Katzen und Hühner haben es, Eisbären, Kronenkraniche und Erdferkel auch: ein drittes Augenlid – die sogenannte Nickhaut (von lateinisch nictare für zwinkern). Bei Bedarf schiebt sich diese dreieckige Schicht aus Bindegewebe horizontal über die Hornhaut. Etwa zum Schutz vor herumfliegenden Staubpartikeln oder zum Befeuchten der Augen. Praktischerweise ist die Nickhaut transparent oder zumindest stark lichtdurchlässig, so dass Tiere auch dann noch sehen können, wenn sich die „Plica semilunaris“ schließt.
Und ja: Auch in unserem Auge findet sich – neben dem oberen und dem unteren Lid – ebenfalls das dritte Lid. Oder zumindest ein Überbleibsel davon. Ein genauer Blick in den Spiegel offenbart: Nasenseitig zeigt sich eine dünne, meist rosafarbene Hautfalte, die sich direkt neben dem kleinen Tränenhöcker im Augenwinkel über die Hornhaut spannt.
Es ist ein Relikt aus ferner Vergangenheit, als unsere äffischen Urahnen noch über eine funktionsfähige Nickhaut verfügten. Augenscheinlich wurde dieser zusätzliche Schutz im Laufe der menschlichen Stammesgeschichte obsolet. Und so bildete sich das dritte Lid mehr und mehr zurück. Heute hat es für uns keine Funktion mehr.

Unter den derzeit lebenden Primaten ist das dritte Lid bei einigen Arten jedoch noch immer mehr oder weniger stark ausgeprägt. Seine Augen vollständig bedecken kann zum Beispiel der Gewöhnliche Bärenmaki, ein rund 30 Zentimeter langer Vertreter aus der Familie der Loris, der nächtens in den Wäldern Kameruns und Nigerias durchs Geäst turnt.
Manche Vögel klappen ihr drittes Lid beim Fliegen zu
Viele Vögel sind besonders angewiesen auf das verschiebbare Schutzfenster vor der Hornhaut. Sie blinzeln teils in hoher Frequenz mit der Nickhaut, um so ihre Augen von Schmutzteilchen zu reinigen, die ihnen beim Flug entgegenwehen. Greifvögel schließen ihr drittes Lid auch immer dann, wenn sie ihren Nachwuchs füttern: eine Vorsichtsmaßnahme, um von den Schnabelspitzen der gierigen Jungen nicht an einer der empfindlichsten Stellen des Körpers verletzt zu werden.
Die Nickhaut von Hühnern, Geiern und anderen Vögeln ist mit einer komplexen Muskulatur versehen, die es ihnen ermöglich, rasch damit zu blinzeln. Mehr noch als Ober- und Unterlid nutzen sie ihr drittes Lid, um den Tränenfilm gleichmäßig auf dem Auge zu verteilen. Drüsen in der Nickhaut produzieren obendrein einen Teil der dafür benötigten Flüssigkeit.

Eisbären wiederum dient die Nickhaut in der rauen Arktis als Schneebrille. Seekühe und Biber klappen ihr drittes Lid zu, sobald sie ins Wasser tauchen. Seelöwen dagegen lassen es über ihr Auge schnellen, wenn sie aus dem Meer an den Strand robben, über den zahllose Sandkörner pusten.
Warum wir Menschen noch immer einen Nickhautrest unser Eigen nennen dürfen, ist bislang nicht bekannt. Doch es ist nicht das einzige – wahrscheinlich entbehrliche –Rudiment aus der Stammesgeschichte. So erinnert unser Steißbein an die Schwanzwirbelsäule aus grauer Vorzeit. Der Blinddarm mit Wurmfortsatz ist der recht kümmerliche Rest eines einst großen Darmanhanges, der schwer verdauliche Nahrung aufzuschließen vermochte. Und auch die Muskeln rund um unsere Ohren haben, eigentlich, ausgedient: Sie stammen aus einer Zeit, in der unsere Ururahnen ihre Lauscher noch in etliche Richtungen bewegen konnten.