GEO: Ihr wart sechs Jahre lang unterwegs, jedes Jahr für ein paar Wochen und immer in den Sommerferien, während andere Urlaub in der Toskana machten. Wie oft habt ihr daran gedacht, das Ganze abzubrechen?
Hugo Pedder: Einmal standen wir kurz davor. Jeder einzelne Tag war anstrengend. Es war ein feuchter Sommer, und die Mücken setzten uns zu. Wir marschierten nur vom Fluss in den Wald, sofort waren wir von Schwadronen von Moskitos umschwirrt. Und das Holz, das wir zum Feuermachen sammelten, war nass – da wurde alles doch sehr stressig. Und man denkt sich, ist es wirklich das, was wir in unserem Sommerurlaub machen wollen?
Ben Andrews: In Jahr drei bin ich so oft in den Fluss gefallen, dass ich fast nicht mehr konnte. Aber es gab auch viele grandiose Momente. Zum Beispiel die gelebte Gastfreundschaft der Menschen links und rechts des Flusses, die war einfach immer wieder klasse.
Hattet ihr mit so viel Freundlichkeit gerechnet?
Ben Andrews: Sie hat mich wirklich überrascht. Und ich habe darüber nachgedacht, dass wir selber gastfreundlicher sein sollten. Ich komme aus London, und, nun ja, wir sind nicht gerade als die gastfreundlichsten Menschen der Welt bekannt.
Hugo Pedder: Wir hatten eigentlich eher vermutet, dass wir vielleicht etwas bedrohlich oder seltsam wirken könnten. Manchmal tauchten wir in den Gärten der Menschen auf, die entlang des Ufers wohnten. Und zwar so: mit seltsamer Ausrüstung, mit Knieschützern, die wir immer auf dem Floß trugen, mit komischen Schuhen, zudem oft völlig durchnässt. Und dann klopfst du bei den wildfremden Leuten an die Tür, in einer ziemlich abgelegenen Gegend. Aber anstatt sich bedroht zu fühlen, waren sie einfach freundlich und gelassen. Nicht das, was wir erwartet hatten.
Was, wenn ihr euren Trip mit dem Europaletten-Floß auf der Themse gemacht hättet?
Ben Andrews: Die Polizei hätte uns wahrscheinlich verhaftet!
Davon wart ihr in Schweden zum Glück weit entfernt.
Ben Andrews: Ja, im Gegenteil, ich erinnere mich an einen Tag, an dem es stundenlang regnete und wir die ganze Zeit paddeln mussten, weil der Fluss so träge war. Bei einer Pause trafen wir ein nettes Paar, das uns hereinbat und uns Himbeer-Schokoladen-Torte servierte. Außerdem durften wir die Sauna benutzen, uns wurde Wein vorgesetzt der zu den besten zählte, die ich bis heute getrunken habe. Das macht für mich ein Abenteuer aus: Man geht durch ein bisschen Härte, um die guten Zeiten wirklich schätzen zu lernen, in denen man die einfachen und angenehmen Dinge des Lebens genießen kann.
Was war der beängstigendste Moment?
Hugo Pedder: Das Schlimmste war es nie, wenn das Floß bereits auf einer Stromschnelle tanzte, sondern kurz bevor wir das Wildwasser erreichten. Dann jagten uns Gedanken durch den Kopf: Welche Linie peilen wir an? Wie richten wir das Floß aus? Was passiert, wenn wir sie nicht im richtigen Winkel treffen? Wie schlimm wird es sein? Das bereitet einem ein flaues Gefühl im Magen. Hatten wir aber einmal entschieden, eine Stromschnelle auf bestimmte Weise zu nehmen, übernahm immer die Konzentration, der Fokus, und die Angst trat in den Hintergrund.
Seht ihr euch als Helden?
Ich würde nicht sagen, dass wir heldenhaft waren. Wir hatten eine gute Zeit und haben das Abenteuer so weit wie möglich ausgereizt, aber es war nicht wie bei Ernest Shackleton oder Robert Falcon Scott. Wir haben eine britische "Durchhalten und Zähne zusammenbeißen"-Mentalität an den Tag gelegt, und das hat uns geholfen.
Wer ist überhaupt auf die Idee mit der irren Floßfahrt gekommen?
Ben Andrews: Hugo, den ich auf einer Expedition in der Arktis kennengelernt hatte. Er war der einzige Mensch, der verrückt genug war, eine solche Sache anzugehen. Es gab keinen wirklichen Plan, nur die Idee, auf dem Fluss ein bisschen Rafting zu machen.

Der Film zum Interview lässt sich bei der aktuellen "European Outdoor Filmtour" anschauen, die auf rund 400 Events in ganz Europa läuft.
