Meine Zeit ohne Strom, Telefon und Internet in der Comunidad Río Blanco habe ich nach etwa eineinhalb Wochen hinter mir. Es ist schon eine sehr einschneidende Erfahrung, für einige Zeit ohne Strom zu leben. Die Tageszeiten der Natur bestimmen auf einmal den gesamten Ablauf der Tätigkeiten des Tages.
Demzufolge verschiebt sich auch der eigene Rhythmus. Man steht zeitig zum Sonnenaufgang gegen 6:00 Uhr morgens auf und geht kurz nach Sonnenuntergang, also spätestens gegen 20:00 Uhr wieder ins Bett. Dazwischen bleiben etwa 14 Stunden, in denen man die gesamte Arbeit des Tages zu erledigen hat. Nie ist mir stärker vor Augen geführt worden, wie abhängig wir wirklich vom Strom sind und wie sehr uns diese technische Errungenschaft verändert hat.


Bevor wir (die Leute von FLOAGRI und ich) nach Río Blanco fuhren, waren wir zu einer Versammlung in der Comunidad Puni Bocana eingeladen, die nur nach einer einstündigen Kanufahrt über den Río Arajuno zu erreichen ist. Dies war ein besonderes Erlebnis, denn unser Kanu war extem wackelig. Mitunter bekamen wir derart Schlagseite, dass sich ein riesiger Schwall Wasser über uns in das Kanu ergoss, was wir dann gemeinsam mit aufgeschnittenen Plastikflaschen schnell wieder auszuschöpfen versuchten. Einige Male blieben wir an flachen Stellen des Flusses Stecken und hatten Mühe uns mit Stöcken zu befreien.
Kanusteuern mit Zuckerrohrschnaps
An manchen Stellen war die Strömung des Flusses so groß, dass unsere beiden Steuermänner - einer stehend vorne mit Stock in der Hand und einer hinten am Außenborder - die Kontrolle über das Boot verloren und diese versuchten mit heftigen Gerühre mit zwei Stöcken wiederzuerlangen. Natürlich hatten unsere Steuermänner vor der Fahrt einen gehörigen Schluck "veinticinco" (Zuckerrohrschnaps) zu sich genommen, was deren Fahrkünste nicht verbesserte. Erleichterung machte sich breit, als wir endlich mehr oder weniger tropfnass Puni Bocana erreichten.

Es passieren hier in Ecuador ja immer wieder seltsame Sachen. So geschah es, dass wir im Gebäude der örtlichen Schule von Puni Bocana saßen und auf einmal ein heftiges rumpeln hörten. Alle schauten erschrocken in die Richtung des Geräusches. Vor unseren Augen klappte unter Getöse ein Holzhaus der Comunidad zusammen und es blieb nur mehr ein Haufen Bretter und eine kleine Staubwolke übrig. Was mich danach noch mehr erstaunte war, dass kurz darauf die Gespräche weitergingen, als sei dies das normalste der Welt. Das Haus war also nicht mehr bewohnt, was mich beruhigte.
Nach einer weitern Stunde Wackelkanufahren, einer Autofahrt und noch einer Kanufahrt über den Río Napo (dieses Mal mit einem weitaus sichereren Gefährt), kamen wir an der Anlegestelle an, an der der einstündige Fußweg zur Comunidad Río Blanco beginnt.

Im Regenwald verlaufen

Diesen galt es nun mit Sack und Pack zu überwinden. Das ist gar nicht so einfach, denn mit dem gesamten Gepäck, in dem sich auch die GPS-Ausrüstung befand, ist dieser Weg über unzählige tiefe Schlammlöcher und rutschige Baumstämme eine ziemliche Strapaze. Zu meinem Unglück hatte ich mich zuvor am Fuß verletzt, weshalb ich keine Wanderschuhe tragen konnte. Es blieb mir also nichts anders übrig, als den gesamten Weg in Flip-Flops zu überwinden. Stillschweigend gingen wir alle davon aus, dass Diego Grefa, der Präsident von KALLARI, der unseren Weg leitete, diesen auch kannte, was sich nach etwa einer Stunde als Trugschluss herausstellte. Wir verliefen uns im Wald, was uns eine weitere Stunde des "Wanderns" bescherte. Da wir uns relativ spät auf den Weg gemacht hatten, wurde es alsbald dunkel. So stolperten wir im immer dunkler werdenden Wald unserem Ziel entgegen. Glücklicherweise kamen wir alle, zwar eine Stunde zu spät und bis zu den Hüften Schlammverkrustet, aber heil in Río Blanco an.
Besondere Ehre: ganz alleine am Tisch sitzen
Am nächsten Tag wurde der Ablauf der Arbeit geplant. Man bot mir an, kostenlos in den Häusern der Familien von Río Blanco zu leben, wobei ich täglich meine Unterkunft wechseln sollte. Ich nahm dieses Angebot selbstverständlich dankend an. Am ersten Tag wurde mir in einer Familie eine ganz besondere Ehre gewährt: Ich durfte ganz alleine am einzigen Tisch des Hauses sitzen und bekam dort derart viel Essen serviert, dass es unmöglich war alles aufzuessen. Alle anderen Saßen in der Küche (ein Holzverschlag mit offener Feuerstelle) auf Holzbrettern und aßen dort von kleinen Tellern. Es ist eigentlich überflüssig zu erwähnen, wie unwohl mir dabei war.
