Sie geben ihm Namen, die einem harmlosen Narren gebühren: Bauernbruegel; Pieter, der Drollige; Pieter, der Lustige. Einer, der friedliche Bilder malt mit friedlichen Menschen. Kaum ein Bild, bei dessen Anblick man nicht lachen muss, schreibt sein erster Biograf. Aber dieser Drollige beschwört in Wirklichkeit Dämonen, er malt die Tanzenden unter dem Galgen, die Krüppel und Kranken, die Hybris und den Tod. Er malt Halluzinationen und Albträume, brennende Kirchen, die Hölle, gefallene Engel und Monster. Er schafft Massengemälde mit Hunderten Figuren, jede so detailliert, dass Jahrhunderte später Mediziner an manchen von ihnen angeschwollene Ohrspeicheldrüsen diagnostizieren oder Syphilis im dritten Stadium.
1566 malt Pieter Bruegel die "Volkszählung zu Bethlehem". Gut 200 Menschen sind auf dem Gemälde zu erkennen, und der Maler lässt es aus der Entfernung aussehen wie ein großes Spiel. Erst beim Nähertreten erkennt man die Trostlosigkeit und die Last, die kaputten Wagen im Schnee und die von der Arbeit gebeugten Rücken.
Jeder Bildausschnitt scheint wie ein neues, eigenes Bild und ist oft voll düsterer Ahnungen: das Blut, das aus dem Hals des Schweins in die Pfanne schießt; der Aussätzige mit Klapper, die vor der Seuche warnt; die bröckelnde Fassade des Wirtshauses; die schwarzen Zweige vor der roten Sonne, die den Horizont berührt.
Zwei Katastrophen sind auf diesem Bild verborgen. Katastrophen, die Bruegel nur ahnen konnte, aber die er so oft in seinen Gemälden festhält, dass er ihre Bedeutung gespürt haben muss. Und mitten hinein stellt er seine Hauptfiguren, die heiligsten Menschen des Christentums – so unscheinbar, dass man sie kaum findet.
Ein Dorf in Brabant. Es ist Dezember, die Zeit des Schweineschlachtens, wenn es so kalt wird, dass der Boden gefriert, die Tiere keine Eicheln mehr finden und das Fleisch sich lange lagern lässt. Träger schleppen Säcke über das Eis, eilen in die Wärme. Um nicht unter der Last zu straucheln, haben sie Stöcke dabei. Andere haben es schon zur alten Gaststätte geschafft. Drinnen ist es eng und dunkel, nur zur Hälfte deckt teures Glas die Fenster ab.
Auf dem zugefrorenen Fluss gehen Kinder über das Eis; andere sitzen auf Wangenknochen von Rindern und schieben sich mit Stöcken voran. In der Mitte des Dorfplatzes liefern sich Jungen eine Schneeballschlacht, werfen sich zu Boden, seifen sich ein.
Was aussieht wie ein Spiel, deutet tatsächlich auf eine Not hin: Dies ist die erste Katastrophe. Die Winter in der Nähe der Nordsee sind in der Regel milde; die Flüsse, Grachten und Kanäle frieren selten zu. Doch seit etwa sechs Jahren häufen sich in ganz Europa harte, lange, extreme Winter. Das Getreide wächst langsamer als früher und lässt sich in den kurzen, feuchten Sommern schwerer lagern. Es wird über Generationen so kühl bleiben – denn diese Dekaden sind der Höhepunkt einer kleinen Eiszeit.
Der Rhein friert zu, auch die Ostsee, der Bodensee, selbst Teile des Mittelmeers, in Venedig fahren Lastkarren über den zugefrorenen Canal Grande. Verzweifelte Eltern setzen ihre Nachkommen aus, weil sie sie nicht mehr ernähren können. Jene Märchen von Kindern entstehen, die sich in Wald und Schnee verlaufen.
Die Folge sind Missernten, Seuchen. Die Menschen hungern. Lebensmittel werden teurer und Revolutionen wahrscheinlicher. Prediger warnen vor der Strafe Gottes und dem Ende der Menschheit.
Unter dem bleigrauen Himmel dieser beginnenden Kälteperiode erfindet Bruegel ein neues Genre: das Winterbild. Er fängt das Licht eines Dezemberabends ein, wenn der Schnee die letzte Sonne reflektiert und einsetzende Finsternis einen blauen Schimmer über die Landschaft wirft. Es wird langsam dunkel und kalt, das Zwielicht schluckt die Schatten. Bald ist die Welt eine andere, wird eng und stumpf. Bruegel malt als Erster den Fall des Schnees, bildet den Wechsel der Jahreszeiten so detailliert ab wie keiner vor ihm.
