Medizin-Geschichte Von Einhornpulver bis Kokain: Kuriose Heilmittel, die es auch in deutschen Apotheken gab

Ein schwarz-weiß Foto einer Frau, die Kokain konsumiert
Anfang des 20. Jahrhunderts war Kokain ein gängiges Arzneimittel in Apotheken. Es galt als modernes Wunderheilmittel und wurde beispielsweise als lokales Betäubungsmittel gegen Schmerzen eingesetzt
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Stellen Sie sich vor, Sie betreten eine Apotheke: Zwischen vertrauten Kräutern und Tinkturen finden sich mysteriöse Substanzen wie getrocknete Mumie, Einhornpulver und Heroin. Was heute absurd klingt, gehörte im 19. und 20. Jahrhundert zum medizinischen Alltag

Während der letzten zwei Jahrhunderte wurden in der Medizin allerlei Wundermittel propagiert: Drogen, Gifte, Betäubungsmittel und heute schlichtweg bizarr erscheinende Substanzen. Die oft riskanten Nebenwirkungen der vermeintlichen Allheilmittel und Fortschritte in der medizinischen Forschung und Aufklärung führten schließlich dazu, dass viele dieser Mittel verboten wurden. Unsere Übersicht zeigt eine kurze Auswahl von historischen Kuriositäten aus deutschen Apotheken.

1. Quecksilberpräparate 

Quecksilber hat in der Alchemie und der Medizin eine lange Tradition. Bereits im 16. Jahrhundert galten Quecksilbersalze als Mittel der Wahl zur Behandlung von Syphilis. Diese Therapie führte letztlich jedoch zu einer gefährlichen Schwermetallvergiftung, die häufig tödlich endete. In den folgenden Jahrhunderten erkannte man die antiseptische Wirkung von Quecksilber, oft zur Behandlung von Geschwüren, Warzen, Windpocken, Leber- oder Lungenleiden. Der Nobelpreisträger Robert Koch empfahl zu Beginn des 20. Jahrhunderts Quecksilberlösung als Desinfektionsmittel in Krankenhäusern sowie zum Spülen von Wunden, Blase und Uterus der Patientinnen und Patienten. Auch dabei kam es weiterhin zu tödlichen Vergiftungen. Gegen Entzündungen und als Abführmittel konnte man noch bis ins frühe 20. Jahrhundert in Apotheken das Quecksilbersalz Kalomel kaufen, obwohl die toxische Wirkung von Quecksilber inzwischen bekannt war. Als Spermizid diente es in chemischen Verhütungsmitteln sogar noch bis in die 1990er-Jahre. 

2. Kokain und Heroin

Sowohl Kokain als auch Heroin waren Anfang des 20. Jahrhunderts gängige Substanzen in Apotheken und wurden oft als moderne Wunderheilmittel eingesetzt, auch bei Kindern. Kokain sollte Müdigkeit verhindern, galt als starkes Stimulans und fand als lokales Betäubungsmittel gegen Schmerzen Verwendung. 1898 vermarktete der Pharmakonzern Bayer Heroin als Allheilmittel. Es diente oft als Husten- oder Schmerzmittel sowie als Ersatz für Morphin, dessen starke Suchtwirkung bereits bekannt war. Die anfängliche Euphorie hielt jedoch nicht lange an. Beide Substanzen verursachten schnell psychische und physische Abhängigkeiten – und somit eine große Zahl von Drogenabhängigen. Als Nebenwirkungen traten unter anderem Nervosität, Schlaflosigkeit und Halluzinationen auf. Die gesundheitlichen Risiken führten schließlich zu einem öffentlichen und politischen Umdenken. Infolgedessen wurden die Substanzen in den 1930er–Jahren allmählich aus den Apotheken verbannt.

3. Bezoarsteine

Bezoarsteine liegen vor einem Glas
Bezoarsteine sollten vor vergifteten Getränken schützen und wurden vor dem Verzehr hineingetaucht
© Heidelberg, Deutsches Apotheken-Museum / BPK

Bezoarsteine können sich durch die Verklumpung von Haaren und anderen unverdaulichen Materialien im Magen einiger Tiere bilden. Man spricht deshalb auch von Magensteinen. Besonders häufig findet man Bezoarsteine in den Mägen von Wiederkäuern, wo sich Rückstände von Pflanzenresten verfilzen und große Steine bilden können. Traditionell wurden diese von Apotheken teuer verkauft. Und anschließend etwa zu Schmuckstücken verarbeitet, die man in ein Trinkgefäß tauchte. So sollten Bezoare vor allem gegen vergiftete Getränke schützen. Die Verwendung von Bezoar- oder Magensteinen galt schon im 19. Jahrhundert als veraltet, wurde aber vereinzelt trotzdem weiter praktiziert. Noch heute finden Bezoare in der traditionellen chinesischen Medizin Anwendung. 

