Neandertaler haben einer Studie zufolge vermutlich schon vor 125.000 Jahren ihre Umwelt umgestaltet. Das leitet ein internationales Forschungsteam aus Analysen einer Ausgrabungsstätte bei Halle ab. Demnach sorgte die regelmäßige Anwesenheit dieser Menschen damals dafür, dass hier für Jahrtausende eine offene Landschaft entstand - im Gegensatz zu den umliegenden dichten Waldgebieten.
Schon seit langem diskutieren Forscher darüber, seit wann der Mensch seine Umwelt gestaltet. Die Analyse der Fundstätten Neumark-Nord, zwei Becken im Geiseltal südlich von Halle, verschiebt diesen Zeithorizont nun weit in die prähistorische Vergangenheit: Nach der vorletzten Eiszeit – der Saale-Kaltzeit – war die Region während der Eem-Warmzeit – vor 126.000 bis vor 115.000 Jahren – eisfrei. Zunächst füllten sich die zurückgebliebenen Senken mit Wasser, so dass eine Seenplatte entstand. Die Seen verlandeten im Lauf der 11.000 Jahre und füllten sich mit Ablagerungen - darunter Überreste von Pflanzen und Tieren. Sie wurden hervorragend konserviert und geben nun Aufschluss über die damalige Flora und Fauna.
Hinterlassenschaften zeigen, wo Neandertaler gelebt haben
Die Analyse der Sedimente zeigt, dass das Areal zu Anfang der Warmzeit gut zwei Jahrtausende lang kaum bewaldet war – ganz im Gegensatz zur übrigen Region. Pflanzenreste deuten darauf hin, dass hier Büsche, Gräser und Pflanzen wie etwa Vogelknöterich (Polygonum aviculare) wuchsen. Vier vergleichbare Areale der näheren Umgebung waren dagegen komplett bewaldet, wie das Team um Wil Roebroeks von der niederländischen Universität Leiden im Fachblatt "Science Advances" schreibt.
Gleichzeitig zeugen mehr als 20.000 Steinwerkzeuge zusammen mit Resten von hunderten Großsäugern – darunter Elefanten, Nashörner, Auerochsen, Pferde, Rot- und Damwild – sowie Holzkohlen großer Feuer davon, dass Neandertaler gut zwei Jahrtausende lang in den Uferbereichen dieser Seen den größten Teil des Jahres verbrachten. "Nirgendwo sonst lässt sich eine Neandertaler-Präsenz über so lange Zeit nachweisen", sagt Ko-Autor Lutz Kindler vom Monrepos Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution in Neuwied. "Ihre Hinterlassenschaften lassen sich zeitlich und räumlich hochauflösend einordnen."
Das Team geht davon aus, dass die Aktivitäten der Neandertaler wie vor allem große Feuer die waldfreie Landschaft schufen. "Der offene Charakter der Vegetation in Neumark-Nord lässt sich nicht allein durch klimatische Faktoren, Bodenbedingungen, der Morphologie des Beckens oder die Gemeinschaften der Pflanzenfresser erklären", schreiben die Forscher. Auch natürliche Brände halten sie für unwahrscheinlich.
Durch Feuer und Lager wurden offene Landschaften geschaffen
Vermutlich hätten Neandertaler die offene Landschaft geschaffen und unterhalten – neben Feuern auch durch ihre Lager, durch Holzsammeln, Jagd und die Verarbeitung von Tierprodukten. "Die Entwicklung der Umwelt, die wir in Neumark sehen, lässt sich nicht anders erklären als von den damaligen Menschen deutlich beeinflusst", sagt Kindler.
Eine offene Landschaft lockt Jagdbeute an und fördert das Wachstum essbarer Pflanzen - die Entwaldung bringt den Bewohnern also zahlreiche Vorteile. Unklar ist indes, ob die Menschen die Umgebung gezielt entwaldeten oder ob dies ein nützliches Nebenprodukt ihrer Lebensweise war. Erst nach etwa 2200 Jahren änderte sich das Landschaftsbild wieder, und in dem Areal wuchs geschlossener Laubwald, wie in den benachbarten Gebieten. Gleichzeitig werden die Hinweise auf Neandertaler-Präsenz spärlicher.
Frühe Beispiele für eine bewusste Umgestaltung der Landschaft gebe es auch für den modernen Menschen, schreibt das Team. Erst im Mai hatte eine internationale Forschungsgruppe ebenfalls in "Science Advances" über Befunde am Malawisee im südlichen Afrika berichtet. Demnach schufen moderne Menschen dort vor etwa 85 000 Jahren durch Feuer eine offene Landschaft über Zehntausende von Jahren.
Im Vergleich dazu sei der Nachweis von Neumark-Nord zwar deutlich lokaler, schreibt das Team um Roebroeks, aber eben auch wesentlich älter. Die Studie zeige ein wichtiges, bisher unbekanntes Verhalten von Neandertalern, das mit den Befunden aus Malawi durchaus vergleichbar sei.
Zur zeitlichen Einordnung: Der moderne Mensch (Homo sapiens) kam nach derzeitigem Forschungsstand erst vor grob 45.000 Jahren nach Mitteleuropa. Die Neandertaler starben dort vor etwa 40.000 Jahren aus.