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Arbeitswelt Wie die richtige Work-Life-Balance gelingt

Work Life Balance
Die entgegengebrachte Wertschätzung entscheidet in vielen Fällen darüber, wie glücklich wir an der Arbeitsstelle sind
© GaudiLab / shutterstock
Der Stellenwert des Berufs hat sich in den letzten Jahren für viele Menschen enorm verändert. Die Soziologin Kerstin Jürgens erklärt, worauf es ankommt, damit wir im Job zufrieden sind

GEO WISSEN:Frau Professorin Jürgens, Arbeit macht einen bedeutenden Teil unseres Lebens aus. Muss man sich dabei selbst entfalten können, um Glück zu finden? Oder kann man auch eine monotone Tätigkeit als zufriedenstellend erleben?

Prof. Dr. Kerstin Jürgens: Monotone Arbeit wird den facettenreichen Fähigkeiten der Menschen auf Dauer nicht gerecht und ist deshalb kritisch zu sehen. Sie ist nur deshalb produktiv, weil der Mensch ein sehr anpassungsfähiges Wesen ist. Er ist in der Lage, auch monotone Arbeit als zufriedenstellend und sinnstiftend zu deuten.

Entscheidend für die Bewältigung monotoner Arbeit sind die Ansprüche an Arbeit: Ist mir Abwechslung nicht so wichtig, komme ich besser klar – ein gutes Betriebsklima oder eine beson­dere Bezahlung können ja durchaus kompensierend wirken. Oft fallen aber in der Realität monotone Arbeit und schlechte Arbeitsbedingungen zusammen. Die Beschäftigten dort sind also doppelt negativ betroffen.

Großen Einfluss hat auch die gesellschaftliche Bewertung von Arbeit. Gilt eine Tätigkeit als besonders wertvoll oder produktiv, stellt sich leichter Stolz auf die eigene Leistung ein. Wenn also eine Busfahrerin Tag für Tag die gleichen Strecken abfährt, dann hat sie nicht viel Abwechslung, aber erweist vielen Menschen einen wichtigen Dienst. Wird das von der Gesellschaft anerkannt, erhöht das die subjektive Zufriedenheit. Was in der Gesellschaft Wertschätzung erfährt, ist allerdings Ergebnis eines permanenten Aushandlungsprozesses.

Richten wir heute höhere Ansprüche an unsere Erwerbsarbeit als früher?

Durchaus. Spätestens seit den 1980er Jahren haben sich Werte mehr in Richtung Selbstverwirklichung verschoben: Das Leben sollte nun mehr bieten als nur Fleiß und Disziplin. Die Nachkriegsgenerationen bezogen Zufriedenheit noch aus dem Umstand, dass sie endlich in friedlichen Zeiten lebten und eine gesicherte Existenz aufbauen konnten. In den jüngeren Generationen verbreitete sich hingegen der Wunsch nach Zeit für anderes im Leben, nach individueller Entfaltung – und das strahlte auch auf die Erwerbsarbeit aus. Die Arbeit sollte nicht mehr bloß der Existenzsicherung dienen, sondern mehr bereithalten, Spaß machen. Interessanterweise haben die Arbeitgeber schnell erkannt, dass sie von dieser Haltung enorm profitieren können. Denn es entwickelte sich nicht etwa eine geringere, sondern eine stärkere Leistungsorientierung.

Wie kam das?

Die Menschen definierten sich viel stärker über ihre Leistung und identifizierten sich mit dem Betrieb, dem Produkt und dem, was sie taten. Die Leistungsbereitschaft nahm also zu, gerade weil man mehr Freiraum in der Arbeit bekam und mitgestalten konnte.

Können Beschäftigte da nicht in Gefahr geraten, ihr Lebensglück zu sehr von ihrem Job abhängig zu machen?

Je enger man mit der Arbeit verbunden ist, desto härter trifft es einen, wenn es dort zu Konflikten kommt oder es an Wertschätzung durch andere fehlt. Grundsätzlich aber ist es ja positiv, sich mit etwas zu beschäftigen, aus dem man Glück bezieht. Das Problem ist viel eher, dass es gar nicht so leicht ist, genau eine solche Arbeit zu finden, die gut zu einem passt, zu den Wünschen, Erwartungen und Fähigkeiten. Und viele Jobs bieten nicht besonders viele Optionen für Glück bei der Arbeit.

Was ist der Hauptgrund dafür?