4. Theriak

Theriak galt seit der Antike und bis ins 20. Jahrhundert als komplexes Universalheilmittel. Es bestand ursprünglich aus bis zu 300 verschiedenen Zutaten. Rezepte für Theriak wurden bereits 170. v. Chr. beschrieben. Es kam als vermeintliches Gegengift und für die Behandlung einer Vielzahl von Beschwerden zum Einsatz, darunter Fieber, Verdauungsstörungen oder Infektionen. Apotheker stellten Theriak oft selbst her, in medizinischen Lehrbüchern finden sich Rezepturen bis ins 19. Jahrhundert. Die "Pharmacopoea germanica" von 1882 gibt folgende Inhaltsstoffe an: Opium, Wein, Angelikawurzel, Wurzel der Aristolochia serpentariae, Baldrianwurzel, Meerzwiebel, Zitwerwurzel, Zimt, Kardamom, Myrrhe, Eisenvitriol und Honig. Auch heute noch wird der Glaube an die heilende Wirkung von Theriak in esoterischen Kreisen aufrechterhalten, es gibt jedoch keinen Nachweis der klinischen Wirksamkeit.

5. Einhornpulver

Noch Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in Apotheken ein Pulver namens Unicornu verum verkauft, das aus dem zermahlenen Horn von Einhörnern bestehen sollte. Es galt als universelles und wirksames Heilmittel gegen unterschiedlichste Gifte, gegen Pest und Fieber, und sollte die männliche Potenz steigern. Tatsächlich handelte es sich oft um das Horn von Narwalen oder den Stoßzähnen von Wollhaarmammuts. Eine Einnahme war aus heutiger Sicht zwar grundsätzlich nicht schädlich, hatte aber auch keine nennenswerte Wirkung. Der Handel mit Einhornpulver war jedoch ein lukratives Geschäft, teilweise wurde es mit dem Zehnfachen an Gold aufgewogen. Deswegen heißen auch heute noch einige Apotheken "Einhorn-Apotheke". 

6. Radiumhautcreme 

Ein schwarz-weiß Foto einer Frau vor einer Dose mit radioaktiver Hautcreme
Die Anwendung von Hautcremes, die beispielsweise mit Radium versetzt waren, sollte zu gesünderer und jünger wirkender Haut führen
© Science Photo Library / akg-images

Als Marie Curie das Radium entdeckte, galt Radioaktivität fortan als Heilkraft der Natur. Zahlreiche Produkte wie Lippenstifte, Seifen, Badesalze oder Schokolade wurden mit Radium oder anderen radioaktiven Elementen versetzt. Radithor, radiumhaltiges Wasser, sollte energetisierend wirken, radioaktive Zahncreme Bakterien im Mund bekämpfen, und Radium in Hautcremes versprach gesündere und jünger erscheinende Haut. Es brauchte Jahre, um die tödlichen Gefahren der Radioaktivität zu erkennen – und erste Todesopfer. Bis etwa Mitte der 1930er-Jahre waren die giftigen Produkte in Apotheken zu kaufen.

7. Mumia

Selbst Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte gemahlene ägyptische Mumie noch zum Sortiment mancher Apotheken. Unter dem Handelsnamen "Mumia vera aegyptiaca" verkaufte beispielsweise der Pharmakonzern Merck 1924 ein Kilogramm des schokoladenfarbigen Pulvers für zwölf Goldmark, auch ganze Köpfe wurden angeboten. Die Arznei war exotisch, teuer und sollte als magisches Allheilmittel gegen nahezu jede Krankheit helfen. Das Pulver wurde entweder geschluckt oder direkt auf Haut oder Wunde gerieben. Mumia als Substanz gehörte zum Konzept der Dreckapotheke, wobei oft ekelerregende oder abstoßende Zutaten wie menschliche und tierische Exkremente verwendet wurden. Dazu zählt beispielsweise auch die Eigenharnbehandlung, das Trinken oder die äußerliche Anwendung des eigenen Urins. Sie wird in der Naturheilkunde teilweise heute noch praktiziert, wobei weder Schädlichkeit noch Nutzen eindeutig geklärt sind.