Serie Ein Bild und seine Geschichte: Als der erste motorisierte Omnibus durch Berlin fuhr

  • von Rebecca Wegmann
1. Omnibus mit Benzin-Motor in Berlin Verkehr: Autobus. - Erster Omnibus mit Benzin-Motor in Berlin (Doppeldecker, gebaut von der Daimler-Motoren-Gesellschaft fuer die Allgemeine Berliner Omnibus-Actien- Gesellschaft ABOAG), seit November 1905 im Einsatz.
1. Omnibus mit Benzin-Motor in Berlin Verkehr: Autobus. - Erster Omnibus mit Benzin-Motor in Berlin (Doppeldecker, gebaut von der Daimler-Motoren-Gesellschaft fuer die Allgemeine Berliner Omnibus-Actien- Gesellschaft ABOAG), seit November 1905 im Einsatz.
© akg-images / picture alliance
Vor 120 Jahren revolutioniert der erste motorisierte Omnibus den Nahverkehr in Berlin. Trotz Pannen begeistert er die Menschen und verdrängt bald die Pferdewagen

Am Sonntagmorgen des 19. November 1905, heute vor 120 Jahren, rollt ein Omnibus von einem Betriebshof im Berliner Norden auf die Straßen der Reichshauptstadt. Angetrieben wird das Personenbeförderungsfahrzeug von einem Motor; damals eine Neuheit. Doch seine Jungfernfahrt übersteht der erste motorisierte Bus Berlins nicht. Angeblich wegen rauer Fahrtechnik zerbricht eine Fensterscheibe, Scherben bringen hier kein Glück – die erste Fahrt des Motorwagens fällt aus.

Doch es gibt noch eine Reserve: Wenig später an jenem Sonntag holt der zweite motorisierte Omnibus eine Schar wartender Fahrgäste zur ersten Fahrt eines motorisierten Omnibusses ab. Vom Halleschen Tor über die Friedrichstraße bis zur Chausseestraße transportiert der Kraftomnibus rund 40 Passagiere auf der Nord-Süd-Achse quer durch die Metropole. Es ist ein Wendepunkt in der Verkehrsgeschichte, denn in den Jahrhunderten zuvor trieben Pferde den öffentlichen Nahverkehr in Berlin und anderen europäischen Großstädten voran. 

Von der Sänfte zum Omnibus 

1662 erfand der französische Mathematiker Blaise Pascal den ersten heute bekannten öffentlichen Verkehrsdienst der Welt: Die "Carrosses à cinq sols". Für fünf Sol, die damalige französische Währungseinheit, beförderte eine Pferdekutsche Passagiere durch Paris. Die Achtsitzer verkehren nach festen Fahrplänen – auch wenn nicht alle Plätze besetzt sind. 

Auch in anderen europäischen Metropolen wie London, Wien und Berlin entwickeln sich im 17. Jahrhundert ähnliche Sänften- und Droschkendienste, die als Vorläufer des öffentlichen Nahverkehrs dienen. Oft können sie nicht mehr als zehn Personen mitnehmen. 1828 rollt erstmals ein – pferdegetriebener – Omnibus durch Paris. Wenig später auch in London und New York. Männer, Frauen und Kinder – wer sich eine Fahrkarte leisten kann, fährt mit, der lateinische Begriff "omnibus" ist Programm: "für alle". 

1825 stellt der Fuhrunternehmer Simon Kremser den wohl ersten bekannten Linienverkehr in Berlin auf. Seine Kutschen verkehren zu festen Preisen und Zeiten und mit Erlaubnis Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, zwischen Brandenburger Tor und Charlottenburg. Anders als ältere Wagenmodelle, genannt "Rippenbrecher", sind Kremsers Kutschen gefedert. Bei Regen ziehen die Kutscher ein Verdeck über. All das macht die "Kremser" beliebt bei den Berlinern, die Wagen revolutionieren den Nahverkehr in der preußischen Hauptstadt. 

