Tradition Die Geschichte des Weihnachtsbaums: Vom Aufstieg eines umstrittenen Symbols

Familie posiert um Weihnachtsbaum
Weihnachten im Jahr 1896: Ende des 19. Jahrhunderts hat sich der Tannenbaum in vielen Familien längst etabliert. Diese zeigt: Warum nur einen Weihnachtsbaum, wenn man auch mehrere haben kann?
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Steht er nun für das Christentum, die Germanen – oder einfach nur Konsumlust? Seit Jahrhunderten ringen verschiedenste Kreise um die Deutungshoheit über den Tannenbaum

Der Prediger am Straßburger Münster ist entsetzt. An Weihnachten 1647 geißelt Johann Conrad Dannhauer einen neuen Trend: Anstatt sich "Gottes Wort" hinzugeben, wie er schreibt, vergnügten sich Erwachsene mit einem "Kinderspiel", mit nichtigen "Lappalien": Sie stellen einen Baum auf. Und erfreuen sich schließlich auch noch an den Zuckerstangen, die an ihm hängen. Unerhört!

Mitte des 17. Jahrhunderts hat sich der Weihnachtsbaum zumindest im Elsass längst etabliert – zum Ärger von Geistlichen, die das geschmückte Grün vergeblich als heidnisches Ritual bekämpfen. Kontroversen um den Brauch sind so alt wie der Weihnachtsbaum selbst: Jahrhundertelang rangen verschiedenste Kreise um die Deutungshoheit über die geschmückte Tanne und instrumentalisierten sie für ihre Zwecke, zeigt der Autor Bernd Brunner in seinem Buch "Die Erfindung des Weihnachtsbaums".

Bereits 1539 stand ein Weihnachtsbaum in Straßburg 

Wann und wo der erste stand, ist umstritten. 1419, so heißt es in einer Überlieferung, hätten Bäckerknechte in der Weihnachtszeit in einem Spital in Freiburg einen Baum gesichtet, der mit Äpfeln, Lebkuchen und Flittergold geschmückt gewesen sein soll. Urkundlich belegt ist ein Weihnachtsbaum im Straßburger Münster 1539.

Offenbar ist das Grün damals in jener Gegend bereits so begehrt, dass Obrigkeiten um ihren Waldbesitz fürchten. 1554 verbietet Freiburg im Breisgau das "weyhenacht-meyen" – das Baumfällen –, und im Oberelsass dürfen die Bürger maximal "eine acht Schuh lange Tanne" mitnehmen (etwa 2,30 Meter). Überhaupt taucht das Wort "Weihnachtsbaum" auch zum ersten Mal in einem Abholzverbot auf, 1611 im oberelsässischen Turckheim.

Personen wählen Tannenbaum auf Markt aus
Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts steigt der Bedarf an Weihnachtsbäumen rasant: In jener Zeit entstehen Märkte, in denen Bäume aus unterschiedlichen Regionen feilgeboten werden
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Die Kirche, die großflächig Wälder besitzt, ist durch den Kahlschlag ebenfalls alarmiert. Gleichzeitig betrachten viele Geistliche den Tannenbaum als unchristlich – als einen Brauch, der von der religiösen Bedeutung Weihnachtens ablenkt. Schließlich hat man bereits ein zentrales, christliches Weihnachtssymbol, direkt aus Bethlehem: die Krippe. 

Sind grüne Zweige dagegen nicht etwas, mit dem die alten Römer den Jahreswechsel feierten? Hängten nicht die heidnischen Germanen zur Wintersonnenwende grüne Zweige in ihre Häuser, um böse Geister zu vertreiben? "Der Wunsch nach Grünem, Farbigem und Leuchtendem in der kalten Jahreszeit ist etwas sehr Elementares", schreibt Bernd Brunner. "Mittwinterlicher Grünschmuck sollte Lebenskraft und Fruchtbarkeit ausdrücken und herbeiholen, auch Unheil abwehren." 

Die Nazis erklären den Weihnachtsbaum zum germanischen Brauchtum

Die Kirche kann die Verbreitung des Weihnachtsbaums in deutschen Landen nicht aufhalten: Im 17. und 18. Jahrhundert entdecken Adel und Großbürgertum den "Zucker"- oder "Nussbaum" für sich, schaffen ihn in die gute Stube und machen ihn so zum Mittelpunkt des Weihnachtsfests innerhalb der Familie. Brunner: "Erst hier vollzog sich die Umdeutung vom Fruchtbarkeitssymbol zum christlichen Symbol." Vorerst allerdings nur bei den Protestanten: Für sie ist der geschmückte Baum das Gegensymbol zur katholischen Krippe. Und so hält die Tanne ab Mitte des 19. Jahrhunderts Einzug in evangelische Kirchen. Katholiken dagegen verunglimpfen den Protestantismus in jener Zeit noch immer als "Tannenbaum-Religion".

Das ändert sich vor allem, als der geschmückte Baum zum vermeintlich "deutschen Symbol" wird: Im deutsch-französischen Krieg 1870/71 steht er in Militärlagern und Lazaretten. Passend dazu baumelt an ihm Gebäck in Form von Reichsadlern und Eisernen Kreuzen. Anfang des 20. Jahrhundert wird die Schmuckpalette um gläserne Mini-Pickelhauben, Flugzeuge, U-Boote und Granaten erweitert. Der Tannenbaum steht nun in den Diensten des Militärs. 

Die Nationalsozialisten wiederum erklären ihn zum germanischen Brauchtum, zum Nachfahren des Lebensbaums aus der nordischen Mythologie. "Daß ein deutscher Tannenbaum mit der Krippe im Stall von Bethlehem etwas zu tun haben kann", heißt es in dem Buch "Weihnachten im deutschen Brauchtum" im Jahr 1937, sei völlig abwegig. Entsprechend soll jede christliche Symbolik verschwinden: Statt Engeln, Sternen und Glocken zieren den Baum nun Kugeln mit Urbildern aus der Tier- und Pflanzenwelt – um den Germanen als "Naturvolk" gerecht zu werden. Als krönende Spitze empfiehlt die NS-Propaganda – natürlich – ein Hakenkreuz. Oder jedenfalls ein germanisches Sonnenrad.

Soldaten stehen neben Weihnachtsbaum im Schützengraben
Im Ersten Weltkrieg nehmen Soldaten den Weihnachtsbaum mit in den Schützengraben, hier 1914 an der Ostfront
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Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg rückt der Weihnachtsbaum wieder ins Zentrum von Kontroversen. Bremen diskutiert 1950 erbittert über die Frage, ob Geschäftsleute die Tanne wirklich öffentlich aufstellen dürfen, um so ihren Umsatz anzukurbeln – oder ob sie als Symbol eines Familienfests nicht ausschließlich in den eigenen vier Wänden leuchten sollte. Für die 68er-Bewegung steht der Baum schließlich für nichts als Kommerz und "Weihnachtsterror".  

Immerhin die römisch-katholische Kirche macht doch noch ihren Frieden mit der Tanne: 1982 lässt Papst Johannes Paul II. zum ersten Mal einen Christbaum auf dem Petersplatz im Vatikan aufstellen – als Symbol für Gemeinschaft.

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