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Nachlass Wie sich der Streit ums Erbe verhindern lässt

Nachlass
Für viele Angehörige ist das Erbe ein Weg, ein Stück eines bestimmten Menschen zu erhalten. Gestritten wird daher meist um Kleinigkeiten – Großmutters Brosche, Notizen, Bilder. Sollen Erinnerungsstücke in ganz bestimmte Hände gelangen, ist ein Testament unabdingbar
© elmue / photocase
Ein Nachlass entfacht oft Konflikte, die schon lange in der Familie schwelen, aber nie offen ausgetragen wurden. Wie lässt sich verhindern, dass es unter Hinterbliebenen beim Erbe zum Zerwürfnis kommt? Ein Gespräch mit Testamentsvollstrecker und Mediator Stephan Konrad

Herr Konrad, Sie helfen Menschen, die nach einem Todesfall in einen Erbstreit geraten. Worum geht es bei diesen Auseinandersetzungen?

Ich versuche in meinen Gesprächen mit Betroffenen immer, zu deren Gefühlen vorzudringen. Denn die stehen meist, mal verschleiert, mal offensichtlich, im Mittelpunkt des Konflikts. Zwar handelt es sich nicht um eine Therapie, aber der Effekt kann durchaus ähnlich sein: Menschen beginnen, sich selbst oder die Beziehung zu jemand anderem besser zu verstehen, setzen sich mit einer lang verdrängten Empfindung auseinander oder finden einen neuen Umgang miteinander.

Ich frage beispielsweise die Zerstrittenen häufig: Was müssten Sie tun, damit Sie sich alle völlig überwerfen – damit der Streit also gänzlich eskaliert? Dann fangen die Betroffenen an zu grübeln, feixen, lachen.

An diesem Punkt beginne ich, nach möglichen Auswegen zu fragen. Denn nur eine Lösung, die die Betroffenen selbst gefunden haben, ist wirklich trag­fähig. Deshalb kann am Ende eines solchen Gesprächs ein Ergebnis stehen, das das Gesetz gar nicht vorsieht.

Können Sie ein Beispiel nennen?

In einem Fall haben sich die Erben um eine Bibliothek gestritten. Nach dem Gesetz hätte es nur eine gerichtlich durchsetzbare Möglichkeit gegeben: Alle Bücher werden versteigert, das Geld fällt in den Nachlass und wird nach Quoten verteilt.

Aber im Kern ging es den Streitenden gar nicht um das Geld, sondern um die Erinnerungen, die sie mit den Büchern verknüpften.

Deshalb haben sie folgende Lösung gefunden: Jeder durfte sich zehn Bücher greifen, immer reihum, bis die Bibliothek leer war. In welcher Reihenfolge sie wählten, entschied das Los. Bei der Verteilung feilschten die Erben um die Bücher, blätterten gemeinsam, erinnerten sich an den Verstorbenen – und kamen sich so wieder näher.

In einem anderen Fall stritten sich die Erben um einen Orden des Verstorbenen. In der Mediation legten sie einen genauen Plan fest, wer das Ehrenabzeichen wie lange besitzen darf. Nun geht es in der Familie herum wie ein Wander­pokal, und jeder ist froh, es eine Weile anschauen zu dürfen.

Gilt die Faustregel: je wertvoller das Erbe, desto heftiger die Auseinander- setzungen?

Meist sind es eher Kleinigkeiten, um die erbittert gestritten wird: die Brosche der Großmutter, ein Taufkleid, ein Geschirr. Auch um Mobiliar wird heftig gekämpft oder um das Elternhaus, in dem die Kinder einst gemeinsam aufgewachsen sind. Denn der Wert kann sehr unterschiedlich eingeschätzt werden. Dann heißt es: Du bekommst die Sache, aber ich erhalte dafür mehr Geld. Manchmal geht es aber auch um völlig wertlose Alltagsgegenstände, um gebrauchte Elektrogeräte etwa oder eine Kuchenform.

Weshalb ist es vielen Menschen derart wichtig, wer einen bestimmten Teil des Nachlasses erhält?

Für die Hinterbliebenen haben diese oft einfachen Dinge einen ideellen Wert – Juristen sprechen von „Affektionsinter­esse“. Es geht bei einem Nachlass ja nicht allein darum, dass Besitz von einem zum anderen wechselt. Vielmehr ist das Erbe für viele ein Weg, gewissermaßen ein Stück eines bestimmten Menschen zu erhalten, über den Tod hinaus.

