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Aphantasie "Ich vergesse, wie ich aussehe" – ein Autor über sein Leben ohne Vorstellungskraft

Viele Menschen erinnern sich in Bildern und denken in Stimmen. Merlin Monzel schreibt Fantasy-Bücher, kann sich aber nichts vorstellen: keine Szenen, keine Geräusche, nicht mal das eigene Gesicht
Gehirn Konzeptbild mit 2 unterschiedlichen Gehirnhälften
Aphantasisten denken in Fakten. Eine kreative Seite können sie trotzdem haben. Merlin Monzel etwa schreibt Fantasy-Romane 
© Lisa Alisa / Getty Images

Für Merlin Monzel ist es schwierig, von seinem letzten Urlaub zu erzählen. Er weiß von einer Radtour durch Österreich, mit seiner Freundin sei er jeden Tag ungefähr 40 Kilometer von Dorf zu Dorf gefahren. Abends seien sie wohl essen gegangen. "Aber ich wüsste weder, was ich gegessen habe, noch wo wir essen waren, noch wie es da aussah." Der Anblick der Berge, der Geruch der Wälder, die Rufe der Tiere? "Das ist alles weg." 

Der Grund für die verlorenen Erinnerungen heißt Aphantasie. Merlin Monzel ist nicht in der Lage, sich Sinneswahrnehmungen ins Bewusstsein zu rufen. Soll er sich einen Apfel vorstellen, erscheint vor seinem geistigen Auge: nichts. Seine fehlende Vorstellungskraft lässt autobiografische Erinnerungen verschwinden, sogar die an sich selbst. Vor zwei Wochen sei in seiner Wohnung der Badezimmerspiegel zerbrochen, erzählt er. "Da ist mir aufgefallen: Ich vergesse, wie ich aussehe, wenn kein Spiegel da ist."

Aphantasie betrifft rund vier Prozent der Bevölkerung. Erst 2015 erschien eine Studie, die dem Phänomen einen Namen gab. Es tritt in unterschiedlichen Varianten auf. Einige Betroffene können sich zwar keine Bilder vorstellen, können jedoch ihre Gedanken hören und sich die Stimmen ihrer Mitmenschen vorstellen. Bei anderen ist es umgekehrt: Ihnen fehlt lediglich die innere Stimme. Monzel hat eine globale Aphantasie. Egal ob Bilder, Gerüche, Geräusche oder Geschmäcker: "Ich kann mir gar nichts vorstellen."