Auf dem sogenannten Dach der Welt, dem tibetischen Hochland, haben Forscherinnen und Forscher der Ohio State University in Eisproben zahlreiche Viren gefunden, die beinahe 15.000 Jahre alt sind. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden am 20. Juli dieses Jahres im amerikanischen Fachjournal "Microbiome" veröffentlicht.
Die Eisproben hatte das Forschungsteam bereits im Jahr 2015 am Guliya-Gletscher, der sich gut 6000 Meter über dem Meeresspiegel erstreckt, bei Eisbohrungen entnommen.
Von den gefundenen Viren sind 28 gänzlich unbekannt
Analysen der genetischen Codes ergaben nun, dass 28 der 33 gefundenen Viren, die tiefgefroren hunderte bis tausende von Jahren im Gletschereis überdauert haben, neu und bislang völlig unbekannt sind. "Diese Viren haben Signaturen von Genen, die ihnen helfen, Zellen in kalter Umgebung zu infizieren. Es ist fast surreal, wie ein Virus dadurch bei solch extremen Bedingungen überleben kann", sagt Matthew Sullivan, Co-Autor der Studie, in den Ohio State News.
Die Forschungsgruppe geht aber nicht davon aus, dass in diesem Fall eine der neu entdeckten Virus-Arten dem Menschen gefährlich werden könnte. Die in den Eisbohrkernen nachgewiesenen Viren scheinen eher pflanzlichen Ursprungs zu sein und damit - anders als das Coronavirus und seine Mutationen - weder Mensch noch Tier als Wirt zu befallen.
Eisschichten im Westen Chinas bislang kaum erforscht
Um zukünftig die Folgen und Gefahren besser einschätzen zu können, welche durch das rasante Abschmelzen der Gletscher und das daraus folgende Freilegen von Viren und Bakterien in bislang noch tiefer gelegenen Eisschichten ausgehen, bedarf es jedoch noch weiterer Forschung.
"Die Gletscher im Westen Chinas sind bisher kaum erforscht. Unser Ziel ist es, weitere Informationen zu nutzen, um vergangene Lebensräume zu untersuchen" erklärt Zhi-Ping Zhong, einer der Hauptautoren der Studie, in den Ohio State News. "Viren sind Teil dieser Lebensräume."
Forschungsleiter Lonnie Thompson ergänzt: "Wir wissen sehr wenig über Mikroben und Viren in solch extremen Lebensräumen. Sie zu dokumentieren und zu verstehen ist extrem wichtig: Wie reagieren Bakterien und Viren auf den Klimawandel? Was passiert, wenn wir von einer Eiszeit in eine Hitzephase kommen?"

Was die Zukunft bringt und welche Geheimnisse die gefrorenen Gletschereismassen noch bergen, bleibt ungewiss. International warnen Forscherinnen und Forscher allerdings seit Jahren davor, dass der Klimawandel womöglich Gefahren ungeahnten Ausmaßes freilegen könnte.
So beschrieben belgische Biologen 2017 in einer Studie, welche Gefahr von im Permafrost eingefrorenen Mikroben ausgehen kann. Sie hatten im 700 Jahre alten Karibu-Kot Viren gefunden, die sie im Labor wiederbeleben konnten. Ähnliches geschah 2014 in Frankreich. Dort erweckten französische Forscher ein seit 30.000 Jahren eingefrorenes Riesenvirus unter Laborbedingungen wieder zum Leben.
Fachleute schätzen, dass mit dem Abschmelzen der Gletscher zukünftig weitere Viren zum Vorschein kommen könnten. Die gute Nachricht lautet jedoch: Nicht alle werden für den Menschen gefährlich sein - viele Viren sterben schnell, sobald sie nicht mehr vom Eis konserviert und stattdessen den Umwelteinflüssen ausgesetzt sind. Das könnte das Risiko einer Infektion senken.
Forschende hoffen, dass künftige Funde aus dem Gletschereis einen gewissen wissenschaftlichen Nutzen haben werden - zum Beispiel im biotechnologischen Bereich. Und dass uns eine Pandemie aus dem Eis erspart bleibt.