Rekordfund Älteste Humanviren entdeckt. Führten sie vor Urzeiten zu einer Sterbewelle?

Herpesvirus als Computerillustration
Diese Computerillustration zeigt einen typischen Herpesvirus. Ähnliche Parasiten haben schon vor Urzeiten unsere Vorfahren und den Neandertaler befallen
© Kateryna Kon / Science Photo Library / mauritius images
Forschenden aus Brasilien ist ein sensationeller Fund geglückt: Sie haben die ältesten bekannten menschlichen Viren entdeckt. Gefunden in uralten DNA-Spuren aus der Altsteinzeit. Womöglich liefern sie einen Hinweis auf das Aussterben des Neandertalers 

Viren sind auf unserem Globus allgegenwärtig. Die winzigen Parasiten – meist bloß aus Erbgut und einer Eiweißhülle bestehend – finden ihre Wirte überall: Ob Pflanze, Tier oder Pilz, kaum ein Organismus wird nicht von den Plagegeistern befallen. Ja, selbst auf Bakterien haben sich etliche Virusarten spezialisiert.

Bei uns Menschen gehen zahlreiche Krankheiten – vom einfachen Schnupfen bis zum tödlichen Ebola – auf die Schmarotzer zurück. Manche Viren wird unser Körper nach einer Infektion wieder los. Andere der unter einem Tausendstel Millimeter kleinen Partikel nisten sich dauerhaft im Organismus ein und können so immer wieder Krankheitsschübe hervorrufen. 

Klar ist, dass auch unsere Ahnen und deren Ahnen schon mit Viren zu kämpfen hatten. Nun ist Forschenden der Universität Sao Paulo ein sensationeller Fund gelungen: der Nachweis der ältesten bekannten Humanviren. Die Krankheitserreger wüteten in grauer Vorzeit: vor rund 50.000 Jahren. Ihre Wirte waren Menschen, doch sie gehörten nicht der Spezies Homo sapiens an. Es waren Mitglieder der Art Homo neanderthalensis: Neandertaler.

Die uralten DNA-Relikte stammten aus einer Höhle im Altai-Gebirge 

Auf die Steinzeitviren stießen die Paläogenetiker rund um Marcelo Briones, indem sie umfangreiche Rohdaten durchforsteten: DNA-Sequenzen, die von anderen wissenschaftlichen Gruppen bereits zuvor aus fossilen Überresten gewonnen worden waren. Genauer gesagt aus Knochenfragmenten von Neandertalern, die aus der westsibirischen Chagyrskaya-Höhle stammten. Die Karstkaverne im russischen Altaigebirge gilt als exquisite Fundstätte altsteinzeitlicher Relikte.

Bei ihrer Suche nach verdächtigen Spuren in den Sequenzen richteten die Forschenden aus Brasilien ihr Augenmerk auf Viren, die über lange Zeit in den Körpern ihrer Wirte verharren, teils das ganze Leben hindurch. Und tatsächlich fanden sie Hinweise auf Vertreter von gleich drei bedeutenden Virusgruppen, die allesamt auch uns moderne Menschen attackieren: Adenoviren, Herpesviren und Papillomaviren.

Adenoviren lösen eine Vielzahl von Krankheiten aus – von Atemwegsinfektionen bis zu Magen-Darm-Leiden. Zu den Herpesviren gehört unter anderem das Epstein-Bar-Virus, das etwa Multiple Sklerose auslösen kann. Und Papillomaviren wiederum sind bekannt dafür, dass sie in Verbindung mit Gebärmutterhalskrebs stehen.

Dem Team um Marcelo Briones ist mithin nicht nur ein Rekordfund geglückt, sondern auch der Nachweis, dass Neandertaler von ganz ähnlichen Viren befallen wurden wie Homo sapiens.

Spannend könnten die prähistorischen Parasiten auch in Zusammenhang mit dem noch immer rätselhaften Aussterben des Neandertalers sein. Immerhin verschwand der altsteinzeitliche Vetter des modernen Menschen vor rund 40.000 Jahren von der Bildfläche. Wenige Jahrtausende, nachdem Homo sapiens nach Europa marschiert war.

Wurden womöglich Krankheitserreger wie Viren dem Neandertaler zum Verhängnis? 

Mehrere Thesen versuchen, den mysteriösen Exitus zu erklären. Unterlagen die Neandertaler unseren Vorfahren im Kampf um Ressourcen? War ihre Gruppengröße zu gering, so dass es schließlich zu Inzucht und genetischen Engpässen kam? Wurden sie Opfer von starken Klimaschwankungen? Oder aber waren es Krankheitserreger – Viren zum Beispiel –, die Homo neanderthalensis zum Verhängnis wurden? 

Neanderthaler im Museum
Weit mehr als hunderttausend Jahre lebten Neandertaler vornehmlich in Europa, doch vor rund 40.000 Jahren starb diese Menschenspezies aus 
© Lou Avers / picture alliance

Tatsächlich ist es nicht ausgeschlossen, dass die im Vergleich zum modernen Menschen etwas klobigere Spezies anfälliger gegenüber Infektionen war. Und sicherlich brachte der aus Afrika kommende Homo sapiens neue Erreger nach Europa. Vielleicht werden weitere Untersuchungen mehr Aufschluss über die möglicherweise schwächere Widerstandskraft geben. 

Fest steht: Die beiden Menschenspezies sind sich begegnet. Ja, sie haben sich sogar vermischt, Sex miteinander gehabt, Nachkommen gezeugt. Vor einigen Jahren gelang es Forschenden, aus Knochenfunden das Genom der ausgestorbenen Art zu rekonstruieren. Dabei stellten sie fest: Rund zwei Prozent der DNA moderner Menschen aus Europa und Asien gehen auf den Neandertaler zurück. Insofern lebt ein Teil von ihm auch heute noch in uns fort.