LGBTQIA+ Die Wurzeln der Queerfeindlichkeit – von Preußen zur AfD

Schriftzug "Hurensöhne" prangt auf einem Graffiti, das küssende Männer zeigt
Das Ende der Akzeptanz? Hasskriminalität gegenüber queeren Menschen nimmt in Deutschland seit mehreren Jahren zu. Auch die Zahl körperlicher Angriffe steigt
© Wolfram Steinberg / picture alliance
Rechtspopulisten haben eine neue Form von Queerfeindlichkeit gefunden, sagt der Historiker Benno Gammerl. Die Basis sieht er in preußischem Konservatismus und christlichen Traditionen

GEO: Herr Professor Gammerl, auf dem Weg zur Gleichberechtigung queerer Menschen in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan, denken wir nur an die "Ehe für alle" oder das Selbstbestimmungsgesetz. Gleichzeitig aber steigen die Zahlen queerfeindlicher Straftaten. Wie passt das zusammen?

Prof. Benno Gammerl: Das liegt sicherlich auch daran, dass die Wurzeln von Queerfeindlichkeit in Deutschland und Europa Jahrhunderte zurückreichen und fest in unserem kulturellen Gedächtnis verankert sind. Bestimmte Vorurteile gegenüber und Ängste vor Schwulen, Lesben, trans* und gendernonkonformen Menschen ziehen sich durch die Geschichte.

Zum Beispiel?

Nehmen wir das Narrativ von queeren Menschen als angeblichen Verderbern der Jugend. Das ist ein Vorurteil, mit dem die AfD heute immer wieder spielt, wenn sie etwa Flyer verteilt mit der Aufschrift: "Hände weg von unseren Kindern! Frühsexualisierung stoppen!" Neu ist diese Erzählung nicht: Im Deutschen Kaiserreich wollten Sittlichkeitsvereine alles, was mit Sexualität zu tun hatte, von Kindern fernhalten. Allein das Sprechen über sexuelle Vielfalt würde – so die Befürchtung – junge Menschen auf Abwege bringen. 1957 lieferte dann der Film "Anders als du und ich" die Blaupause für das Klischeebild vom schwulen, kunstsinnigen, kosmopolitischen Mann, der junge Leute verführt – und vor dem Eltern ihre Kinder schützen müssten. Ab 2014 organisierte das Bündnis "Demo für Alle" Kundgebungen gegen eine angebliche Frühsexualisierung, und heute ist es eben die AfD. Das ist ein queerfeindliches Stereotyp, auf das sich konservative, religiös-fundamentalistische und rechtsextreme Kräfte seit jeher berufen.

Wobei heute aber insbesondere trans* und gendernonkonforme Personen ins Visier der Anfeindungen geraten sind?