"Großartig, du hast dein Ziel für heute erreicht!", blinkt hellgrün auf dem Display des Schrittzählers oder der Smart Watch. Mit solchen Nachrichten belohnen Fitness-Tracker ihre Trägerinnen und Träger, wenn diese mindestens 10.000 Schritte pro Tag zurückgelegt haben.
Denn wer jeden Tag mindestens 10.000 Schritte läuft, bleibt fit und gesund, so das Versprechen. Viele Menschen strukturieren ihren Tag nach dieser magischen Fitnessgrenze, planen entsprechend lange Spaziergänge ein oder nehmen sich mehr Zeit für den Weg zur Arbeit, den sie dann zu Fuß zurücklegen, anstatt den Bus oder die Straßenbahn zu nehmen.
Laut des Statistik-Portals Statista benutzen 29 Prozent aller Deutschen Fitness-Tracker (Zahlen von 2019), Tendenz steigend. Was viele aber nicht wissen: Hinter der 10.000-Schritte-Regel steckt keineswegs medizinisch validierte Forschung, sondern schlicht ein sehr erfolgreicher Werbegag.
Japanische Firma erfand die 10.000-Schritte-Regel
Die viel beworbene Fitnessmarke der 10.000 Schritte entstand durch eine clevere Marketingkampagne zu den Olympischen Spielen 1964 in Japan. Die Firma Yamasa nutzte den Hype und brachte mit dem "Manpo-kei" (was so viel heißt wie "10.000-Schritt-Zähler") den ersten transportablen Schrittzähler auf den Markt.
Diese hohe Anzahl der zurückgelegten Schritte sei äußerst gesund und der Ausdruck eines gesunden Lebensstils, warb Yamasa. Wissenschaftliche Studien oder medizinische Untersuchungen brauchte der Hersteller für diese Einschätzung offensichtlich nicht.
Wenngleich die Formel wissenschaftlich nie belegt wurde, setzte sich diese willkürlich gesetzte Grenze über die Jahre trotzdem durch. Der Werbe-Bluff etablierte sich zu einer allgemeingültigen Empfehlung, selbst bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dass die Empfehlung einem cleveren Werbeversprechen entsprungen war, geriet hingegen in Vergessenheit.
Wissenschaftliche Untersuchungen haben in den vergangenen Jahren jedoch immer wieder Zweifel an der vermeintlich magischen Fitnessgrenze der 10.000 Schritte bekundet. Demnach könnten für viele Erwachsene schon weit weniger Schritte pro Tag ausreichen, um einen ähnlich positiven Effekt auf die Gesundheit zu haben.
Schon 7500 Schritte können reichen
Im Mai 2019 erschien im Fachblatt "Jama" eine Studie, deren Ergebnisse darauf hindeuten, dass bereits 7500 Schritte völlig ausreichen, um das Sterblichkeitsrisiko zu senken. Die Harvard Medical School hatte im Rahmen ihrer Studie 16.000 ältere Frauen aus den USA – das Durchschnittsalter war 72 Jahre – in Bezug auf ihr Sterberisiko und die zurückgelegten Schritte untersucht. Ergebnis: Die Frauen, die täglich mindestens 4400 Schritte taten, hatten nach vier Jahren ein geringeres Sterberisiko als weniger aktive Probandinnen, die nur 2700 Schritte zurückgelegt hatten. Der statistisch beobachtete Vorteil steigerte sich bis zu einer Grenze von 7500 Schritten. Alles, was jenseits dieser Grenze lag, machte keinen Unterschied bei der Lebenserwartung.
Fünf populäre Irrtümer über Fitness
Ein Manko der Studie: Ihre Aussagekraft ist begrenzt, weil sie nur an älteren Frauen durchgeführt wurde. Ob die vorgestellten Ergebnisse ebenso auf Männer oder jüngere Menschen zu treffen, ist unklar. Unstrittig ist dagegen, dass viel Bewegung grundsätzlich der Gesundheit zugutekommt.
