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Neandertaler Leseprobe: Jäger des verlorenen Schatzes

Wie zwei Studenten auf die Idee kamen, auf einem Schrottplatz nach Relikten des Ur-Menschen zu graben

Am Donnerstag, dem 25. September 1997, schaut der Archäologe Ralf Schmitz gegen elf Uhr vormittags über den früheren Autoschrottplatz der Stadt Erkrath und ist verzweifelt. Seit fast zwei Wochen schon graben er, sein Kollege Jürgen Thissen sowie mehrere Studenten mit einem Fünf-Tonnen-Bagger Löcher in den Boden; inzwischen haben sie auf der Fläche eines halben Fußballfeldes Dutzende Kubikmeter Erdreich ausgehoben.

Nur ein einziger Grabungstag steht ihnen noch zur Verfügung – und bislang haben sie nichts als Geröll und Schutt gefunden sowie eine Wasserleitung beschädigt, weshalb eine der Gruben vollgelaufen ist.

Dabei hoffen die beiden, einer wissenschaftlichen Sensation auf der Spur zu sein. Denn dort, wo sie mit dem Bagger in den von Öllachen bedeckten Grund graben, verbirgt sich eine der bedeutendsten Fundstätten der Archäologie, so vermuten die beiden Forscher: ein legendärer Ort, dessen genaue Lage jedoch seit 1900 in Vergessenheit geraten ist.

Es ist jene Stelle, an der 1856 das berühmteste Skelett aller Zeiten gefunden wurde: die Knochen des Neandertalers (genannt "Neanderthal 1") – das erste jemals richtig als Urmensch erkannte Fossil.

Damals waren es Steinbrucharbeiter, Laien also, die auf die jahrtausendealten Skelettfragmente stießen. Das Sediment, in dem das Fossil lag, entsorgten sie als scheinbar nutzlosen Abraum, der mit der Zeit unter meterhohen Schuttschichten verschwand.

Genau diesen Abraum versuchen Schmitz und Thissen nun zu finden, denn sie hoffen, darin weitere Relikte aus der Neandertalerzeit zu entdecken – vielleicht sogar weitere Fragmente von "Neanderthal 1", die helfen könnten, neue Erkenntnisse über den Steinzeitjäger zu gewinnen.

Inzwischen ist es zwölf Uhr mittags, und alle Mühe scheint vergebens. Jahrelang haben sie die Grabung vorbereitet, haben altes Kartenmaterial gesichtet, Beschreibungen aus dem 19. Jahrhundert ausgewertet, haben zahlreiche Anträge gestellt und schließlich die Kosten so weit gedrückt, auf 8370 D-Mark, dass ihnen endlich – drei Wochen zuvor – die Genehmigung für das ambitionierte Vorhaben vom zuständigen Amt für Denkmalpflege im Rheinland und dem damaligen Grundstückseigentümer erteilt wurde.

Um die Ausgaben niedrig zu halten, haben die beiden Forscher ausschließlich freiwillige Helfer engagiert und leisten sich noch nicht einmal, wie sonst bei solchen Unternehmungen selbstverständlich, einen professionellen Baggerfahrer: Die zwei Archäologen steuern das Vehikel mit dem Dreieinhalb-Meter-Ausleger selber. Schaufel um Schaufel heben sie aus dem dicht gepressten Schutt.

Plötzlich zerreißt ein schriller Kreischton die Bagger-Geräusche, die Schaufel knirscht über massives Gestein: In drei Meter Tiefe ragt ein Felsstumpf aus den abgetragenen Schichten.

Hoffnung keimt auf, denn genau danach suchen die Wissenschaftler: nach einer steinernen Abbruchkante, dem Überbleibsel einer alten Felswand, die hier einst aufragte. An deren Fuß könnten 1856 die Bauarbeiter – darauf jedenfalls lassen alte Berichte schließen – jene Sedimente deponiert haben, aus denen damals die Knochen des ersten gefundenen Neandertalers geborgen wurden.

Die Erdhaufen stammten ursprünglich aus der "Kleinen Feldhofer Grotte", einer Höhle, die sich in ebenjener Felswand in 20 Meter Höhe befand und die dem Steinbruch zum Opfer fiel. Die Arbeiter schaufelten damals die in der Höhle befindlichen Sedimente als Abraum ins Tal, sodass sie sich direkt unterhalb des Höhleneingangs auftürmten.

Tatsächlich stoßen Schmitz und Thissen nun auf gelblichgrünes lehmiges Sediment, in dem verwitterte Kalksteinbrocken und Sinterstückchen eingeschlossen sind – eine typische Höhlenfüllung.

Am Tag darauf, dem letzten der Grabung, entdecken sie weitere Indizien, die anzeigen, dass sie wohl an der richtigen Stelle suchen und hier tatsächlich die Ablagerungen aus der Neandertaler-Höhle zu finden sind: Sie fördern ein steinzeitliches Messerchen zutage sowie fossile Tierknochen und einen Tropfstein, der nur in einer Höhle gewachsen sein kann.

Gut möglich, dass die zwei Forscher jetzt nur noch wenige Meter von ihrem jahrelang ersehnten Ziel entfernt sind.

Andererseits aber ist noch völlig unklar, ob Schmitz und Thissen tatsächlich Neandertaler-Knochen entdecken werden – und damit eine Geschichte weiterschreiben können, die von Anbeginn von Zufällen und Widerständen, von Forscherglück und Wagemut geprägt war. Eine Geschichte, in deren Verlauf eine Wissenschaft begründet wurde und ein Weltbild einstürzte. Sie beginnt vor 158 Jahren.

Den ganzen Text lesen Sie in GEOkompakt Nr. 41 "Der Neandertaler".

Neandertaler: KNOCHENPUZZLE: 140 Jahre nach der Entdeckung des allerersten Neandertaler-Skeletts finden die Archäologen Ralf Schmitz (l.) und Jürgen Thissen weitere Knochenfragmente und überprüfen, ob die Relikte zu dem bedeutenden Fossil passen
KNOCHENPUZZLE: 140 Jahre nach der Entdeckung des allerersten Neandertaler-Skeletts finden die Archäologen Ralf Schmitz (l.) und Jürgen Thissen weitere Knochenfragmente und überprüfen, ob die Relikte zu dem bedeutenden Fossil passen
© Peter Thomann

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GEO KOMPAKT Nr. 41 - 12/2014 - Der Neandertaler

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