Sylt–New York 1930 Ein Bild und seine Geschichte: Die deutsche Crew, die auf dem Hudson River landete

Flugboot mit Wolfgang von Gronau schwimmt auf Hudson River vor New Yorker Skyline
Panoramablick: Am 26. August 1930 landet der Pilot Wolfgang von Gronau mit seiner Crew in einem Flugboot in New York
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Vor 95 Jahren heben auf Sylt vier Männer in einem Flugboot ab, fliegen über den Atlantik und steuern New York an. Ein riskanter Pionierflug, der gar nicht genehmigt ist

Was für ein Anblick! Die Wolkenkratzer der New Yorker Skyline schrauben sich vor den vier Männern in den Himmel. An diesem Nachmittag des 26. Augusts 1930 steuern sie auf dem Hudson River die größte Stadt der Welt an – und bieten den Menschen in der Metropole ein Spektakel, wie sie es nie zuvor gesehen haben. Denn die vier halten nicht etwa mit einem gewöhnlichen Schiff Kurs auf New York, sondern mit einem Flugboot. Von Sylt kommend waren sie mehr als 40 Stunden in der Luft, haben nun ihr Ziel erreicht. 

Dabei handelt es sich bei dieser Atlantiküberquerung um eine improvisierte Aktion, von keiner deutschen Behörde genehmigt – und doch die Generalprobe für die spätere Weltumrundung des Flugpioniers Wolfgang von Gronau.

Luftschiff oder Flugzeug: Wem gehört die Zukunft?

Seine Fliegerkarriere beginnt von Gronau, 1893 in Berlin geboren, während des Ersten Weltkriegs. In der Weimarer Republik bildet er erst in Warnemünde, dann in List auf Sylt Piloten für die Deutsche Verkehrsfliegerschule aus. Von hier aus fliegt er für Trainingseinheiten nach Island und Nordwesteuropa. Seine Ambitionen sind klar: Von Gronau will Rekorde aufstellen – und die Fliegerei über Ozeane zu kommerziellen Zwecken möglich machen.

Vor ihm haben zwar Charles Lindbergh und andere den Atlantik überflogen, ein Linienbetrieb für Verkehrsflugzeuge zwischen Europa und den USA aber scheint in weiter Ferne. Eine Route mit Zwischenlandungen in Island und Grönland könnte, so die Überlegung, eine Chance sein. Mangels Landebahnen kommen nur Flugboote, die auf dem Wasser vor den Küsten nachgetankt werden können, infrage. 

Otto Lilienthal bei einem Flugversuch 1896 mit dem zuletzt konstruierten Hängegleiter

Flugpionier Erfinder Otto Lilienthal: Fliegen wie ein Vogel!

Er war der erste Mensch, der sich erfolgreich mit Flügeln in die Lüfte erhob: Der gelernte Ingenieur Otto Lilienthal baute raffinierte Apparate, die ihn mehrere Hundert Meter weit trugen. Am 23. Mai vor 175 Jahren wurde er geboren

So wie jene Maschine, die von Gronau zur Verfügung steht. Sein Flugboot "Dornier Wal", Kennzeichen D-1422, hat bereits weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Es handelt sich um jenes Gerät, mit dem der Polarforscher Roald Amundsen 1925 nach einem gescheiterten Versuch, den Nordpol zu erreichen, dem Tod entronnen war. 

Am 18. August 1930 hebt von Gronau mit seiner Crew ab. Ihr Auftrag ist klar: bis zum Nordkap fliegen – und dann zurück nach List. Die deutschen Behörden zeigen sich bei neuen, riskanten Flugzeugunternehmungen zögerlich, scheint die Zukunft im kommerziellen Verkehr doch den Luftschiffen zu gehören. Erst 1929 war dem "Graf Zeppelin" eine spektakuläre Weltumrundung geglückt. 

Wolfgang von Gronau Portrait
Zwei Jahre lang hatte Wolfgang von Gronau (1892–1977) den Transatlantik-Flug nach New York vorbereitet
© Scherls Bilderdienst/SVT / imago images

Von Gronau aber hat ein ganz anderes Ziel als den Nordpol im Kopf: Als die Mannschaft Island erreicht, fragt er seinen Kopiloten, den Funker und den Bordmechaniker: "Ich will weiter nach New York. Fliegt ihr mit?" Kurz darauf funkt er lapidar ans Verkehrsministerium nach Berlin: "Fliegen, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, über Island nach New York."

Riskant ist vor allem die Zwischenlandung an der Südspitze Grönlands: Die Küstenverläufe sind ungenau kartiert, das Wetter oftmals extrem und unvorhersehbar. Trotzdem landen von Gronau und seine Crew Tage später sicher in New York, werden dort begeistert von Menschenmengen empfangen. Von Gronau schreibt später: "Ungeheuer ist der Eindruck der Wolkenkratzer. Dann ein großer Moment: Die Kurve um die Freiheitsstatue. Die Landung im Hafen mit seinem großen Schiffsverkehr ist nicht ganz einfach." Selbst US-Präsident Herbert Hoover gratuliert den Fliegern – ebenso der übergangene deutsche Reichsverkehrsminister.

Zwei Jahre später bricht von Gronau schließlich zu einer Weltumrundung auf: Wieder startet er auf Sylt, wieder mit einem "Dornier Wal", genannt "Grönland Wal". Über Island, Grönland, Kanada, Alaska, Japan, China, Indonesien, Indien, Irak, Zypern und Italien fliegt die Crew in 111 Tagen nach Friedrichshafen am Bodensee.

Wirtschaftlich rentabel aber wird der Flugverkehr über den Nordatlantik erst Ende der 1930er-Jahre: Leistungsfähigere Flugzeuge machen Zwischenlandungen in Grönland überflüssig und ermöglichen Direktflüge zwischen Irland und Neufundland.