Die Energieerzeugung aus der Kernspaltung feiert derzeit eine Renaissance – als klimaschonende "Brückentechnologie". Jüngst jubelte der französische Staatspräsident Emanuel Macron, "Atomkraft sei eine große Chance" für den Klimaschutz. Mit neun anderen EU-Staaten wirbt Frankreich dafür, dass die Kernenergie von der Kommission sogar als "grüne Investition" anerkannt und gefördert wird.
Nun emittieren Atomkraftwerke bei der Stromerzeugung im Vergleich zu herkömmlichen Kohle- oder Gaskraftwerken tatsächlich wenig Kohlenstoffdioxid. Doch sind sie darum schon "Klimaschützer", wie ihre Befürworter behaupten? Ganz im Gegenteil, argumentieren nun Energieexpertinnen und -experten.
In einer Studie zeigen Forschende des Netzwerks "Scientists for Future": Atomkraft ist nicht nur weitaus teurer und risikoreicher, als oft behauptet wird. Sie würde auch nicht so schnell zur Verfügung stehen wie nötig, um die Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahren signifikant zu senken. Zudem würde ihr Ausbau die Erneuerbaren Energien ausbremsen. Das Forscherteam um Ben Wealer von der TU Berlin weist in seiner Analyse nach, dass die Untersuchungen, auf die sich die Atomkraft-Befürworter stützen, "systematische Mängel" aufweisen.
Atom-Risiken werden heruntergespielt
Unfälle in Kernkraft-Anlagen etwa seien nicht so selten, wie oft behauptet wird. "In jeder Dekade seit den 1970er Jahren gab es schwere Unfälle und eine Vielzahl kleinerer Zwischenfälle", sagt Ben Wealer. "Kernkraft ist derart risikobehaftet, dass Kernkraftwerke nirgendwo versichert werden können." Die immensen Folgekosten von Katastrophen wie Fukushima, Tschernobyl oder Three Mile Island würden einfach der Allgemeinheit aufgebürdet.
Atomenergie ist "außergewöhnlich teuer"
Die Analyse der Studie zur Kernenergie als Mittel zum Klimaschutz zeige, so Co-Autor Christian Breyer, dass Kernenergie vor allem eines sei: "außergewöhnlich teuer". "Kernenergie war wirtschaftlich nie konkurrenzfähig und hat im Energiemarkt von Anfang an nur durch massive staatliche Finanzierung überlebt", so der Forscher von der finnischen Lappeenranta University of Technology. Hinzu kommen die sogenannten Ewigkeitskosten der bis heute ungeklärten Endlagerung. Schon heute sei die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien kostengünstiger als die durch fossile und nukleare Technologien.
Neue Kraftwerke kämen zu spät
Anders als von Emanuel Macron behauptet, kann die Atomkraft schon darum keinen nennenswerten Beitrag zur Klimagas-Minderung leisten, weil sie schlicht zu langsam ist. Die Klimakrise erfordert, so die Expert*innen der Studie, drastische Reduktionen in den kommenden zwei bis maximal drei Jahrzehnten. Die Planung und der Bau von Atomkraftwerken erforderten allerdings zwei Jahrzehnte. Die Reaktoren gingen damit zu spät ans Netz. Auch die von Macron favorisierte neue Generation von kleinen Reaktoren, so genannte Small Modular Reactors, sei noch "Jahrzehnte von einem möglichen kommerziellen Einsatz entfernt".
"Um dramatische Kipp-Punkte im Erdsystem zu vermeiden, müssen wir bis 2030 klimaneutral werden," sagt Co-Autorin Claudia Kemfert. "Der notwendige, schnelle Umbau des Energiesystems geht in der erforderlichen Geschwindigkeit nur mit Erneuerbarer Energie."
Kernkraft blockiert Investitionen in Erneuerbare
Als "größte Herausforderung beim Aufbau einer zukunftsfähigen Energieversorgung" bezeichnet das Forscherteam "die Überwindung der Widerstände des heutigen, von fossilen Kraftwerken dominierten Energiesystems". Die Kernenergie, so das Fazit der Studie, werde diesen Transformationsprozess nicht unterstützen, sondern blockiere ihn sogar – weil sie dringend erforderliche Investitionen in Erneuerbare, Speichertechnik und Energieeffizienz verhindere.