Nein, wir haben den Weihnachtsmann nicht Coca-Cola zu verdanken. Und trotzdem hält sich der Mythos hartnäckig, das Bild vom freundlichen, weißbärtigen, rundlichen Herrn im rot-weißen Gewand sei eine Erfindung des Getränkeherstellers.
Doch als Coca-Cola 1931 Santa Claus erstmals als Figur werbewirksam für seine Weihnachtskampagne einsetzte, konnte das Unternehmen auf eine prominente Vorlage zurückgreifen: den Weihnachtsmann des in der Pfalz geborenen Karikaturisten Thomas Nast. Er hatte Santa Claus bereits fast 70 Jahre zuvor gezeichnet, fast so, wie wir ihn heute kennen. Allerdings beglückte er mit diesen Zeichnungen anfangs nicht etwa Kinder – sondern Soldaten.
Als Karikaturist erreicht Thomas Nast ein Massenpublikum
Thomas Nast wird 1840 in der Festungsgarnisonsstadt Landau als Sohn eines Militärmusikers in eine Familie hineingeboren, die den gleichen Weg einschlägt wie so viele andere in jener Zeit: in die USA. In New York wollen die Nasts den Neustart wagen, um der Armut in der Heimat zu entkommen. Englisch jedoch fällt dem jungen Thomas zunächst schwer. In der Schule kommt er kaum mit, nur in einem macht ihm niemand etwas vor: im Zeichnen.
Einer New Yorker Wochenzeitschrift bietet er eine Skizze an, zeichnet zur Probe eine Fähre im morgendlichen Trubel und wird sofort eingestellt – da ist er gerade mal 15 Jahre alt. Gute Zeichner sind gefragt, die Fotografie steckt noch in ihren Anfängen. Schnell macht sich Thomas Nast einen Namen, wechselt Anfang der 1860er-Jahre zu der angesehenen Illustrierten "Harpers Weekly", die sich hochtrabend "Journal of Civilization" nennt. "Das Magazin lieferte politische Nachrichten und Kommentare zu nationalen und internationalen Ereignissen, bot den Lesern aber auch sentimentale Belletristik, Humor und Kulturnachrichten", schreibt die Autorin Fiona Deans Halloran in ihrer Biografie "Thomas Nast: The Father of Modern Political Cartoons". Der Karikaturist erreicht nun ein Massenpublikum, steigt mit politischen Bildern zum wohl berühmtesten Zeichner der USA auf und verdient ein Vermögen.
Im Amerikanischen Bürgerkrieg bezieht er immer wieder Stellung für die Unionsstaaten im Norden. Seine Zeichnungen sind bissige Kommentare zu Sklaverei und Rassismus in den Südstaaten. Angesichts des gewaltigen Leserkreises, den sie erreichen, erklärt US-Präsident Abraham Lincoln gar, Thomas Nast sei der "beste Werbeoffizier der Armee".
Als die Leserinnen und Leser am 3. Januar 1863 ihre "Harpers Weekly"-Ausgabe aufschlagen, entdecken sie darin eine Nast-Illustration mit der Bezeichnung "Santa Claus im Lager". Darauf zu sehen: ein Mann mit Rauschebart und Zipfelmütze, der in einem Armeecamp Geschenke an Soldaten verteilt. Auffällig ist seine Kleidung: ein Mantel mit Sternenmuster und eine Hose mit Streifen – eine Anlehnung an die US-amerikanische Flagge. Selbst der Weihnachtsmann steht der Union bei, so lautet Nasts Botschaft. Propaganda für die Nordstaaten.
Eine zweite Illustration in der gleichen Ausgabe zeigt eine Frau, die in ihrem Haus für das Wohl ihres Mannes – eines Soldaten – betet, während Santa Claus in seinem von Rentieren gezogenen Schlitten anrauscht, auf dem Dach landet und sich in den Kamin zwängt, um seine Geschenke zu verteilen. Nasts Weihnachtsmann sorgt für Heimeligkeit in Kriegszeiten, beschwört Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Die Motive für solche Zeichnungen erfindet der Karikaturist keineswegs selbst: Anfang des 19. Jahrhunderts brachten Einwanderer Weihnachtsmann- und Nikolaus-Erzählungen mit in die USA. In der Literatur war der Gabenbringer bereits angekommen: Washington Irving beschrieb Santa Claus als fröhlich-korpulent. Und Clement Clarke Moore ließ Sankt Nikolaus auf einem Schlitten von Rentieren ziehen. Aus seiner eigenen pfälzischen Heimat wiederum kennt Nast noch die Geschichten vom Beelzenickel, der artige Kinder mit Spielzeug und Süßigkeiten beschenkt.
Mit seinen Bildern macht Nast den Weihnachtsmann nun zu einer nationalen Identifikationsfigur. "Er traf einen emotionalen Nerv bei den Lesern", erklärt Fiona Deans Halloran. Auch nach Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges behält Nasts Santa Claus einen militärpolitischen Anstrich. 1881 erscheint der Weihnachtsmann in einem Parademantel: Auf dem Rücken trägt er einen Soldatenrucksack, in der Hand hält er einen Säbel, an seinem Arm baumelt eine US-Gürtelschnalle. Eine Taschenuhr zeigt zehn Minuten vor zwölf an: Die Zeit drängt, den Männern der Armee und der Marine endlich bessere Löhne zu zahlen, meint Nast – und kritisiert damit den US-Senat und die langwierigen Diskussionen über deren Sold.
Gleichzeitig lässt der Zeichner den Weihnachtsmann immer wieder auch als freundlichen Gabenbringer für Kinder auftreten – und entwirft Szenen, die Santa- Claus-Geschichten bis heute prägen: So wohnt Nasts Weihnachtsmann am Nordpol, wo in einer Spielzeugwerkstatt Geschenke hergestellt werden. "In einer Kultur, die zunehmend sentimentale Familienbilder schätzte, boten Nasts Weihnachtszeichnungen ein perfektes Bild des idealisierten Zuhauses", schreibt Halloran. "Kinder schliefen friedlich, im Kamin prasselte das Feuer und der Wohlstand brachte jeder Menge Weihnachtsgeschenke für alle."
33 Weihnachtsszenen zeichnet Nast für "Harper’s Weekly" bis 1886. Mit Mitte 40 jedoch ist seine große Karriere vorbei. Nichts scheint ihm mehr zu gelingen: Seine Zeichnungen treffen nicht mehr den Zeitgeist, Aufträge von "Harper’s Weekly" bleiben aus, eine eigene Zeitung geht schnell zugrunde, sein Geld verliert er durch Spekulation. Zunehmend verzweifelt und verbittert, bemüht er sich um eine Stelle im diplomatischen Dienst: 1902 entsendet US-Präsident Theodore Roosevelt Thomas Nast als Generalkonsul nach Ecuador. Dort stirbt er nur sechs Monate nach seiner Ankunft an Gelbfieber.
Sein Weihnachtsmann aber, der bleibt.