Meistens hat das mit einem Mangel an Wertschätzung zu tun. Und diese Wertschätzung wiederum bezieht sich auf ganz unterschiedliche Dimensionen. Zum Beispiel die Entlohnung, die in vielen Branchen unangemessen niedrig ist. Denken Sie etwa an Berufe aus der Pflege. Oder aber man hat das Gefühl, die eigene Entlohnung ist im Vergleich zu der anderer ungerecht. Frauen zum Beispiel erhalten nach wie vor für die gleiche Arbeit sehr oft ein niedrigeres Entgelt als Männer.

Was gehört noch zu einer guten Wertschätzung?

Vor allem das Zwischenmenschliche. Die respektvolle Kommunikation untereinander, auch die Anerkennung durch Vorgesetzte. Und die Leistungspolitik im Unternehmen: Vielfach haben Erwerbstätige den Eindruck, die Ziele werden so hoch gesteckt, dass sie nicht zu erreichen sind. Erlebt der Einzelne aber wiederholt ein Scheitern, ist das folgenreich. Es befördert Demo­tivation und Leistungsabfall. Daher ist eine ausgewogene Leistungspolitik wichtig, um im Arbeitsprozess Glück im Sinne von Selbstwirksamkeit erfahren zu können.

Kerstin Jürgens
Prof. Dr. Kerstin Jürgens von der Universität Kassel ist Expertin für Veränderungen in der modernen Arbeitswelt
© Franz Bischof

Wann funktioniert Wertschätzung in einem Unternehmen besonders gut?

Insbesondere dann, wenn die Leitungsebene und Vorgesetzte respek­tieren, dass sie es mit Menschen mit unterschiedlichen individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen zu tun haben. Wenn Führungskräfte die Talente der Beschäftigten erkennen und gezielt fördern. Denn so ist sichergestellt, dass die Arbeitsaufgabe und der Arbeits­einsatz zusammenpassen. Wertschätzung läuft dann optimal, wenn sich der Arbeitsplatz und die berufliche Laufbahn mit den Veränderungen des Menschen mit entwickeln, also Perspektiven öffnen. Letztlich – das zeigt die Forschung – kommt das auch den Betrieben zugute: Die Krankenstände bleiben niedrig, die Beschäftigten leistungsmotiviert.

Wie steht es um die reine Arbeitszeit, gibt es ein Pensum, das Menschen besonders glücklich macht?

Die Zufriedenheit mit der Arbeitszeit hängt von individuellen Vorlieben und den Erwartungen an Arbeit ab: Es gibt Menschen, die sich extrem verausgaben, die auch am Wochenende arbeiten oder ihren Urlaub nicht voll in Anspruch nehmen – aber trotzdem sehr zufrieden sind. Sie ziehen Anerkennung und Sinnstiftung aus ihrer Tätigkeit und sind trotz langer Arbeitszeiten nicht unzufrieden. Entscheidend ist aber, wie frei­willig dieses Leistungspensum ist und wie lange es anhält. In der heutigen Arbeitswelt ist der Druck oft hoch, die Personaldecke häufig zu dünn. Auf Hochleistungsphasen folgen oft keine ruhigeren Zeiten mehr. Nun ist aber nachgewiesen, dass ein dauerhaft exzessiver Arbeitseinsatz und der Verzicht auf Pausen nicht nur die Zufriedenheit beeinträchtigen, sondern langfristig auch die Gesundheit. Kommen also Familie, Freundeskreis und die Erholung dauerhaft zu kurz, kann das Glück schwinden, auch wenn die Arbeitsaufgabe die gleiche bleibt.

Wie wichtig ist eine strikte Trennung zwischen Arbeit und Freizeit für die Lebenszufriedenheit?

Das kommt auf die Arbeitsbedingungen, die Lebensform und die Einstellung zur Arbeit an. Wer eine fremdgesteuerte, wenig erfüllende Arbeit ausübt, der wird eher eine klare Trennung von Arbeit und Freizeit bevor­zugen. Freizeit am Stück und ein verlässlicher Feierabend können dann als Kraftquellen dienen. Wer ohnehin sehr selbstbestimmt arbeitet, wird eine flexible Verteilung bevorzugen, zum Beispiel mit Arbeitsunterbrechungen über den Tag hinweg. Dabei kommt dann aber oft eine län­gere Erholungszeit zu kurz, und ohnehin sind Überstunden ein Problem, weil viele Menschen länger als gewünscht arbeiten.

