Mit Spannung erwartet Coburg am 14. Oktober 1922 die Ankunft eines Sonderzuges aus München. Der in fast allen deutschen Ländern außer Bayern verbotene Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund hat zum "Dritten Deutschen Tag" in die Stadt an der Itz geladen. Erstmals bei diesem Treffen gleichermaßen vaterländischer wie antisemitischer Verbände dabei: Adolf Hitler – und mit dem wortgewaltigen Agitator der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) rund 650 Männer der paramilitärischen Sturmabteilung (SA).
Aus Sorge vor Ausschreitungen hatten die Coburger Sozialdemokraten noch im Vorfeld versucht, die Anreise Hitlers mit seinen Leuten im Sonderzug zu verhindern. Doch die Regierung Oberfrankens gewährte die Teilnahme der Nationalsozialisten. Wenn auch unter Auflagen: etwa dem Verbot, mit wehenden Fahnen und Musik geschlossen durch die Stadt zu ziehen.
Gegendemonstranten werden niedergeprügelt
Vor dem Bahnhof haben sich Gegendemonstranten versammelt, als Hitler mit seinen Männern eintrifft und gar nicht daran denkt, sich an Regeln zu halten. Wie ein siegreicher Feldherr im Triumphzug marschiert er in die Stadt ein. Wer sich den Nationalsozialisten in den Weg stellt, wird von der SA brutal verprügelt.
Im Hofbräuhaus spricht er am Abend vor Tausenden, während sich die SA draußen Straßenschlachten mit Gegnern liefert. Am Sonntag ein ähnliches Bild. Hitler kapert das Festprogramm des "Deutschen Tages", marschiert eine Stunde vor dem eigentlichen Beginn mit etlichen Anhängern hinauf zur Veste Coburg und nimmt dort ein Defilee seiner Männer ab. Der offizielle Festzug der eigentlichen Veranstalter entfällt. Unter begeistertem Jubel reisen Hitler und seine Entourage gegen Abend wieder ab. Darin bestätigt, dass sich mit Lärm und Gewalt viel erreichen lässt.
Es ist dieses Wochenende im Oktober 1922, das noch einen anderen Mann in seinen Gedanken bestärkt. Wie Hitler ein Veteran des Ersten Weltkrieges, aber mit einem breiten, teigigen Gesicht und Neigung zum Doppelkinn: Franz Schwede.

Für den Betriebsinspektor der Städtischen Elektrizitätszentrale Coburg ist der "Deutsche Tag" eine Art politisches Erweckungserlebnis, von dem er später – in seinem Lebenslauf für ein Entnazifizierungsverfahren nach dem Krieg – schreiben wird: "So erlebte ich 1922 den Einmarsch Adolf Hitlers. Da sein Quartier im 'Alten Schiesshaus' neben der Elektrizitätszentrale und meiner Wohnung lag, kam ich mit ihm in unmittelbare Fühlung, hatte Gelegenheit, ihn persönlich zu sprechen und seine Reden zu hören. (…) Diese (…) haben mich derart ergriffen und begeistert, dass ich mich sofort der Bewegung anschloss und ein eifriger Verfechter der sozialistischen Zielsetzung der Partei wurde."
Schwede tritt nahezu umgehend in die Partei ein, gründet die NSDAP-Ortsgruppe Coburg mit. Mehrfach fällt er in den kommenden Jahren durch antisemitische Beleidigungen auf, wird schließlich deswegen entlassen. Zugleich macht er in der Partei Karriere, wird in Ämter im Rathaus gewählt und schließlich am 16. Oktober 1931 zum Ersten Bürgermeister der Stadt Coburg. Damit ist er der erste NSDAP-Bürgermeister der Weimarer Republik.
In seinem Lebenslauf wird er diesen Erfolg später seiner "sozialen Aufbaupolitik" zuschreiben. Tatsächlich sind es vor allem die schwere Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit nach dem Börsencrash von 1929 und die von Ränkespielen der Parteien der Weimarer Republik zermürbte deutsche Demokratie, die der bis dahin eher unbedeutenden NSDAP in Coburg, Bayern und dem restlichen Deutschen Reich massiven Zulauf bescheren.
Coburg wird zur ersten nationalsozialistischen Stadt Deutschlands
Franz Schwede gestaltet den Umbau Coburgs zur ersten nationalsozialistischen Stadt, als die sie die NSDAP bald feiern wird, aktiv mit. 1929 hat die Partei hier bereits die absolute Mehrheit. Schwede sieht sich selbst als Vorreiter der Bewegung. Die Stadt dient als eine Art Versuchslabor, wie man eine Gemeinschaft für die nationalsozialistische Sache gewinnen kann. Etwa indem man bei den Bürgern die Angst schürt vor Kommunisten und anderen "roten Horden", Druck und Gewalt auf Andersdenkende ausübt. Die Botschaften der NSDAP fallen in Coburg allerdings auch auf fruchtbaren Boden. Der Ort galt schon zuvor als Hochburg des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes. 1932 ist Coburg die erste Stadt, die Hitler zum Ehrenbürger ernennt.
Doch nicht nur Franz Schwede, auch die NS-Propaganda formt den "Deutschen Tag" von 1922 und die Stadt Coburg zu einem festen Bestandteil ihrer Legende um. Die Partei begeht den Jahrestag feierlich. Hitler beschwört im Wahlkampf des Jahres 1932 die Ereignisse von 1922, brüstet sich, wie er seinerzeit Coburg aus der Herrschaft der "Roten" befreit habe. Dies, verspricht er, werde ihm auch mit Deutschland gelingen.
Anfang 1933 bietet er sich und seine Partei der geschundenen Nation als Heilsbringer an. Adolf Hitler verspricht den Deutschen viel: Arbeit, Wohlstand, Frieden. Und eine überwältigende Mehrheit glaubt ihm.