Und noch etwas ist neu: Er malt keine Auftragsporträts, fast keine Sagenwelten. Sondern Alltag. Bauernhochzeiten, Feldarbeit, Wintervergnügen. Nicht das elegante Individuum der Renaissance interessiert ihn, sondern die rohe Masse. Sein Blick auf die Welt der Dörfer ist exakt und unsentimental. Die Maler des kommenden Goldenen Zeitalters werden sich dies zum Vorbild nehmen.
Sie werden seine Landschaften und seinen bäuerlichen Alltag nachmalen, selbst die Kompositionen werden sie sich abschauen: Hunderte Menschen in einem Wimmelbild, voller Farben, und dennoch wirkt kein Gemälde überfüllt, ist alles an seinem Platz.
Wie ein Notar stellt Pieter Bruegel fest, was ist. Er malt den ausgedienten Bienenkorb, der als Vogelnest oben am Gasthaus hängt, ebenso den Krug neben der Tür. Er sieht die drei Starentöpfe um das Fenster unter dem Giebel des Backsteinhauses. Alles hat eine Bedeutung – denn nicht aus Mitleid wurden die Nistkästen angehängt, sondern aus Hunger: Die fetten Küken gelten als Delikatesse.
Alles sieht er: den dürren Hahn mit zwei Hennen, den Mann kniend auf dem Hals des Schweines, die langstielige Pfanne, die das Schweineblut auffängt, das Beil zum Zerteilen der Hälften, das Stroh zum Absengen der Borsten.
Und immer ist mehr dahinter. Denn Bruegel sieht auch die Geldmünzen, die auf der Fensterbank im Gasthof liegen, den Beutel, die Schreibfeder, bewacht von einem Soldaten. Er sieht den Beginn einer Revolte – und das ist die zweite Katastrophe in diesem Bild.
Denn die Männer im offenen Fenster des Gasthofs sind Steuereintreiber. Die Plakette an der Hauswand über ihnen zeigt den Doppeladler der Habsburger, darunter die Kette des Ordens vom Goldenen Vlies. Dies ist das Zeichen König Philipps II. von Spanien: In seinem Namen werden die Steuern gesammelt.
Der Monarch herrscht vom fernen Iberien aus über die Niederlande, und da er durch einen jahrzehntelangen Krieg mit Frankreich schwer verschuldet ist, lässt er seine Untertanen bluten. Die Niederlande erbringen die Hälfte der Steuerlast, so berichtet ein Zeitzeuge. Schon des Königs Vater, der in Flandern geborene Kaiser Karl V., nannte die Provinzen seine "fette Milchkuh". Geistliche und Adelige brauchen nichts zu zahlen, nur Kaufleute, Handwerker, Bauern.
Die aber werden auch von der Klimaveränderung besonders hart getroffen. Im kalten Dezember des Jahres 1565 schreibt der Sekretär eines Kardinals aus Brüssel: "Wir leiden hier unter einer fürchterlichen Getreideteuerung, die täglich wächst. Ich weiß nicht, wie man das gemeine Volk im Zaume halten soll, das sehr erbittert ist und Lärm schlägt. Wenn das Volk erst aufsteht, dann wird es, fürchte ich, die Religion mit hineinmischen."
Der Schreiber behält recht: Das Volk mischt die Religion tatsächlich mit hinein. Seit Mitte des Jahrhunderts breitet sich die Reformation in den Niederlanden aus, immer mehr Menschen schließen sich Calvinisten, Lutheranern oder Wiedertäufern an – auch aus Protest gegen den Prunk, die Steuerfreiheit und die Rechtsbefugnisse der katholischen Kirche.
Philipp II. reagiert mit Unterdrückung, Inquisition, Hinrichtungen. Der Habsburger ist überzeugter Katholik, sein Bekenntnis die Staatsreligion. In jedem Andersgläubigen sieht er einen Ketzer, eine Bedrohung seines Reiches. "Lieber opfere ich 100.000 Menschenleben, als in der Verfolgung der Ketzer nachzulassen", sagt er.
Doch im Verborgenen gedeihen die verbotenen Lehren weiter: Unter freiem Himmel, in Wäldern, hinter Hecken heizen Prediger in geheimen Versammlungen die Wut der Massen an.
1566, in dem Jahr, in dem Bruegel die "Volkszählung zu Bethlehem" malt, explodiert der aufgestaute Zorn: Protestanten plündern und zerstören im Verlauf weniger Wochen Hunderte Gotteshäuser, vernichten Bilderschmuck, reißen Heiligenfiguren von Sockeln und zerfetzen Altargemälde. Ursache sind die Prunksucht und Eitelkeit der Kirche; zudem gilt strengen Calvinisten die Verehrung von Heiligenbildern als Götzendienst.
