Seekriegsgräber Taucher plündern Weltkriegswracks: "Die Souvenirjagd kennt keine Grenzen"

Das Wrack der Cap Guir
Nicht alle Tauchgänge dienen heutzutage wissenschaftlichen Zwecken. Hier das Wrack der "Cap Guir": Der Transporter mit 700 bis 800 Flüchtenden wurde am 16. April 1945 von einem sowjetischen Torpedo getroffen. Das Schiff sank südlich von Gotland, niemand überlebte
© Jonas Dahm / Ocean Books
Gesunkene U-Boote und Schiffe aus den Weltkriegen werden immer häufiger Ziel von Plünderern, warnt der Historiker Christian Lübcke. Über brachiale Tauchfahrten und die Totenruhe

GEO: Herr Dr. Lübcke, vor einiger Zeit wurde vor der belgischen Küste das Wrack des deutschen U-Boots "SM UB-57" gefunden, das 1918 gesunken war. Als Beauftragter für Seekriegsgräberangelegenheiten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge warnen Sie vor Plünderern. Was suchen Taucher in alten Schiffs- und U-Boot-Wracks?

Dr. Christian Lübcke: Das können persönliche Gegenstände von Besatzungsmitgliedern sein wie Orden, aber auch Dinge wie der Bordkompass, die Schiffsglocke oder der Maschinentelegraf. Aus dem Wrack der 1945 gesunkenen "Wilhelm Gustloff" haben Taucher Bullaugen herausgeschnitten. In der Nähe von Helgoland haben andere bei mehreren Kreuzern aus dem Ersten Weltkrieg ganze Geschützrohre ausgebaut. Aus dem U-Boot "U 251" wurde der massive Waschtisch des Kommandanten entwendet! Dazu muss man wissen: Man spaziert ja nicht einfach in so ein gesunkenes U-Boot und trägt da mal eben einen Tisch raus. Um das Inventar herauszubrechen, ist brachiale Gewalt notwendig.

Christian Lübcke blickt in kamera
Der Marinehistoriker Dr. Christian Lübcke ist Landesgeschäftsführer des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Hamburg und Beauftragter für Seekriegsgräberangelegenheiten

 

Aber wozu dieser Aufwand?

Das wüsste ich auch gerne. Man stellt sich ja keinen herausgebrochenen U-Boot-Waschtisch aus dem Zweiten Weltkrieg in sein Wohnzimmer. Es ist eine Mischung aus Souvenirjagd, blinder Zerstörungswut und der Faszination für gesunkene Schiffe. Manche Tauchunternehmungen rücken den Wracks mit Schneidbrennern, Brecheisen und anderen Gerätschaften zu Leibe, knacken die Boote wie eine Nuss und nehmen skrupellos raus, was geht – als wäre ein Wrack ein Selbstbedienungsladen.

Was sind das für Tauchunternehmungen?

Um das klarzustellen: Wir von der Kriegsgräberfürsorge haben kein grundsätzliches Problem mit Tauchfahrten zu Wracks – solange man einen respektvollen Abstand zu den Gebeinen der Toten hält. Die meisten Taucher halten sich daran, aber leider gibt es Ausnahmen. Einige Unternehmen bieten Tauchgänge in Schiffswracks an und verdienen gutes Geld damit. Das betrifft sowohl Anbieter in Deutschland als auch in den Anrainerstaaten von Nord- und Ostsee. Manche werben sogar damit, gefallenen Kriegern die letzte Ehre zu erweisen – zynischer geht es kaum. Dass da unten die Gebeine der Verstorbenen liegen, scheint Plünderern egal zu sein. Dabei sind diese Wracks Seekriegsgräber. Das ist so, als wenn Sie mit einer Schaufel zum nächsten Friedhof stapfen und drauflos graben, um zu schauen, was da so in den Gräbern liegt – ohne Rücksicht auf die Gebeine.

Legion Condor mit Wilhelm Gustloff in Hamburg
Das NS-Kreuzfahrtschiff "Wilhelm Gustloff", hier in Hamburg, wurde am 30. Januar 1945 vor der Küste Pommerns versenkt. Schätzungsweise 9000 Menschen starben. Aus dem Wrack haben private Taucher mittlerweile Bullaugen herausgeschnitten
© ullstein bild

Was ist denn noch übrig von den menschlichen Körpern, etwa in Wracks aus dem Ersten Weltkrieg?

Der Zustand der Körper kann sehr unterschiedlich sein, je nach Wassertemperatur, Salzgehalt und den Gegebenheiten an Bord. Aber wenn ein Taucher mir sagt, er habe in einem Wrack keine menschlichen Körper gesehen, sondern nur Schlamm, dann antworte ich: Der "Schlamm" ist menschliches Gewebe! Zum Teil stecken persönliche Gegenstände wie eine Armbanduhr in diesem vermeintlichen Schlamm. Auch Lederwaren wie Gürtel können lange erhalten bleiben. Jedenfalls dürfen die Gebeine von Wracktauchern nicht einfach beiseitegeschoben werden. Schon gar nicht dürfen Taucher einzelne Knochen aus den Skeletten rausreißen und mitnehmen. Auch das passiert leider. Die Souvenirjagd kennt keine Grenzen. Dabei muss die Totenruhe auch unter Wasser gewährleistet sein.