In Schweden heißt es: „Wenn Gott mit dem Tod kommt, dann kommt der Teufel mit den Erben.“ Denn eine Erbschaft ist für eine Familie oft eine Zerreißprobe. Was der Patriarch einst erlassen hat, kann Wirkung über Generationen haben: für Kinder, Enkel, Urenkel. Es gibt rechtlich zulässige Mechanismen, mit denen Verstorbene eine Familie über Jahrhunderte hinweg gewissermaßen knebeln können.

Zum Beispiel kann man verfügen, dass ein Haus über lange Zeit nicht verkauft werden darf und nur an einen Blutsverwandten zu vererben ist. Dann hat die Familie einen Besitz, der sie ewig belastet, weil vielleicht entsetzliche Erinnerungen damit verbunden sind – und wird ihn doch nicht los.

Bietet das Erbe deshalb Grund für Streit?

Oft sind es viel profanere Anlässe, die das Verhältnis von Erben zerrütten. Die Beteiligten wollen zum Beispiel nicht wahrhaben, dass der Nachlass geringer ist als erwartet: „Wo ist der Rest?“, fragen sie. Dann gerät oft jene Person ins Visier, die den Verstorbenen in der letzten Lebensphase betreut hat und vielleicht eine Vorsorgevollmacht mit bestimmten Zahlungsberechtigungen hatte.

Manchmal folgen die Erben auch nur der blanken Gier. Doch meist ist der Streit um den Nachlass ein Stellvertreterkrieg. Da wird um eine Sache oder Geld gerungen – der eigentliche Konflikt aber liegt woanders.

Stephan Konrad
Der Bielefelder Testamentsvollstrecker Stephan Konrad ist Fachanwalt für Erbrecht und zertifizierter Mediator
© Paula Merkert

Was bedeutet das?

Die Wurzeln eines Erbschaftsstreites liegen meist in den Lebzeiten des Verstorbenen. Nach dem Tod bricht ein Konflikt hervor, der vielleicht niemals offen aus­getragen wurde, aber schon lange in der Familie schwelt. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, um Rache zu üben und an­dere zu erniedrigen. Zum Beispiel für ­eine andauernde ungerechte Behandlung: „Du bist immer Papas Liebling gewesen“, heißt es dann vielleicht, „und ich war das schwarze Schaf!“ Jetzt wird die Ungerechtigkeit ausgeglichen!

Ich habe einmal zwischen einem Bruder und einer Schwester vermittelt. Der Mann sollte eine Firma erben, die Frau hatte lange vorher schriftlich darauf verzichtet. Nun wollte sie doch einen Anteil. Aber eigentlich stritten sie um etwas anderes. Er war der Ansicht: „Sie ist ein egoistisches Luder, hat nie arbeiten und die Firma unterstützen wollen.“ Sie dagegen: „Ich wollte immer, aber man hat mich nie gelassen.“

Wie kann man seinen Nachlass so regeln, dass es möglichst zu keinem Streit unter den Erben kommt?

Erst ein Testament vermag die gesetzliche Erbfolge außer Kraft zu setzen und ermöglicht es, das Erbe frei zu gestalten. Will man etwa Freunde, Kollegen, nichteheliche Lebenspartner oder gemein- nützige Organisationen bedenken, muss man daher ein Testament aufsetzen. Dabei kommt es allerdings auf Feinheiten an, in denen man sich als Laie leicht verirren kann. Juristisch gibt es zum Beispiel einen Unterschied zwischen Erbschaft und Vermächtnis.

Erbschaft bedeutet: Eine oder meh­rere Personen übernehmen alle Rechte und Pflichten des Verstorbenen. Zum Beispiel formuliert man: „Ich setze meinen Sohn als Erben ein“. Ein Vermächtnis ist ein definierter Anspruch. Zum Beispiel: Die Tante erhält den Schmuck, der Nachbar erhält 0,5 Prozent des Barver­mögens. Die Erben sind dann verpflichtet, das verfügte Vermächtnis auszuhändigen. Wenn man diesen Begriffsunterschied beachtet, kann man schon viel Ärger vermeiden.

Dies ist eine stark gekürzte Fassung. Das ganze Gespräch lesen Sie in der GEOkompakt-Ausgabe "Wie wir mit dem Tod umgehen". Das Heft können Sie hier im GEO-Shop bestellen.

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