Bei selbstbestimmter Arbeit wird die Trennung zwischen Beruf und Freizeit weniger wichtig

Wie viele Überstunden fallen in Deutschland pro Jahr an?

Man geht von 1,1 Milliarden aus, von denen mehr als die Hälfte nicht bezahlt werden. Die tatsächlichen Arbeitszeiten in Deutschland liegen deutlich höher als die tariflich vereinbarten Arbeitszeiten. Und diese tariflichen Arbeitszeiten sind immer noch höher als die von vielen eigentlich gewünschten Arbeitszeiten. In der Zeitfrage spiegelt sich der Widerstreit zwischen erwerbsbezogenen und lebensweltlichen Interessen. Für kapitalistische Gesellschaften ist dieser Konflikt typisch.

Im Zuge von Automatisierung und Digitalisierung, so die Voraussagen mancher Forscher, wird in Zukunft die Menge der zu erledigenden Arbeit abnehmen. Ist das nicht eine Aussicht, die den Wünschen der Menschen nach mehr Freizeit entgegenkommt?

Eigentlich ja, aber das hängt dann von der Verteilung der Erträge ab. Algorithmen, Robotik und selbstlernende Systeme dringen in alle Bereiche vor; sie nehmen uns Entscheidungen ab und können menschliche Arbeitskraft ersetzen. Viele Menschen blicken deshalb sorgenvoll in die Zukunft, weil unklar ist, ob es sie selbst trifft – und weil sich die Politik in diesen Fragen noch sehr zurückhält. Angst ist jedoch ein schlechter Nährboden für Glück und Zufriedenheit. Digitalisierung muss aber nicht zwingend mit radikalem Arbeitsplatzabbau verbunden sein. Mit jedem Strukturwandel, das zeigt der Blick in die Geschichte, entstehen auch neue Beschäftigungsfelder. Und die Rationalisierungseffekte könnten durchaus auch der Allgemeinheit zugute kommen, etwa durch eine einkommensneutrale Arbeitszeitverkürzung für alle.

Angenommen, im Job wächst mir alles über den Kopf und ich bin nicht mehr glücklich. Kann eine Auszeit helfen?

Auszeiten fördern die Gesund­erhaltung und Lebenszufriedenheit. Der Zugang zu Sabbaticals ist jedoch hürdenreich und zudem ungleich verteilt. Beschäftigte im Niedriglohn­bereich können eine Auszeit finanziell nicht stemmen. Andere können den Wunsch nach einem Sabbatical beim Arbeitgeber schlicht nicht durchsetzen – denken Sie etwa an befristet Beschäftigte. Und selbst gut positionierte Beschäftigte scheuen den Schritt, weil sie befürchten, als unmotiviert zu gelten und aufs firmeninterne Abstellgleis zu geraten.

Verschiebt eine Auszeit nicht nur das Problem? Immerhin beginnt nach dem Sabbatical im Zweifel die gleiche Arbeit wie zuvor.

Das schon, aber man löst die Aufgaben mit neuer Kraft, hat mitunter andere Umgangs- und Lösungsweisen parat, hat die Haltung zu den Dingen verändert oder möglicherweise auch die Entscheidung getroffen, den Arbeitsplatz zu wechseln. All dies ist hilfreicher als in der vorherigen Situation zu verharren. Letztlich profitieren auch die Unternehmen und die Gesellschaft insgesamt, weil sich Verschleiß oder Erwerbsunfähigkeit vermeiden lassen.

Steht die zunehmende Arbeitsverdichtung, die seit etlichen Jahren die Regel ist, einem guten Leben im Weg?

Durch die technischen Innovationen erfährt das Arbeits-, aber auch das Privatleben eine enorme Beschleunigung. Unterbrechungen und intensive Arbeitsphasen gab es schon immer, aber heute müssen wir viel mehr Informa­tionen verarbeiten als früher; selbst in Besprechungen wird gleichzeitig oft noch gelesen und gemailt. Ein ungesundes Multitasking. Werden wir permanent unterbrochen und nehmen uns nicht die Zeit, in einer Aufgabe – und das kann auch eine handwerkliche Arbeit sein – gedanklich zu versinken, dann erreichen wir nie jenen glücksspendenden Zustand, den die Psychologie als „flow“ bezeichnet: die Verschmelzung mit der Arbeit, das sich ganz und exklusiv auf etwas Einlassen. Manchmal lassen es die Umstände nicht zu, oft aber haben wir es selbst in der Hand, ob das gelingt.

