Maksim ist allein gekommen, wie an jedem 9. Mai seit Beginn des Krieges. Behutsam legt er eine rote Tulpe vor den Obelisken aus aschfahlem Beton. Er tritt fünf Schritte zurück, vergräbt seine linke Hand in der rechten, senkt den Kopf und schließt die Augen. Etwas abseits stehen drei alte Männer, sie ziehen an ihren Zigaretten und blasen Rauchwolken in die Luft. Und grüßen die vielen, die gekommen sind, um die im Zweiten Weltkrieg gefallenen sowjetischen Soldaten zu ehren.
Maksim verharrt regungslos. Er blickt nicht auf, als sich eine junge Familie zwischen ihn und den Obelisken schiebt, Grabkerzen anzündet und Selfies schießt. Maksim denkt an seinen Großvater, der für die Rote Armee gegen Hitlerdeutschland kämpfte und nur überlebte, weil er früh verwundet wurde. Der nach Kriegsende mit seiner Frau nach Narwa zog: in jene Stadt an der estnisch-russischen Grenze, in der Maksim im August 1990 geboren wurde. Die heute als östlichster Außenposten der Europäischen Union gilt. Und als mögliches Einfallstor für russische Soldaten und Panzer.