Herr Stengert, in den Achtziger Jahren hat alle Welt vom großen Waldsterben geredet und berichtet. 2003 wurde das dann von Renate Künast offiziell für beendet erklärt. Zu Recht?
In den Achtziger Jahren kam es durch die sogenannten neuartigen Waldschäden zu großflächigen Absterben von Waldflächen. Daher auch der Begriff Waldsterben. Durch Gegenmaßnahmen konnte ein weiteres flächenhaftes Absterben vermieden werden.
Die Situation des Waldes insgesamt hat sich aber bis heute nicht wesentlich verbessert. Die Ursachen für die Schäden haben sich jedoch verschoben.
Wir vermuten, dass durch die „offizielle Beendigung“ der Wald insgesamt in ein besseres Licht gerückt werden sollte.
Und haben die Bemühungen um den Schutz des Waldes seitdem nachgelassen?
In den Medien hat das Interesse für die Waldschäden deutlich abgenommen. Die Bemühungen vor Ort haben unserer Ansicht nach nicht abgenommen. Aber natürlich wird es schwieriger Maßnahmen zum Schutz des Waldes zu rechtfertigen, wenn der Wald immer noch grün ist.
Gab es denn ein wirkliches Waldsterben oder war das politische und mediale Panikmache?
Die Wissenschaft stand vor einem unbekannten Problem. Wälder starben großflächig ab. Die Ursachen waren nicht völlig bekannt. Das Problem ist schließlich auch sehr komplex. Die Medien haben das Thema dankbar aufgenommen. Schließlich liebt der Deutsche „seinen“ Wald.
Im Nachhinein ist es immer einfacher, Situationen einzuschätzen. Heutzutage würde man vielleicht etwas vorsichtiger formulieren.

Wovon wurde der Wald denn genau bedroht?
Von Schadstoffen aus der Luft. Vor allem Schwefel- und Stickoxide, die durch Industrieanlagen, Verkehr und z.B. Landwirtschaft entstehen.
Die Schadstoffe kamen durch Niederschläge in den Boden, wo sie zur Versauerung des Bodens beitrugen. Durch diese Versauerung sterben Feinwurzeln der Bäume ab, die für die Wasser- und Nährstoffaufnahme extrem wichtig sind. Die Bäume verdursten und verhungern.
Wie ist der Zustand des Waldes heute einzuschätzen?
Der Wald hat sich nicht deutlich erholt. An dem Zustand hat sich insgesamt in den letzten Jahren wenig verändert.Die Ursachen sind jedoch verschieden.
Die Schwefeldioxid-Belastung hat deutlich abgenommen. Die Belastung mit Stickoxiden jedoch durch erhöhtes Verkehrsaufkommen zugenommen. Der Zustand der Böden lässt sich nicht kurzfristig ändern. Dadurch hat sich die Nährstoffversorgung nicht wesentlich verbessert. Die Kalkungen können die Bodensituation kurzfristig verbessern, müssen dazu aber regelmäßig etwa alle 10 Jahre wiederholt werden, was Kosten verursacht.
Hinzu kommen Witterungsextreme, wie z.B. der heiße und trockene Sommer 2003. Dazu wiederum kommen „Folgeschäden“ z. B. durch Insektenfraß.
All dieses wird bei der Aufnahme des Waldzustandes berücksichtigt. Daher liegt der relativ schlechte Zustand nicht immer primär an den neuartigen Waldschäden.
Interview: Hannah Wagner
