele von ihnen, sagt Fobil. Doch sie brauchen das Geld zum Überleben.
Zwar verpflichtet die Baseler Konvention ihre 170 Teilnehmerstaaten seit 1989 dazu, die Ausfuhr von giftigen Abfällen, also auch Elektronikschrott, auf ein "Mindestmaß" zu reduzieren. Doch Großerzeuger wie die USA haben das Übereinkommen nicht ratifiziert. Außerdem hat das Vertragswerk einen Konstruktionsfehler.
Schlupflöcher im Vertrag
"Allen Übereinkommen zum internationalen Transport und Handel mit Elektroschrott fehlt eine konkrete Definition von 'Schrott'", erklärt Fobil. Der Inhalt der Container, die in Accra entladen werden, ist nie als "Schrott" deklariert - sondern zum Beispiel als "Spende". Trotzdem wandert ein Großteil davon direkt oder auf Umwegen auf die Müllhalde. Denn selbst die noch funktionstüchtigen Geräte haben oft nur eine kurze Rest-Lebensdauer. Auf diese Weise unterschlagen Hersteller und Verbraucher in den wohlhabenden Nationen die Kosten eines fachgerechten Recyclings. "Exteriorisieren der Kosten", nennt Fobil das.
Julius Fobil fordert, dass Geld und Know-how bereitgestellt werden, den im Importland verbleibenden Müll fachgerecht aufzubereiten oder zu entsorgen. Eine Idee für eine Geldquelle hat er auch schon: Strafzölle für altersschwache Computer. Dafür gibt es ein Vorbild, im Kfz-Handel: Nach Ghana dürfen keine Autos eingeführt werden, die älter als zehn Jahre sind. Für ältere Modelle muss der Importeur einen Strafzoll zahlen.
Das gemeinsame Ziel von Organisationen wie Greenpeace, BAN und Experten wie Julius Fobil ist klar: ein gerechter und transparenter Handel mit Altgeräten, moderne Recyclingbetriebe in den Importländern, Sicherheit für Mensch und Umwelt - eine Sicherheit übrigens, die nicht nur den Menschen in den Importländern zugute kommt. Der amerikanische Forscher Jeffrey Weidenhammer entdeckte 2006 Blei in billigem Modeschmuck aus China. In den Proben fand er auch Spuren von anderen Metallen - Metallen, die typischerweise in Computern verwendet werden. Offenbar stammte das Blei aus dem Lötzinn von Platinen.