Hastig, wie in aller Eile aufs Papier gebracht, sehen die Skizzen aus. Grobe, schwarze Linien fügen sich zu einem Plenarsaal. Schemenhaft lassen sich Sitzreihen und Politiker ausmachen, Wappen an der Wand, eine Flagge an der Seite.
Die Kreidestriche markieren die Anfänge der ersten Bundesregierung im Herbst 1949 in Bonn – und die Geburtsstunde der neuen Demokratie. Am 7. September jenes Jahres fand die konstituierende Sitzung des ersten Deutschen Bundestages statt, acht Tage später wählten die Abgeordneten Konrad Adenauer, den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, zum Bundeskanzler.
Konrad Adenauer fand an seinem Porträt wenig Gefallen
Den politischen Neuanfang hielt eine der bekanntesten Zeichnerinnen Englands fest. Als gebürtige Deutsche – und Jüdin – einst vor den Nazis geflohen, kehrte sie nun zurück, um die Wandlung ihres Heimatlandes zu skizzieren. Ihr Name: Milein Cosman.
1921 in Gotha geboren und in Düsseldorf aufgewachsen, suchte sie als Jugendliche nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst Zuflucht in einem Schweizer Internat. 1939 emigrierte Cosman nach England, studierte Kunst und arbeitete danach in London als Illustratorin für Sach- und Kinderbücher. Aufsehen erregte sie vor allem mit ihrem Talent, in kürzester Zeit mit wenigen Strichen Momentaufnahmen einzufangen – gezeichnete Schnappschüsse: Nach Kriegsende porträtierte sie Schauspielerinnen, Musiker, Tänzerinnen, Intellektuelle und Schriftsteller wie Thomas Mann oder Erich Kästner. Mehrere Ausstellungen zeigten ihre Werke.

Im Juni 1949 besuchte sie zum ersten Mal seit ihrer Flucht Deutschland: In der gerade erst gegründeten Bundesrepublik skizzierte sie die von Bomben zerstörten Städte, reiste durch das Land, in dem sie einst aufgewachsen war.
Noch im gleichen Jahr sah Cosman die Chance gekommen, ihre Karriere weiter voranzutreiben: Die Münchner Zeitschrift "Heute", die erste deutschsprachige Illustrierte nach Kriegsende, entsandte die Künstlerin nach Bonn. Hier sollte sie nicht nur den Parlamentsbetrieb und das Rheinufer zeichnen, sondern auch die Mitglieder des Kabinetts Adenauers – auch wenn die Namen der Politiker Cosman wenig sagten.
Die 28-jährige Zeichnerin nahm an Debatten und Sitzungen des Parlaments teil, verfolgte die Pressekonferenzen. "Rückblickend bin ich erstaunt, dass ich nicht in meinen Schuhen gezittert habe. Aber diese Gelassenheit war, so denke ich, der Schlüssel zur Erledigung der Aufgabe. Es war keine Heldenverehrung im Spiel. Und keine Angst", sagte Cosman später.
So sandte sie ihren Auftraggebern der "Heute"-Redaktion mehr als 60 Zeichnungen und Porträts. "In der Linienführung ihres Zeichenstiftes kommt die vibrierende Stimmung dieser Tage, aber auch das Unfertige, Offene der politischen Situation unmittelbarer zum Ausdruck als es eine Fotografie wiederzugeben vermocht hätte", erklärte 2022 Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages.

Doch Cosmans Unbefangenheit brachten ihr in Bonn auch Probleme ein: Bundeskanzler Adenauer, den sie während einer Pressekonferenz mit ernster Miene zeichnete, konnte seinem Porträt wenig abgewinnen. Er lud die Künstlerin in sein Haus in Rhöndorf ein – mit der Aufforderung, dort einfach ein bereits existierendes Abbild von ihm abzuzeichnen. Cosman, die großen Wert darauf legte, ihre Modelle ohne deren Einflussnahme zu zeichnen, lehnte empört ab.
Ihre Skizzen erschienen im November 1949 auf zwei Doppelseiten in einer "Heute"-Ausgabe – und verschwanden dann in einem Schrank in Cosmans Haus in London. In England auf zahlreichen Ausstellungen für ihre Porträts von Persönlichkeiten wie Joseph Beuys, Günter Grass, Friedrich Dürrenmatt und Igor Stravinsky gefeiert, blieb sie in Deutschland lange Zeit vergessen. Kurz vor ihrem Tod 2017 erstand die Kunstsammlung des Deutschen Bundestages die Bonn-Skizzen.
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