Astronomie Tiefe Einblicke in das Dunkle Universum: Weltraumteleskop erstellt gigantische 3D-Karte

Astronomie: Tiefe Einblicke in das Dunkle Universum: Weltraumteleskop erstellt gigantische 3D-Karte
© ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, CEA Paris-Saclay, image processing by J.-C. Cuillandre, E. Bertin, G. Anselmi; ESA/Gaia/DPAC; ESA/Planck Collaboration
Foto: ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, CEA Paris-Saclay, image processing by J.-C. Cuillandre, E. Bertin, G. Anselmi; ESA/Gaia/DPAC; ESA/Planck Collaboration
Seit acht Monaten beobachtet das Weltraumteleskop Euclid das Firmament, nun hat die ESA erstmals umfassende Daten veröffentlicht. Sie liefern mehr als nur schöne Sternenbilder: Euclid soll Dunkler Materie sowie Dunkler Energie auf die Schliche kommen

Euclid war ein Sorgenkind, von Anfang an. Schon der Bau des Weltraumteleskops verzögerte sich und kostete am Ende satte anderthalb Milliarden Euro. Dann überfielen russische Truppen im Februar 2022 die gesamte Ukraine, und der geplante Start mit einer russischen Sojus-Trägerrakete wurde undenkbar. Eine US-amerikanische Falcon 9 übernahm den Job. Doch als Euclid ein Jahr später endlich 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt Stellung bezog und bald darauf erste Testbilder nach Hause schickte, folgte der nächste Schock: Statt eines funkelnden Sternenhimmels waren weiße Schlieren auf schwarzem Grund zu sehen, statt gestochener Schärfe nur Wischiwaschi.

Um sein Versprechen zu erfüllen – Euclid soll den Nachthimmel schneller scannen als alle anderen Weltraumteleskope und trotzdem Details in großer Entfernung sichtbar machen –, braucht es für einzelne Bilder Aufnahmezeiten von bis zu zehn Minuten. Doch die Stabilisierungsautomatik, die die Euclid-Instrumente exakt in Position halten sollte, versagte. Aufatmen konnten die Forscherinnen und Forscher erst nach einem Software-Update, im November 2023 veröffentlichten sie erste Aufnahmen.

Bis zu 1000 Galaxien waren darauf zu sehen, und sie waren gestochen scharf. "Atemberaubend", nannte Missionsleiter Guiseppe Racca die Aufnahmen, mehr noch: "einen Meilenstein der Kosmologie!" Und Knud Jahnke, Instrumentenwissenschaftler im Euclid-Konsortium ergänzte: "Was wir mit Euclid in etwa sechs Jahren schaffen, würde mit dem James-Webb-Teleskop etwa 100 Jahre dauern."

Dunkle Materie und Dunkle Energie machen über 95 Prozent des Universums auf

Nach etlichen Tests und weiteren Software-Updates ging Euclid im Februar 2024 in den Routinebetrieb: Stück für Stück erschafft das Weltraumteleskop seither Einzelbilder der Himmelsbereiche rund um die Milchstraße. Zusammen ergeben sie die größte dreidimensionale Karte des Nachthimmels. Eine erste Kostprobe veröffentlichte die ESA am Dienstagabend. "Dieses atemberaubende Bild ist der erste Teil einer Karte, die in sechs Jahren mehr als ein Drittel des Himmels abbilden wird", sagt Valeria Pettorino, Euclid-Projektwissenschaftlerin. Es zeige nur ein Prozent der endgültigen Karte – und offenbare zugleich das Potenzial, das in Euclid steckt, um "neue Wege zur Beschreibung des Universums zu finden".

Gemeint ist vor allem Euclids Fähigkeit, Dunkle Materie und Dunkle Energie zu erforschen. Diese beiden, so postuliert es die heutige Lehrmeinung, machen über 95 Prozent unseres Universums aus. All die sichtbaren Sterne, Planeten und Nebel machen hingegen nur fünf Prozent aus.