Von den ethischen Gesichtspunkten abgesehen: Sind solche Tauchfahrten in die Wracks eigentlich erlaubt?

Die Wracks haben einen Besitzer: die Bundesrepublik Deutschland. Unabhängig davon, wo ein historisches Wrack liegt, ist es Eigentum der Bundesrepublik. Und wie überall auch, sollte man einen Besitzer zunächst um Erlaubnis fragen, bevor man sein Eigentum betritt. Ganz abgesehen davon, begeben sich diese Leute auch in Gefahr: Manche Wracks sind mit Außentorpedos bestückt, in anderen befinden sich Seeminen oder Phosphormunition.

Das Schiff General von Steuben in einem Sonogram im Vergleich mit dem Wrack
Das Wrack des 1945 versenkten Flüchtlingsschiff "General von Steuben" liegt vor der polnischen Küste. Forschende setzen auch Sonar ein, um Wracks aufzuspüren. Oben: der Umriss des Wracks, das per Sonar erfasst wurde. Unten: die Original-Silhouette des Schiffs
©  Artur Grządziel / Department of Navigation and Hydrography / Faculty of Navigation and Naval Weapons / Polish Naval Academy

Wie erfahren Sie von geplünderten Wracks?

Zum Beispiel von Unterwasserarchäologen, die die Wracks offiziell untersuchen. Außerdem nehmen sowohl deutsche als auch ausländische Behörden mit uns Kontakt auf, wenn sie etwas von verdächtigen Tauchgängen mitbekommen. Und schließlich ziehe ich viele Informationen aus dem Internet: Überraschend häufig werden geplünderte Gegenstände aus Wracks im Netz gepostet, manche Anbieter kündigen Tauchfahrten sogar vorher an. In solchen Fällen nehme ich Kontakt zu den Behörden im entsprechenden Land auf.

Was macht die Kriegsgräberfürsorge?

Als humanitäre Organisation sucht und identifiziert der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. die deutschen Kriegstoten aus den Weltkriegen. Er hat im Auftrag der Bundesregierung die Aufgabe, die Toten zu bergen und würdig zu bestatten sowie Angehörige ausfindig zu machen. Gegründet wurde die gemeinnützige Organisation 1919, um nach den zahllosen deutschen Kriegstoten des Ersten Weltkrieges zu suchen, ihre Gräber zu erfassen und zu pflegen. Von 1946 an legte der Volksbund mehr als 400 Kriegsgräberstätten in Deutschland an. Heute betreut er mehr als 830 Kriegsgräberstätten in 46 Staaten, auf denen rund 2,8 Millionen Kriegstote bestattet wurden.

Wie lassen sich Wracks besser schützen?

Der Schutz hängt von der Zusammenarbeit mit örtlichen Behörden ab. Das klappt bei manchen Ländern besser, etwa bei klassischen "Seefahrernationen" wie Großbritannien, wo man von Natur aus anders mit dem Thema Seekriegsgräber umgeht. Bei anderen Staaten ist noch etwas Luft nach oben. Die wichtigste Schutzmaßnahme zu Beginn ist daher die Erfassung von Seekriegsgräbern: Weil die Plünderungen überhand genommen haben, sind wir dazu übergegangen, die Gräber erstmals zu verzeichnen. 

Ub-57
Im April 2025 entdeckte ein Unterwasserarchäologe vor der belgischen Küste das Wrack des deutschen U-Boots "SM UB-57". Es wurde am 14. August 1918 versenkt 
© Tomas Termote

So spät? 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg?

Bislang haben wir uns vor allem auf Gräber an Land konzentriert, denn dort sprechen wir von Millionen noch unbestatteten Kriegstoten. Derzeit bin ich dabei, mit einem kleinen Team alle deutschen Seekriegsgräber zu lokalisieren – und da der Seekrieg vor allem im Zweiten Weltkrieg überall tobte, finden sich praktisch in jedem Meer der Welt auch deutsche Wracks. 

Was heißt denn "erfassen" genau?

Wir halten fest, wo die Wracks genau liegen und prüfen dann: Sind damals Menschen zu Tode gekommen? Wurden die Leichen geborgen? Wurde das Wrack vielleicht sogar gehoben? Bislang haben wir weltweit 1350 Kriegsgräber erfasst, und das ist erst der Anfang. In den letzten Kriegsmonaten des Jahres 1945 wurden allein in der Ostsee mehr als 400 Schiffe und Boote versenkt. Ich schätze die Gesamtzahl der Seekriegstoten im Ersten und Zweiten Weltkrieg auf 250.000 – die meisten davon waren zivile Opfer. Vor uns liegt also viel Arbeit, die uns über Jahre beschäftigen wird.