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Klimapolitik im Koalitionsausschuss Hat hier jemand "kurz vor 12" gesagt?

Bis zu 144 Autobahn-Ausbauprojekte sollen nach dem Willen der FDP in den kommenden Jahren vorangetrieben werden
Bis zu 144 Autobahn-Ausbauprojekte sollen nach dem Willen der FDP in den kommenden Jahren vorangetrieben werden
© DirkDaniel / Adobe Stock
Keine zwei Wochen nach dem dramatischen Appell des IPCC an die Länder handelt die deutsche Regierung. Aber nicht, indem sie ihre Klimaziele nachschärft. Sondern indem sie Verantwortung verwischt

"Nicht ich. Nicht jetzt. Nicht so": Das sind laut einer Studie die wichtigsten Argumentationsmuster in öffentlichen Debatten, wenn es darum geht, Klimaschutz zu verzögern.

Es ist die moderne, weiche Spielart der Klimaleugnung, und geradezu exemplarisch zu beobachten an den Ergebnissen des Koalitionsausschusses. Nach der Maxime "Nicht ich" arbeitet Verkehrsminister Volker Wissing schon länger. Mit schöner Regelmäßigkeit überschreitet sein Ressort die eigenen Emissionsminderungsziele und schert sich nicht daran.

Statt, nicht einmal zwei Wochen nach dem aufrüttelnden Appell des IPCC, endlich ein Tempolimit einzuführen, sollen für private Mobilität ohne Limits weiterhin Feld, Wald und Wiesen mit 144 Autobahn-Ausbauprojekten asphaltiert werden. (Und die Grünen verkaufen es in ihrer Hilflosigkeit auch noch als Erfolg, dass entlang jedes neu versiegelten Kilometers zusätzliche Flächen für Solaranlagen verbraucht werden sollen.)

Schwerer noch wiegt, dass die FDP sich mit ihrem Vorstoß durchsetzen konnte, die sektorscharfe jährliche Klima-Berichterstattung abzuschaffen. Bislang mussten die Sektoren Energie, Landwirtschaft, Verkehr, Gebäude, Industrie und Abfallwirtschaft jährlich berichten, ob sie die ihnen gesteckten Ziele auf dem Weg zu einer Minderung von 65 Prozent bis 2030 gegenüber dem Jahr 1990 und zur "Klimaneutralität" bis 2045 erreicht haben.

Man kann nun darüber streiten, ob das bislang funktioniert hat. Denn ein bisschen ist das mit den Sektorzielen wie mit dem Pariser Klimavertrag: Wer nicht liefert, muss deshalb noch keine Sanktionen fürchten. Von dieser Folgenlosigkeit hat Verkehrsminister Volker Wissing auch bisher schon profitiert.

Organisierte Verantwortungslosigkeit

Zukünftig jedoch wird die Verantwortung, die er für sein Ressort trägt, noch weiter verwischt: Statt jedes Jahr zu schauen, wo jeder Sektor steht, soll nun nur alle zwei Jahre eine Bestandsaufnahme erfolgen. Wer nicht liefert, kann seinen CO2-Überschuss mit den Über-Plan-Einsparungen anderer Sektoren verrechnen. In Zukunft werden also die für die jeweiligen Sektoren zuständigen Minister*innen, die ihre Einsparungsziele übererfüllen, den Druck von Ressorts nehmen, die gelegentlich oder systematisch ihre Ziele verfehlen. Man nennt das auch Verantwortungsdiffusion. Dass dieser Mechanismus im Sinne des Klimaschutzes größere Wirkung entfaltet als sein Vorgänger, darf getrost bezweifelt werden.

Das Kalkül ist leider nur allzu offensichtlich: Die FDP glaubt, ihren Wählerinnen und Wählern mit dieser nur notdürftig getarnten Absage an den Klimaschutz weiterhin freie Fahrt versprechen zu können: Keine Sorge, alles bleibt, wie es ist. Das Problem dabei: Deutschland als ganzes wird mit solcher Klientelpolitik die – übrigens nicht ausreichenden – selbstgesteckten Klimaziele deutlich verfehlen. Damit wird sich dann halt eine andere Regierung beschäftigen. Oder vielleicht auch nicht.

Es gibt noch ein viertes Argumentationsmuster, das die Forschenden in ihrer eingangs zitierten Studie identifiziert haben. Es lautet: "Es ist ohnehin zu spät." Noch sagt das zwar kein Minister, keine Ministerin. Aber gehandelt wird schon so.

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