Im Wettkampf um Berliner Fahrgäste

Ab den 1840er-Jahren eröffnen Fuhrunternehmen feste innerstädtische Linien in Berlin. Aufgrund der hohen Konkurrenz zwischen den mehr als 30 städtischen Busbetrieben schließen sich einige zusammen: Mit einem Kapital von einer Million Talern gründen sie am 25. Juni 1868 die Allgemeine Berliner Omnibus-Aktien-Gesellschaft (ABOAG), am 1. Juli nehmen mehr als 250 pferdebespannte Omnibusse den Betrieb auf. 

Mehr als 1000 Pferde gehören der ABOAG; die Arbeitstiere müssen mit großem Aufwand beherbergt, gefüttert, gepflegt und versorgt werden. Mehr als ein Drittel der Mitarbeiter kümmern sich um die Tiere. Um 1900 ist die ABOAG eines der führenden Verkehrsunternehmen der Reichshauptstadt – zumindest für Pferde-Omnibusse. 

Auch Pferde-Straßenbahnen verkehren dort. Und am 16. Mai 1881 fährt die erste elektrische Straßenbahn der Welt von Lichterfelde auf einer 2,5 Kilometer langen Strecke bis zur preußischen Hauptkadettenanstalt. Doch sie sind nicht die einzige Konkurrenz der pferdebespannten Omnibusse. 

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts startet der Bau der ersten deutschen Hochbahn. Ab dem 18. Februar 1902 fährt sie zwischen Stralauer Tor und Potsdamer Platz. Zügig wird die Strecke mit unterirdischen Abschnitten erweitert – die Berliner U-Bahn ist geboren. Die Fahrgäste erhalten teilweise höheren Komfort für weniger Geld, sodass die Betreiber der Pferde-Omnibusse ihre Preise anpassen müssen. 

Die ABOAG rüstet nach: Gemeinsam mit der Union-Elektrizitätsgesellschaft und der Gülcher-Akkumulatorenfabrik bauen ihre Ingenieure einen Fünf-PS-Motor in einen Omnibus. Der Prototyp wird 1898 auf der Tauentzienstraße getestet, gerät aber bei einem Ausweichmanöver in den Gegenverkehr. Auch nach mehrmonatigen Probebetrieb sind die Konstruktionsmängel nicht behoben. 

Anders rund 500 Kilometer entfernt von der Hauptstadt: Schon 1895 hatten die Automobilhersteller Benz & Cie einen Omnibus mit Verbrennungsmotor kreiert: Die Wagen verkehren auf einer Strecke zwischen Siegen, Netphen und Deuz. Erst 1905 kann die ABOAG mithilfe der Motorenfabrik Berlin AG (später Daimler-Benz) in Marienfelde einen motorisierten Omnibus entwickeln. 

Die Jungfernfahrt am 19. November ist ein Erfolg. Obwohl das Fahrzeug am Halleschen Tor eine Panne hat, sind die Berliner begeistert von der neuartigen Personenbeförderung. 

Auf dem "Blumenbrett" durch Berlin düsen

Über eine Wendeltreppe gelangen die Fahrgäste auf das Dach des Fahrzeugs und können dort auf einer Bank Platz nehmen – schon vor der Erfindung der "Doppeldecker". Die Berliner nennen es "Blumenbrett" und genießen die Aussicht über die Reichshauptstadt. Auf dem Fahrplan stehen auch Ausflugsorte wie Grunewald, Wannsee und Carlshof.

Die Fahrgastzahlen der ABOAG verdreifachen sich binnen weniger Jahre. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges verfügt die Aktiengesellschaft über mehr als 300 Kraftomnibusse. In den 1920er-Jahren fahren die ersten mit geschlossenem Deck. Schließlich werden die Pferde-Omnibusse eingestellt – sie rentieren sich nicht mehr.

1928 gründet sich die Berliner Verkehrsaktiengesellschaft BVG: Fortan fahren Busse, Straßen- und Untergrundbahnen unter einer Verwaltung. 120 Jahre nach dem ersten motorisierten Bus betreibt die BVG mehr als 150 Linien – mit über 1800 Kilometern Länge das größte Stadtbusnetz im deutschsprachigen Raum. Auch Sonderfahrten mit historischen Bussen bietet die BVG regelmäßig an.