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Mogelpackung Biotüte

Plastiktüten belasten die Umwelt stark. Vermehrt werden sie deshalb mittlerweile auch in einer kompostierbaren Variante angeboten. Doch die biologisch abbaubare Tüte bringt kaum Vorteile

Die Plastiktüte ist der wohl populärste Gebrauchsgegenstand unserer Zeit. Was man auch einkauft, ob Kleidung, Schuhe oder Lebensmittel - fast alles kommt in eine Plastiktüte. Das Sortiment reicht vom hauchdünnen Tütchen für Obst und Gemüse bis zum reißfesten Müllbeutel. Im Jahr 2009 wurden allein in Deutschland 68.000 Tonnen von ihnen verbraucht. Weltweit werden jährlich etwa 600 Milliarden Kunststofftragetaschen hergestellt. Produziert werden sie mit hohem Energieaufwand fast ausschließlich auf der Basis von Erdöl. Und der Aufwand für die Herstellung steht in keinem Verhältnis zur Nutzung: Die meisten Plastiktüten werden nur ein einziges Mal verwendet.

Pro Kopf verbrauchen die Bürger in der EU etwa 500 Plastiktaschen pro Jahr
Pro Kopf verbrauchen die Bürger in der EU etwa 500 Plastiktaschen pro Jahr
© Marwood Jenkins/ Photographer's Choice/Getty Images

Dabei ist schon lange bekannt, wie schädlich die Tüten für die Umwelt sind. Bis sich eine Plastiktüte auflöst, dauert es, je nach Plastiksorte, einige Jahrhunderte. Das ist besonders dann schlimm, wenn der Plastikmüll achtlos in die Natur geworfen wird, wo er Pflanzen und Tiere belastet. Jährlich verenden etwa 100.000 Meerestiere und Seevögel weil sie sich in Plastiktüten verfangen, oder sie fressen.

Der zunehmenden Umweltbelastung durch Plastiktüten will die EU-Kommission nun entgegenwirken: Sie zieht derzeit in Erwägung, Plastiktüten zu besteuern - oder sie gar ganz zu verbieten.

Andere Länder gehen bereits mit gutem Beispiel voraus: Seit Juni 2009 sind in China alle dünnwandigen Plastiktüten verboten, für dickere wurde eine Abgabegebühr vorgeschrieben. In Italien herrscht seit Anfang 2011 ein Vermarktungsverbot für Plastiktüten. Statt dessen wird in den Geschäften auf biologisch abbaubare Tüten gesetzt.

Die Bezeichnungen "biologisch abbaubar" oder "kompostierbar" werden im Zusammenhang mit Kunststofftüten immer häufiger gebraucht. Leider werden sie oftmals falsch angewandt, was zu Verwechslungen und Ungenauigkeiten führt. "'Biotüte' heißt nicht automatisch, dass die Tüte kompostierbar ist. Es kann auch heißen, dass sie aus nachwachsenden Rohstoffen - wie zum Beispiel Mais - hergestellt wurde", weiß Heike Richter von der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V.

Vollständig kompostierbare Tüten werden meist auf Basis von Stärke hergestellt. Sie sind auch in Vergärungsanlagen, in denen Bioabfälle mit Hilfe von Mikroorganismen verringert werden, abbaubar. Allerdings enthalten die Beutel neben der Stärke auch noch weitere Zusatzstoffe wie Kunststoffe auf Erdölbasis, um die Stabilität zu verbessern. Diese Zusatzstoffe wirken sich negativ auf die biologische Abbaubarkeit aus. Das hat zur Folge, dass die Tüten um einiges länger benötigen, um zu verrotten als der übrige Kompost, der meist innerhalb von vier bis sechs Wochen reift. Von der Biotüte bleiben nach dieser Zeit kleine Plastikschnipsel zurück, die bis dahin nicht von den Mikroorganismen zersetzt werden konnten und so den Kompost verunreinigen. Das bereitet den Betreibern der Kompostieranlagen zunehmend Probleme.

Hinzu kommt, dass die Verbraucher die Tüten, im guten Glauben an ihre unproblematische Verrottung, zur Entsorgung ihres Hauskomposts nutzen. Die kompostierbaren Plastiktüten lassen sich in der Tonne allerdings so gut wie gar nicht von normalen Plastiktüten unterscheiden. So besteht die Gefahr, dass die Müllmänner die Biotonne wegen vermeintlich falscher Befüllung ungeleert stehen lassen oder aus gleichem Grund die Annahme an der Kompostieranlage verweigert wird. So entstehen den Kommunen vermehrt erhebliche Kosten für die Entsorgung des Restmülls.

Kompostierbare Tüten werden in immer mehr Supermärkten in der EU angeboten
Kompostierbare Tüten werden in immer mehr Supermärkten in der EU angeboten
© Pascal SITTLER/REA/laif

Wenn der Müll doch mitgenommen wird, heißt das aber nicht, dass die Tüten auch in den Vergärungsanlagen landen. Im Kompostwerk werden Störstoffe vollautomatisch aussortiert. In der ersten Sortierung werden so zum Beispiel Dosen, Batterien und Kunststofftüten von den Bioabfällen getrennt. Eine adäquate Sortiertechnik, um Biokunststoffe von anderen Plastikprodukten zu unterscheiden, gibt es bisher nicht. Daher wird jede Art von Plastik aus Biotonnen aussortiert und der Müllverbrennung zugeführt. "Kunststofftüten stören grundsätzlich die Verwertung des Bioabfalls, egal ob sie biologisch abbaubar sind oder nicht", weiß Martin Rubbert von der Kompost und Erden GmbH in Hamburg. "Die Tüten sind für uns praktisch nicht kompostierbar und wir nehmen sie grundsätzlich nicht an." Um den Biomüll zu entsorgen, sollten daher ausschließlich Papiertüten benutzt werden. Die kompostierbaren Plastikbeutel sind allenfalls für die Kompostierung im eigenen Garten geeignet.

Wie in Italien auf biologisch abbaubare Biotüten zu setzen, um die Vermüllung durch Kunststofftaschen zu reduzieren, ist also keine Lösung. Die nüchternde Bilanz der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen e.V. lautet: "Nicht die Tragetaschen sind das Problem, sondern der Mensch selbst." Noch bis zum 9. August 2011 sind EU-Bürger und Vertreter der Verpackungsindustrie daher aufgefordert, ihre Meinung in einer Online-Befragung kundzutun. Auf diesem Weg hofft die EU-Kommission herauszufinden, wie die Verwendung von Plastiktragetaschen reduziert werden und die Anforderungen für biologische Abbaubarkeit verbessert werden kann.

Online-Befragung der EU-Kommission

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