Physikerin "Die Quantengravitation könnte uns mehr über Anfang und Ende des Universums verraten"

Physikerin: "Die Quantengravitation könnte uns mehr über Anfang und Ende des Universums verraten"
© Timothy Budd
Die vierdimensionalen Simulationen der Raumzeit lassen sich nicht visualisieren. Aber auch schon die zweidimensionalen Varianten wirken fremd und abstrakt
 
Timothy Budd
Was erwartet uns, wenn wir Raum und Zeit bis ins Kleinste erforschen? Renate Loll simuliert das auf ihrem Computer – und kommt zu überraschenden Einsichten

Die Welten, die Renate Loll auf ihrem Rechner simuliert, sind äußerst fremdartig. Bizarre mehrdimensionale Formen, deren Oberfläche wild fluktuiert, als sei sie eine übersteuerte Lautsprechermembran. Die brodelnden Geometrien stellen Raum und Zeit unseres Universums dar. 

Loll simuliert die Raumzeit in extremen Situationen: bei hohen Energien und in extrem kleinen Raumeinheiten, in Grenzbereichen also, die sich unserer Erfahrung entziehen – und die wir doch allzu gerne beobachten würden. Ein solcher Extremfall ist der Urknall. Dort verlieren die Begriffe Raum und Zeit ihre Alltagsbedeutung. Was geschieht dabei mit ihnen? Diesem Mysterium will Loll mit ihren Simulationen ein bisschen näherkommen. 

Die Theoretische Physikerin, die an der Radboud-Universität Nijmegen in den Niederlanden lehrt, forscht zu einem der wohl schwierigsten Bereiche ihres Fachs: der Quantengravitation. In ihm versuchen Physiker*innen seit Jahrzehnten, die beiden größten Theorien der Physik – Allgemeine Relativitätstheorie und Quantenphysik – zu einer einzigen Theorie zu verschmelzen.

Renate Loll
Die Theoretische Physikerin Renate Loll lehrt an der Radboud-Universität Nijmegen in den Niederlanden. Die gebürtige Aachenerin gehört zu den Wegbereiterinnen der "Kausalen Dynamischen Triangulation", einem Forschungsansatz in der Quantengravitation
© Renate Loll

Grob umrissen beschreibt die Allgemeine Relativitätstheorie die großen Strukturen im Universum: Raum und Zeit und Gravitation. Die Quantenphysik wiederum erklärt den Mikrokosmos: die Elementarteilchen und die im Atom wirkenden Kräfte. Für sich allein funktionieren die beiden Theorien jeweils atemberaubend gut, beschreiben sie doch nahezu alle sichtbaren Phänomene in unserem Universum. Doch wo sie aufeinanderstoßen, liefern sie widersprüchliche oder unsinnige Vorhersagen. Um auch diese Bereiche zu verstehen, so glauben viele Physiker*innen, müssen Raum und Zeit – und damit auch die Schwerkraft – neu gedacht werden. Womöglich zeigt sich dann, dass sie selbst aus etwas Fundamentalerem entstehen, für das wir noch keine Worte haben.

GEO: Frau Loll, Quantenphysik und Relativitätstheorie erklären nahezu alles, was wir auf der Erde und im Weltraum beobachten. Warum geben wir uns damit nicht zufrieden? 

Renate Loll: Weil es noch zu viele blinde Flecken gibt. Wir wissen, dass Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie nur in einem beschränkten Bereich gilt. Für ganz kleine Größenordnungen, wo Quanteneffekte auftreten, ist sie schlicht nicht gemacht, beispielsweise im Inneren Schwarzer Löcher oder im Urknall. Das legt nahe, dass die Relativitätstheorie nicht die grundlegendste Theorie der Natur ist. Ohne solch eine Theorie werden wir aber weder den Anfang noch das Ende des Universums verstehen können.