Sollte man also immer mal wieder die Bürotür schließen?

Das wäre ein guter Anfang, aber auch das E-Mail-Programm und das Mobiltelefon sollten öfter mal ignoriert werden. Die digitalen Assistenzen helfen uns, aber binden auch Aufmerksamkeit. Sie erschweren es dann, das Arbeitsergebnis zu erreichen – und das erzeugt dann in der Folge wieder Druck oder auch Ärger mit anderen und macht so letztlich wieder unzufrieden.

Braucht der moderne Arbeitnehmer einen eigenen Schreibtisch – oder sind Sharing-Modelle, die zunehmend beliebt werden, genauso praktikabel?

Viele Unternehmen lösen Büros auf und schaffen Arbeitszonen, die die Beschäftigten nach Bedarf anwählen, nur mit ihrem Laptop unterm Arm. Das soll vor allem die Kommunikation verbessern, es gehen aber Rückzugsräume verloren. Beschäftigte in solchen Modellen fühlen sich oft stärker als zuvor kontrolliert. Dass ihnen kein eigener Ort mehr zuerkannt wird, stößt bei vielen auf Unverständnis. Werden Beschäftigte nicht an der Entwicklung solcher Raumkonzepte beteiligt, empfinden sie dies als Ignoranz und mangelnde Wertschätzung seitens des Unternehmens. Die Einführung solcher Konzepte kann dann ins Gegenteil umschlagen, also zu Demo­tivation und einem Absinken der Leistung.

Gibt es bestimmte Branchen, für die das in besonderem Maße gilt?

Das denke ich nicht. Ganz gleich, ob man ein Verlagshaus betrachtet, ein Versicherungsunternehmen oder eine Firma, die Spielwaren herstellt: Es sind Orte, an denen Menschen gemeinsam etwas schaffen, sie erfahren sich als Teil einer Gemeinschaft. Entscheidend ist das Empfinden, seinen Platz zu haben: Hier gehöre ich hin, ich bin nicht völlig austauschbar. Das tut jedem gut und wirkt sinnstiftend. Bislang ist das in den Büroberufen stark an den konkreten Platz gekoppelt; jeder Wandel will also gut bedacht sein.

Dennoch werden die Vorzüge von Flexibilität mittlerweile in vielen Unternehmen so stark betont.

Natürlich hat jede Form von Flexibilität Vorteile, sie provoziert aber auch Konflikte und unerwünschte Effekte, wenn sie einseitig nur den betrieblichen Belangen statt auch den Interessen von Beschäftigten folgt. Neue Technologien erhöhen die Flexibilität, weil man von jedem erdenklichen Ort aus arbeiten kann. Man kann auf Informationen zugreifen oder an Besprechungen, dann virtuell, teilnehmen. Dadurch entsteht dichte Kooperation, aber nicht immer auch Nähe und Verbundenheit, die noch immer viel von physischer Präsenz abhängt. Das muss nicht so bleiben, aber bislang werden das Wohlbefinden und das Vertrauen zueinander noch stark davon geprägt.

Heißt all dies letztlich: Die modernen Mittel und Wege schaffen eine gewisse Oberflächlichkeit?

Jedes Unternehmen muss sich fragen: Wie stelle ich die Leistungsfähigkeit der Belegschaft sicher? Wer auf Fachqualifikationen angewiesen ist, erkennt deshalb schon heute die Zufriedenheit der Beschäftigten als ökonomischen Vorteil. Die Arbeitswelt kennt aber auch andere Zustände und Segmente, wo das Prinzip der Ersetzbarkeit vorherrscht.

Welche Momente während des Arbeitens machen Sie persönlich besonders glücklich?

Das sind Augenblicke, in denen durch meine Arbeit Verbindungen zu anderen Menschen entstehen. Das kann in Diskussionen mit Studierenden der Fall sein oder auch in intensiven Debatten nach einem Vortrag. Genauso aber auch, wenn ich allein am Schreibtisch sitze. Dann ist es die Verbindung mit der Sache: Ich begreife einen Zusammenhang oder habe dazu eine neue Idee. Das macht mich glücklich.

Lesen Sie das gesamte Interview mit Prof. Dr. Kerstin Jürgens in GEO WISSEN "Wer bin ich".

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