Erfahrungsbericht Ehemaliger Konsument über das Kiffen: "Cannabis wird total unterschätzt"

Protokoll: Elisabeth Hussendörfer
Die Meinungen über die Teillegalisierung von Cannabis gehen auseinander 
Die Meinungen über die Teillegalisierung von Cannabis gehen auseinander 
© KERMALO/REA / Laif
Der erfolgreiche YouTuber und Fitness-Influencer Tim Gabel berichtet, wie er durch einen Joint in eine schleichende Abwärtsspirale geriet, warum er eines Tages die Notbremse zog und wie er die Gefahren regelmäßigen Cannabis-Konsums heute bewertet  

Ich bin seit jeher  ein kontrollierter Mensch. Mit 15 war ich jeden Tag im Fitnessstudio. Andere in meinem Alter gierten nach Fast Food, ich aß Früchte, Haferflocken und Reis. Ich habe nicht geraucht, keinen Alkohol getrunken, Süßigkeiten waren die Ausnahme. Als Fitness-Youtuber wäre ich mit einem nachlässigen Lifestyle nie so weit gekommen.

Bei einer New-York-Reise habe ich zum ersten Mal gekifft. Ich war 21 und mit Freunden unterwegs. Wir redeten stundenlang, liefen einfach durch die Straßen, das war in diesem Zustand unfassbar schön. Als hätte jemand auf den Lachknopf in meinem Hirn gedrückt. "Wie kriegst du das bloß hin, so diszipliniert zu sein?", war ich davor oft gefragt worden. Wie können die nur so locker mit ihrem Leben umgehen?, hatte ich andersrum gerätselt. Das Erlebte sollte in New York bleiben, nahm ich mir vor.

Ein Jahr später, nach der Trennung von meiner damaligen Freundin, kiffte ich erneut. Es war Sommer, jeden Abend traf ich mich jetzt mit Freunden im Park oder im Wald. Die Joints machten die Welt zu einer Wundertüte. Wieso wuchsen Blätter in diesem Winkel? War das bei allen Blättern gleich? Ich recherchierte und wälzte Bücher. Biologie, Physik. Nichts war mehr selbstverständlich. Begeistert begann ich alles zu hinterfragen. Auch beruflich, in meinen Videos, gab mir das einen Kreativitätsschub. Anfangs jedenfalls.

Das Außen blieb die perfekte Fassade – trotz morgendlichen Dauerkaters

Dann kam der Herbst, und ein Lebensgefühl drohte zu enden. Keiner meiner Kumpels hatte mehr Ferien, viele mussten jetzt wieder länger arbeiten, die abendlichen Treffen blieben aus. Erst habe ich krampfhaft nach sozialen Anlässen fürs Kiffen gesucht, schließlich rauchte ich jeden Abend, auch wenn ich allein war.

Mein Außen blieb die perfekte Fassade: Ich machte weiter Sport und baute die Produktionsfirma aus, mit der ich mich selbstständig gemacht hatte. Den morgendlichen Dauerkater und dass ich kaum noch schlief, konnte ich kaschieren. Drei Jahre lang, bis ich ahnte, dass das nicht länger gut gehen würde. Ich beschloss, nur noch wegzukiffen, was da war, und dann aufzuhören. Seitdem weiß ich: Cannabis wird total unterschätzt.

Zwei Wochen lang hatte ich heftige Kopf- und Gliederschmerzen, schwitzte nachts so stark, dass ich jeden Abend drei Laken zum Wechseln bereitlegte. Meine durch das Rauchen vorübergehend gedämpfte innere Anspannung kam mit Wucht zurück. Einmal habe ich in der Wut sogar eine Tür zerschlagen.

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Als ich körperlich durch den Entzug durch war, wurde ich rückfällig. Ich nahm mir vor, den Konsum gezielt zu steuern und auf die Wochenenden zu begrenzen. Doch das Kiffen wurde immer exzessiver. Vor zweieinhalb Jahren bin ich umgekippt. Ich hatte Herzrasen, Brustschmerzen – ein Infarkt? Mein Arzt stellte eine Panikattacke fest.

Rückblickend bin ich meinem Körper dankbar, dass er mir deutlich ein Zeichen gesetzt hat. Geraucht habe ich nie wieder. Allerdings kommen die Panikattacken weiterhin, zweimal im Monat etwa. Inzwischen sorge ich für einen Ausgleich in meinem Leben. Ich meditiere, gehe viel an die frische Luft, mache Wechselduschen. Anstelle eines Joints genieße ich jetzt meine Tasse Kaffee am Morgen.

Zuerst erschienen in GEO Wissen Nr. 78 (2022)