Philipp II. beschließt, ein Exempel zu statuieren. Er lässt 10 000 Soldaten aufmarschieren, doch auch die Aufständischen sammeln sich. Es kommt zu einem Krieg und der Teilung des Landes: in die unabhängigen protestantischen Niederlande im Norden und die katholischen Provinzen im Süden, die unter der Herrschaft der Habsburger bleiben.
Pieter Bruegel, der 1569 stirbt, wird das Ende dieses Konflikts nicht mehr erleben. Doch er ist Zeuge des Beginns. Die religiöse Unruhe, die Abneigung gegen die spanische Zentralregierung und der Druck der Steuern tauchen in seinen Bildern mehrfach auf. Im Jahr des Bildersturms 1566 malt er auch die "Predigt Johannes des Täufers", und lässt Johannes, wie die Waldprediger seiner Zeit – denen die Räume der Staatskirche verwehrt bleiben –, unter freiem Himmel predigen, umgeben von niederländischem Volk aller Couleur.
In der "Volkszählung zu Bethlehem" rückt Bruegel die massive katholische Backsteinkirche an den oberen linken Bildrand, weit vom Dorf entfernt, nur ein Paar besucht sie. Am oberen rechten Rand steht die Ruine einer mittelalterlichen Burg; früher hatte sie den Leuten aus dem Dorf wohl Schutz geboten, doch gegen die modernen Kanonen der Söldnerheere kann sie nichts mehr ausrichten, ihre Rechtfertigung ist verwirkt.
Die Menschen auf dem Bild sind keine Leibeigenen mehr, sie müssen nicht mehr beim Burgherrn um Erlaubnis fragen, ob sie heiraten oder die Gemeinde verlassen dürfen, schon im 15. Jahrhundert hat die Leibeigenschaft hier ihre Bedeutung verloren.
Und längst zählen nicht mehr nur die Größe des Grundbesitzes oder die Befehle der Kirche, sondern vor allem die Menge des Geldes. Umso mehr schmerzen da die Steuern.
Deshalb werden die Zahlungen in dem "Bethlehem"-Bild von einem Soldaten überwacht, der links neben dem Baum am Gasthof steht. Hinten, neben dem Reisigfeuer, lehnen die Lanzen des Begleitkommandos an der Wand. Als dunkle Masse erscheinen sie, viele mit dem Rücken zum Dorf, nur schwer auseinanderzuhalten.
Davor malt Bruegel einen hohlen Baum, auf der Spitze eine Krähe: Symbole für einen verrufenen Ort. In dem Baum ist ein provisorischer Ausschank untergebracht, dorthin zieht es nicht die ehrbaren Bürger, sondern wandernde Händler, fahrende Studenten und durchziehende Soldaten.
In dieser angespannten Situation erreichen die Hauptfiguren des Gemäldes das Dorf – zwar im Vordergrund abgebildet, doch an dem Geschehen gänzlich unbeteiligt. Niemand schaut sie an, sie schauen niemanden an. Maria, eingehüllt in einen blauen Mantel, schwanger mit dem Jesuskind, auf dem Esel sitzend. Daneben Josef, die Säge auf der Schulter, Hammer und Bohrer am Gürtel, Werkzeuge des Zimmermanns, Ochse und Esel trotten hinterdrein.
Sie sind gerade angekommen in Josefs Heimatdorf, zur Volkszählung, von Kaiser Augustus angeordnet, um Steuern zu bemessen. Doch wenn man es nicht wüsste: Man hätte sie nicht erkannt.
Weshalb Bruegel die Heiligen so nebensächlich behandelt, lässt sich nur vermuten. Er nutzt sie wohl, um seine Kritik an der Obrigkeit zu bemänteln. Denn offensichtliche Provokationen konnte er nicht malen, weder religiöse noch politische, sie hätten seine Hinrichtung bedeuten können: zu nah, zu prominent saß er bei den Vertretern der Macht in Brüssel, der Residenzstadt der spanischen Statthalter. Ganz sicher wollte er Maria und Josef nicht degradieren – die Heilige Familie hat im gesamten Christentum Bedeutung, gleichgültig ob unter Katholiken oder Calvinisten.
Aber Bruegel wird beeinflusst von den Schriften der Humanisten wie Erasmus von Rotterdam, von Kartographen wie seinem Freund Abraham Ortelius, der den ersten Weltatlas herausbringt, von den Forschern und Entdeckern der niederländischen Seefahrt.