Es gibt international weitere Studien, die regelmäßige körperliche Aktivität mit einem geringeren Krankheits- und Sterberisiko in Relation gesetzt haben. In einer großen schwedischen Studie von 2020 hatten Teilnehmende, die jeden Tag 4.500 Schritte oder mehr gingen, ein um 50 Prozent geringeres Risiko an Diabetes zu erkranken, als Teilnehmende, die weniger Schritte taten.
Und in einer 2022 veröffentlichten Metaanalyse wurden 15 Kohortenstudien aus Europa, Asien und Nordamerika mit fast 50.000 Probandinnen und Probanden ausgewertet. Ergebnis: Bei den Studienteilnehmern unter 60 Jahren wurden 8000 bis 10.000 Schritte täglich mit einem geringeren Risiko für einen frühzeitigen Tod in Verbindung gebracht. Die über 60-Jährigen brauchten für das gleiche Ergebnis sogar nur 6000 bis 8000 Schritte pro Tag.
Motivation durch Fitness-Tracker fragwürdig
Die motivierende Wirkung von Schrittzählern hingegen ist allerdings umstritten. Nicht immer scheinen die Geräte wie erhofft die Fitness zu stärken und das Gewicht zu senken. So zeigte eine im Fachjournal "Jama" veröffentlichten Studie im Jahr 2016, dass man mithilfe von Fitness-Armbändern nicht zwingend abnimmt: fast 500 junge Übergewichtige absolvierten im Rahmen der Studie eine Langzeitdiät und bekamen dazu Sportempfehlungen. Nach sechs Monaten erhielt die eine Hälfte der Probandinnen und Probanden zusätzlich Fitness-Armbänder, die einen zusätzlichen Bewegungsanreiz geben sollten.
Im Ergebnis speckte die Gruppe mit den Fitness-Armbändern allerdings etwa 3,5 Kilogramm weniger ab als die Vergleichsgruppe ohne Fitness-Tracker. Und längst nicht alle verloren durch den digitalen Helfer überhaupt an Gewicht.
Das Team um Prof. John M. Jakicic von der University of Kansas lieferte für diese Ergebnisse zwei mögliche Erklärungsansätze: Die Teilnehmenden bekamen durch die Rückmeldung des Fitness-Trackers den Eindruck, besonders aktiv gewesen zu sein und belohnten sich dafür mit leckeren Mahlzeiten. Oder das Fitness-Armband wirkte demotivierend, weil Trainingsziele zu oft verfehlt wurden. Wer häufig scheitere, werde schneller frustriert.
Intensität der Bewegung ist entscheidend
Viel wichtiger als die Anzahl der Schritte könnte für die Gesundheit ohnehin eine andere Messgröße sein: die Intensität der Bewegung. Denn wer fitter werden möchte, muss vor allem mit Belastung trainieren. Wer einfach "nur" geht, trainiert deutlich weniger als jemand, der joggt, radelt oder schwimmt.
Die WHO empfiehlt in ihrer weltweiten Leitlinie mindestens 150 Minuten moderate Bewegung pro Woche, sodass dabei das Herz-Kreislauf-System angekurbelt wird. Moderate Bewegung kann zügiges Gehen, Radfahren oder Schwimmen sein. Alternativ werden 75 Minuten Sport mit kräftiger Intensität wie Joggen oder Teamsport empfohlen.
Wer mehr tun möchte, um die Gesundheit und den Fitness-Level zu verbessern, sollte das Pensum jeweils verdoppeln – also pro Woche 300 Minuten Sport mit moderater Intensität oder 150 Minuten intensives Training. Alle, die diese Werte erreichen, verbessern laut der WHO die Leistung von Herz und Lunge, steigern die Muskelkraft und senken sogar das Depressionsrisiko – ganz ohne 10.000 Schritte oder Fitness-Tracker.