Herr Dr. Ellrott, lässt sich konkret benennen, welche Auswirkung allein die Ernährung auf die Gesundheit der Menschen am Mittelmeer hat?
Das ist in den letzten Jahren gut erforscht worden. So verringert die nährstoff- und ballaststoffreiche sowie energieärmere, vornehmlich pflanzliche Kost dieser Küche die Gefahr von Übergewicht und damit verbundenen Stoffwechselkrankheiten. Auch bei bestehendem Diabetes wirkt sie sich positiv auf die Regulierung des Blutzuckers aus. Der hohe Anteil ungesättigter Fettsäuren, vor allem aus dem Olivenöl und Nüssen, sowie Antioxidantien, sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe aus Gemüse und Obst fördern zudem die Herzgesundheit: Bei Risikopatienten senkt die mediterrane Kost die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls oder einer schweren Herzerkrankung um 30 Prozent. Auch bei bestimmten Arten von Krebs und entzündlichen Krankheiten wie Rheuma zeigt die Mittelmeerkost in Studien präventive Effekte. Die positiven Auswirkungen der Mittelmeerdiät auf die Herzgesundheit wurden erst kürzlich durch eine große, mehrere Jahre andauernde Interventionsstudie in Spanien bestätigt. Bei keiner anderen Ernährungsform sind sie besser belegt.
Dieses Interview ist eine stark gekürzte Version. Lesen Sie das ganze Gespräch mit Ernährungspsychologe Dr. Thomas Ellrottin GEO Wissen Ernährung Nr. 6 "Was soll ich essen?"
Gibt es eine der Mittelmeerküche vergleichbare Kost auch bei uns?
Ja, auch in Mitteleuropa gibt es sehr nährstoffreiche, aber gleichwohl kalorienarme pflanzliche Nahrungsmittel wie etwa Blaubeeren, Rote Bete, Äpfel, Linsen, Chicorée oder Möhren. Aber für eine gesunde Ernährung spielen nicht einzelne Bestandteile die zentrale Rolle: Es kommt auf die Mischung an, die Kombination, welche Speisen wie oft gegessen werden. In Deutschland, Österreich und der Schweiz essen die Menschen im Durchschnitt kalorienreicher, mit einem höheren Anteil tierischer Fette und weniger naturbelassenen Lebensmitteln wie Gemüse und Obst. Daher könnten wir von einer an der Mittelmeerküche orientierten Ernährungsweise gesundheitlich durchaus profitieren.
Lassen sich die Vorzüge der Mittelmeerdiät übertragen? Davon bin ich überzeugt.
In Skandinavien ist das schon versucht worden. Dort haben sich Ernährungswissenschaftler der Universität Kopenhagen mit Spitzenköchen zusammengesetzt, um eine „New Nordic Diet“ zu entwerfen, die sich an den Vorzügen der Mittelmeerküche orientiert – die aber regionale Lebensmittel wie Kohl, Beeren, Fisch, Wurzelgemüse, Hafer und Roggen, Pilze und Kartoffeln in den Mittelpunkt stellt. Seltener auf den Tisch kommen dafür Butter, Salz, verarbeitetes Fleisch und Alkohol. Neue Studien legen nahe, dass eine traditionelle skandinavische Ernährung gegenüber der modernen Alltagskost ähnliche Vorzüge besitzt wie die Mittelmeerküche: Die Sterblichkeit sinkt, ebenso das Risiko für Diabetes und Herzkrankheiten. Wie die Mittelmeerküche beruht auch die traditionelle skandinavische Küche auf frischen, unverarbeiteten Produkten mit vielen Nährstoffen und auf gesunden Fettsäuren, die hier aber eher aus Fisch stammen als aus pflanzlichen Ölen.
Wie würde eine solche Diät bei uns aussehen?
Für eine Studie haben wir an unserem Institut kürzlich die positiven Aspekte der Mittelmeerdiät und eine klassisch deutsche Ernährungsweise zusammengeführt – sozusagen eine „New German Diet“ entwickelt. Diese orientiert sich geschmacklich an der deutschen Küche und versucht gleichzeitig, den gesunden Nährstoffmix der Mittelmeerküche zu erhalten. Das heißt zum Beispiel: Wie in der mediterranen Kost ist der Anteil der gesunden ungesättigten Fettsäuren sehr hoch. Allerdings ist nicht Olivenöl die Hauptquelle dieser Fette, sondern es sind Nüsse, Nussöl und das hierzulande gebräuchlichere Rapsöl, das ebenfalls ein sehr gutes Fettsäureprofil hat. Um der Mittelmeerküche näher zu kommen, müssen die tierischen Fette in der Kost teilweise ersetzt werden. So kann Butter beim Backen und Braten durch Rapsöl, teilweise sogar mit Buttergeschmack, ersetzt werden. Und der Verzehr von Fleisch, vor allem von verarbeiteten Fleisch- und Wurstwaren, muss verringert werden. Im Ergebnis nimmt auf diese Weise der Anteil ungesättigter Fettsäuren in der Ernährung zu – und wir müssen uns geschmacklich nicht weit von deutschen Vorlieben entfernen.
Dr. Thomas Ellrott leitet das Institut für Ernährungspsychologie an der Universität Göttingen.