Sie suchen nicht mehr nur nach dem Segen des Himmels, sondern auch nach der Exaktheit der Wissenschaft. In diese Zeit passen keine Heiligenscheine, keine Überhöhung mehr, die Darstellung muss so realistisch, so detailliert wie möglich sein. Daher malt Bruegel auf anderen Bildern die Heiligen Drei Könige mit derben, zerfurchten Gesichtszügen; und den Ort der Kreuzigung Jesu zeigt er als volkstümlichen Rummelplatz. In seinen jüdischen Dörfern werden Schweine geschlachtet und Steuern eingetrieben, sein Bethlehem ist kein exotischer Ort, sondern liegt direkt vor der Haustür.
Möglicherweise ist dieser Realismus auch eine subtile Kritik an den Mächtigen. Denn die katholische Kirche fordert in allen Bildern eine deutliche Unterscheidung der Heiligen von den anderen Menschen. Bruegel aber mischt sie unter niederländische Bauern.
Obwohl seine Motive häufig biblischen Ursprungs sind, nimmt er vermutlich nie einen offiziellen Auftrag der Kirche an. Gekauft werden seine begehrten Bilder von Privatleuten, aber auch von hohen Würdenträgern wie Kaiser Rudolf II. oder dem Kardinal Antoine Perenot de Granvelle. Die Kritik an den Autoritäten fällt ihnen offenbar nicht auf, vielleicht ist sie auch zu subtil, um Anstoß zu erregen – oder Bruegels Kunden nehmen sie wegen der Schönheit seiner Bilder in Kauf.
Von dem Maler selbst ist wenig bekannt. Keine Aufzeichnung von ihm, kein Brief an ihn ist hinterlassen. Selbst ob er Katholik oder Protestant war – in jener Zeit eine lebensentscheidende Frage –, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Kein eindeutiges Selbstporträt von ihm existiert. Und nur 45 Gemälde aus seiner Hand sind geblieben. Noch auf dem Sterbebett soll er seine Frau gebeten haben, einige kritische Bilder zu verbrennen, wohl um seine Familie vor der Verfolgung durch die spanischen Herren zu schützen.
Pieter Bruegel, der zeit seines Lebens bei seinen Landsleuten hoch angesehen ist, stirbt 1569 mit etwa 42 Jahren – unbekannt ist sein Geburtsdatum, unbekannt sind seine Ansichten, sein Ansporn, seine Ängste. Noch heute können die Symbole und Anspielungen in seinen Bildern nicht mit letzter Gewissheit entschlüsselt werden. Kaum ein Maler ist so rätselhaft wie Bruegel, der mehr war als bloß der Bauernbruegel, mehr war als Pieter, der Drollige.
Bruegels zwei Söhne sind ebenfalls Maler, der ältere wird als Pieter Breughel der Jüngere bekannt, der jüngere als Jan Brueghel der Ältere. Auch Jans Sohn, Jan Brueghel der Jüngere, wird Künstler, ebenso Pieters Sohn, Pieter III. (Die Schreibweise des Nachnamens variiert. Auch Pieter Bruegel der Ältere signiert seine Bilder zu Beginn mit "Brueghel"). Insgesamt leben in den folgenden 100 Jahren knapp ein halbes Dutzend seiner Nachkommen von seinen Ideen. Sie kopieren seine Bilder, wandeln sie ab, malen eigene. „Samtbrueghel“ nennt man einen später, „Höllenbreughel“ einen anderen, nach ihren Motiven, um sie vom Bauernbruegel zu unterscheiden.
Pieter Bruegel der Ältere wird über die Zeit vergessen, seine realistischen Darstellungen entsprechen schon bald nicht mehr den Vorstellungen des aufkommenden Barock. Nun sind in den südlichen Niederlanden Mythen und Götter in italienischen Formen gefragt.
Der erste Bruegel aber war stets bemüht, die Verbindungen zwischen göttlicher und menschlicher Welt zu zeigen. In jedem seiner Bilder lassen sich Wachstum und Verfall, Tod und Wiedergeburt entdecken, erscheinen Baum, Tier, Mensch und Heiliger oft in ähnlichen Farbtönen, ist alles aus dem gleichen Stoff gemacht.
Erst im 20. Jahrhundert werden seine Bilder wiederentdeckt, wird jener Maler gefeiert, der als Erster den Alltag und die Natur abbildete, das Leben seiner Leute, im Land seiner Zeit – und darin einen Kosmos fand, in dem der Mensch kein Ebenmaß der Schöpfung ist, sondern ein unvollkommenes, getriebenes Wesen. In einer Welt, die mächtiger ist als er selbst.