Bislang ist es der Wissenschaft noch nicht gelungen, die mysteriösen Teilchen der Dunklen Materie zu vermessen. Dennoch ist sich die Mehrzahl der Physikerinnen und Physiker sicher, dass sie existieren. Ohne ihre Schwerkraft flögen die schnell rotierenden äußeren Sterne in Galaxien aus ihrer Bahn. Dunkle Materie hält die Sternenansammlungen zusammen und verleiht so dem Universum Struktur.

Dem entgegen wirken die Kräfte der Dunklen Energie. Sie zerren unsere Welt auseinander, kaum merklich und doch immer schneller. Doch was da unser Universum dehnt, ist weitgehend unverstanden. Euclid soll beide Phänomene aufspüren.

Euclid sucht nach Gravitationslinsen und vermisst Baryonische akustische Oszillationen

Mit dem Visible Instrument fängt das Teleskop sichtbares Licht ein, macht messerscharfe Aufnahmen entfernter Galaxien. Auf diesen Aufnahmen lässt sich der Gravitationslinseneffekt beobachten: Durchquert das Licht einer Galaxie auf seinem Weg zu Euclid große Masseansammlungen, wirkt deren Anziehungskraft wie ein Vergrößerungsglas, beugt und verzerrt das Licht auf seinem Weg. Von der Erde aus sind dann Ringe, Bögen oder gar Mehrfachbilder sichtbar. Sie sind Hinweise auf große Mengen Dunkler Materie. Eine Herausforderung bei der Methode: Die Verzerrungen, die Dunkle Materie hervorruft, sind minimal und lassen sich nur durch die statistische Analyse einer großen Anzahl an Datenpunkten erkennen. Genau darauf ist Euclid ausgelegt.

Um mehr über das Wirken der Dunklen Energie zu erfahren, vermisst Euclid Baryonische akustische Oszillationen. Das sind Schallwellen, die sich in der heißen, dichten Höllensuppe des jungen Universums ausbreiteten und knapp 400.000 Jahre nach dem Urknall einfroren. Die Wellenfronten in der Form gigantischer Blasen erstarrten zu Regionen hoher Materiedichte. Galaxien bildeten sich anschließend nicht überall im Universum gleich stark, sondern bevorzugt am Rand solcher kosmischen Blasen.

Gelb eingefärbt ist der Bereich des Nachthimmels, zu dem die ESA nun Euclid-Aufnahmen veröffentlichte. Er umfasst lediglich ein Prozent der späteren Karte und ist im Verhältnis zum Rest des Mosaiks 600-fach vergrößert
Gelb eingefärbt ist der Bereich des Nachthimmels, zu dem die ESA nun Euclid-Aufnahmen veröffentlichte. Er umfasst lediglich ein Prozent der späteren Karte und ist im Verhältnis zum Rest des Mosaiks 600-fach vergrößert
© ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, CEA Paris-Saclay, image processing by J.-C. Cuillandre, E. Bertin, G. Anselmi CC BY-SA 3.0 IGO

Waren die Blasen zunächst ähnlich groß, zerrte die Dunkle Energie im Laufe der Zeit an ihnen. Gelingt es den Wissenschaftlern und Forscherinnen, den Zustand der eingefrorenen Schallwellen zu verschiedenen Zeitpunkten der vergangenen zehn Milliarden Jahre zu vergleichen, erfahren sie möglicherweise etwas über die Wirkweise der Dunklen Energie in den jeweiligen Epochen.  

Insgesamt 70 Minuten lang muss Euclid dafür auf einen einzigen Ausschnitt des Himmels starren, Aufnahmen machen und Lichtspektren einfangen. Dann schwenkt das Teleskop weiter. Wenn Euclid diesen Prozess 40.000 Mal wiederholt hat, haben die über 2000 Forschenden des dazugehörigen Konsortiums genug Material für die vollständige Karte. Schon Ende 2029 soll es so weit sein. Vorausgesetzt, ihr Teleskop bleibt pannenfrei.