Die fünf Wörter wirken harmlos – und waren doch revolutionär. "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" lautet Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes (GG). Es ist eine Formulierung, über die lange gerungen worden war, bevor Abgeordnete die neue Verfassung vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949, feierlich in Bonn verkündeten.
Für den Gleichberechtigungsartikel kämpften vor allem die "Mütter des Grundgesetzes": Elisabeth Selbert (SPD), Friederike "Frieda" Nadig (SDP), Helene Weber (CDU) und Helene Wessel (Deutsche Zentrumspartei). Unter den 65 Mitgliedern des Parlamentarischen Rates, die ab September 1948 das Grundgesetz erarbeiteten, waren sie die einzigen Frauen.
Frauen durften ohne Einwilligung ihres Mannes weder arbeiten noch ein Konto eröffnen
Bereits in der alten Weimarer Reichsverfassung von 1919 hieß es: "Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten." Doch was meint "grundsätzlich"?
Frauen konnten zwar wählen und gewählt werden, dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) von 1900 zufolge konnten Frauen ohne Einwilligung ihres Mannes jedoch weder arbeiten noch Verträge schließen oder ein Konto eröffnen. Der "Gehorsamkeitsparagraph" legte fest: "Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu."
Statt die alte Weimarer Formulierung 1948 für das Grundgesetz leicht umzuwandeln, verfasste Elisabeth Selbert den neuen, klaren Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt". Der Sozialdemokratin ging es darum, so sagte sie später, "einen imperativen Auftrag zu geben, um das Familienrecht neu zu fassen."
Selbert (1896–1986), hatte nach der Schule zunächst bei der Post gearbeitet, später das Abitur nachgeholt, Jura studiert und eine Kanzlei mit dem Schwerpunkt Familienrecht eröffnet. Nebenbei engagierte sie sich bei der SPD.
Nadig und Weber forderten eine gesetzlich verankerte Lohngleichheit von Männern und Frauen
Frieda Nadig (1897–1970), ebenfalls Sozialdemokratin, hatte lange als Jugendfürsorgerin und Gesundheitspflegerin gearbeitet. Im Parlamentarischen Rat forderte sie gemeinsam mit Helene Weber (CDU) eine gesetzlich verankerte Lohngleichheit von Männern und Frauen. Die Mehrheit des Parlamentarischen Rates aber lehnte den Vorstoß ab – mit der Begründung, dass detaillierte Regelungen der Sozialordnung nicht Aufgabe des Grundgesetzes sein.
Erfolgreich war dagegen Nadigs Einsatz für die gesetzliche Gleichstellung unehelicher mit ehelichen Kindern. Gemeinsam mit Helene Weber setzte sie durch, dass es im Artikel 6 Absatz 5 GG heißt: "Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern."
Helene Weber (1881–1962) hatte zunächst Romanistik und Volkswirtschaftslehre studiert und als Lehrerin gearbeitet, bevor sie 1916 die Soziale Frauenschule des Katholischen Deutschen Frauenbundes in Köln gründete.
Vier Jahre später wurde sie die erste weibliche Ministerialrätin der Weimarer Republik, 1924 zog sie in den Reichstag ein. Im Parlamentarischen Rat kämpfte sie mit Helene Wessel für Artikel 6 Absatz 4 GG: "Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft."
Helene Wessel (1898–1969) hatte zunächst als Sekretärin der Zentrumspartei gearbeitet und sich in die Führungsriege nach oben gearbeitet. "Frauen müssen sich in die staatsbürgerlichen Aufgaben bewusst und freudig einmischen", sagte sie 1930. Wie Helene Weber stritt auch sie für den Schutz von Ehe und Familie, forderte im Parlamentarischen Rat aber auch mehr Volksabstimmungen als Ausdruck echter Demokratie.

Selberts Gleichberechtigungsartikel unterstützten zunächst weder die Sozialdemokraten noch die drei anderen weiblichen Abgeordneten im Parlamentarischen Rat. Nadig etwa befürchtete ein Chaos im Familienrecht; Weber und Wessel vermissten eine Formulierung, die die "Eigenart" des Weiblichen hervorhob.
Zweimal fiel Selberts Vorstoß im Parlamentarischen Rat durch. Daraufhin leistete sie nicht nur bei ihren Kolleginnen Überzeugungsarbeit, sondern startete – entgegen allen Konventionen – eine öffentliche Kampagne. Sie hielt Vorträge in verschiedenen Städten, gab Interviews, nahm Kontakt zu Frauenverbänden auf, sprach mit Ehefrauen von Politikern. Tatsächlich stieg schnell der öffentliche Druck auf den Rat: Tausende Protestnoten und Briefe mit der Forderung nach Gleichberechtigung erreichten den Rat.
Der "Gehorsamkeitsparagraph" wurde erst 1957 gekippt
Am 18. Januar 1949 wurde der Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" einstimmig angenommen und im Grundgesetz verankert. "Es war die Sternstunde meines Lebens", schrieb Selbert später.
Sofortige Gleichberechtigung brachte das Grundgesetz nicht: Obwohl der Artikel eine Reform des BGB notwendig machte, ließ der – mehrheitlich männlich besetzte – Bundestag die Frist verstreichen. Erst 1957 wurde der "Gehorsamkeitsparagraph" gekippt. Frauen konnten zwar nun erwerbstätig sein, aber nur, wenn dies mit ihren Pflichten als Hausfrau und Mutter zu vereinbaren war. Bis zur grundlegenden Reform des Ehe- und Familienrechts, das dem Geist von Selberts Gleichheitsgebot entsprach, dauerte es noch bis 1977.
Während Nadig, Weber und Wessel bald in den deutschen Bundestag einzogen, geriet Selberts Karriere ins Stocken. Nach ihrem Alleingang war das Verhältnis zu ihrer Partei zerrüttet, Ende der 50er-Jahre zog sie sich aus der Politik zurück.