Er ist ein Symbol der Großzügigkeit, dieser nette ältere Herr mit weißem Bart, dessen Lebenssinn ist, Kinder auf der ganzen Welt zu beschenken. Man muss den Weihnachtsmann einfach lieben, oder? Im Dijon der frühen 1950er-Jahre sehen das nicht alle so, vor allem nicht die frommen Katholiken in der ostfranzösischen Bischofsstadt. Der junge Vikar Jacques Nourissat hält "Père Noël", wie er auf Französisch heißt, sogar für gefährlich.
Für ihn und andere Geistliche ist der Weihnachtsmann nichts anderes als ein Ketzer, ein heidnischer Usurpator, der im Begriff ist, sich des christlichen Weihnachtsfestes zu bemächtigen. Überall macht sich der Mann im roten Mantel breit, obwohl ihn doch die Evangelien mit keinem Wort erwähnen: in den Einkaufsstraßen, wo die Geschäfte mit ihm werben, aber auch – was noch schlimmer ist – in den Schulen.
Der moderne Weihnachtsmann kommt aus den USA
In einem Punkt haben die Konservativen durchaus Recht: Der Weihnachtsmann, zumindest in der Form, in der er nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich populär wird, ist ein Neuankömmling. Die gutmütige Figur, wie wir sie heute kennen, entsteht im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten (unter tatkräftiger Mithilfe des deutsch-amerikanischen Karikaturisten Thomas Nast). Doch das rechtfertigt natürlich nicht, was Jacques Nourissat und seine Mitstreiter planen.
Am 23. Dezember 1951 versammelt der Vikar rund 250 Kinder und Jugendliche auf dem Platz vor der Kathedrale von Dijon. Sie sollen einer symbolischen Hinrichtung beiwohnen. An diesem Nachmittag wird eine drei Meter große Weihnachtsmannpuppe an das eiserne Kirchentor gehängt – und in Brand gesetzt. Rauch wallt auf, Flammen verschlingen Père Noël. Die Menge jubelt.
Nach dem Spektakel veröffentlicht der Klerus von Dijon ein Statement: "Der Weihnachtsmann ist den Flammen geopfert worden. Denn in Wahrheit kann die Lüge kein religiöses Gefühl in einem Kind wecken. Für uns Christen muss das Weihnachtsfest die Feier der Geburt des Heilands sein."
Die Verbrennung stiftet eine neue Tradition
Die Aktion sorgt in Frankreich, wo das Verhältnis zwischen Staat und Kirche seit der Französischen Revolution ohnehin ein empfindliches Thema ist, für eine heftige Debatte, weit über die Grenzen von Dijon hinaus. Überregionale Medien berichten über den Fall, das Bild des brennenden Weihnachtsmannes schmückt die Titelseiten der großen Magazine. Die Tageszeitung "France-Soir" warnt die Urheber der "unangebrachten Demonstration", dass ihre Tat zu "unvorhergesehenen Folgen" führen könnte. Und so kommt es auch.
Denn viele in Menschen in Dijon wollen die Provokation der Geistlichkeit nicht einfach so hinnehmen. Und deshalb feiert der Weihnachtsmann nur einen Tag später seine Wiederauferstehung. Auf Geheiß der Stadtverwaltung klettert ein als Père Noël verkleideter Feuerwehrmann auf das Dach des Rathauses. Eine neue Tradition ist geboren.
Weihnachtsmänner werden in Dijon natürlich nicht mehr verbrannt. Doch jedes Jahr am 24. Dezember erscheint Père Noël auf der 46 Meter hohen "Tour Philippe Le Bon" und seilt sich auf die "Place de la Liberation" ab, um dort – wie könnte es anders sein – Geschenke zu verteilen.