Und dann seid ihr nach Schweden, habt ein Floß aus Paletten und Kanistern zusammengezimmert und seid einfach losgeschippert?
Hugo Pedder: Das Ziel, ans Meer zu gelangen, haben wir anfangs noch gar nicht ins Auge gefasst. Wir wollten nur einen Rafting-Trip machen, bauten uns ein Floß zusammen und tauften es "Melissa". Und es schwamm tatsächlich, wir saßen auf dem Ding, tranken Bier, trieben ein bisschen herum. Irgendwann fingen wir an zu paddeln und dachten: Wow, da haben wir aber ganz schön Strecke gemacht! Bis wir feststellten, dass es gerade mal ein Kilometer war. Wir hatten damals keine klare Vorstellung, was daraus werden würde.
Und danach eskalierte die Geschichte?
Hugo Pedder: Ja, es dauerte definitiv viel länger als erwartet. Wir dachten, der Fluss würde ziemlich schnell fließen und uns rasch zum Meer transportieren. Aber uns fehlten genaue Daten. Für die mehr als 330 Kilometer hatten wir nur ein paar Wochen eingeplant. Und nicht mehrere Jahre.
Ihr kommt doch beide aus der Wissenschaft, könnt mit Zahlen umgehen. Wie konntet ihr so daneben liegen?
Hugo Pedder: Meine Schwester arbeitete damals in der Disziplin der Hydrologie, also der Gewässerkunde im weiteste Sinn, und besorgte uns eine Art hydrografische Karte des Flusses. Aber deren Daten sagten leider wenig darüber, wie schnell ein Baumstamm im echten Leben den Fluss hinuntertreiben würde, besonders angesichts der Stromschnellen, die eine Kalkulation erschweren. Die "Durchflussmenge" des Wassers ändert sich zudem jedes Jahr stark, und als wir starteten, war der Wasserstand sehr niedrig. Daher dauerte die Fahrt extrem lange.
Ben Andrews: Wir hatten auch überhaupt nicht realisiert, wie viele Stromschnellen unterwegs lauern. Alles, was wir hatten, war Google Maps, und das war vor zehn Jahren vermutlich noch etwas schlechter als heute. Wir sahen ein bisschen Wildwasser hier und dort. Also dachten wir, es gäbe etwa fünf große Stromschnellen. Aber insgesamt haben wir wohl über 50 gemeistert, einige davon so groß, dass wir das Floß auseinandernehmen und herumtragen mussten. Im Laufe der Jahre gewannen wir mehr Vertrauen, sowohl in die Fähigkeit des Floßes als auch in unsere Kompetenz, uns an Bord zu halten und "Melissa" in die richtige Richtung zu steuern. Aber man kann den Fluss nicht kontrollieren, man muss sich darauf einlassen, was er einem anbietet. Dazu gehört auch der Wind.

Welche Rolle spielt der Wind auf einem Fluss?
Ben Andrews: Der Vindelälven ist nicht immer wild, unterwegs strömt er auch mal ganz gemächlich durch Seen. Und wenn du mitten auf einen solchen See gepaddelt bist und der Wind nach zwei Stunden plötzlich auffrischt und dich zurückdrängt, ist das wirklich hart. War der Wind auf Dauer zu stark und blies beharrlich gegen unsere Fahrtrichtung, wichen wir ins Flache aus oder zogen das Floß sogar. Aber ich bin froh, dass wir das alles unterschätzt haben, denn es bedeutete mehrere Jahre voller Abenteuer. Und immer aufs Neue den Anreiz, nach Schweden zu reisen, "Melissa" zu reaktivieren und den nächsten Flussabschnitt anzupeilen. Hätten wir alles in einem Jahr geschafft, wäre es nicht dasselbe gewesen.
Und dann seid ihr dabei geblieben. Welche Fähigkeiten braucht man für so ein Projekt?
Hugo Pedder: Ich würde sagen, keine.
Ben Andrews: Man braucht einfach den Willen, 40 Mückenstiche auszuhalten und trotzdem zu lachen – das sind eher Verhaltensweisen als Fertigkeiten. Wir sind, so gerüstet, jetzt ziemlich kompetente Floßfahrer.
Hat die Reise eure Freundschaft verändert?
Hugo Pedder: Unsere Beziehung hat sich weiterentwickelt. Wir vertrauten uns zwar schon immer. Aber wenn man nur zu zweit ist und sonst niemand da, auf den man bauen kann, lernt man, sich wirklich auf den anderen zu verlassen. Als wir die größeren Stromschnellen angingen, mussten wir darauf vertrauen, dass einer von uns die richtige Entscheidung trifft und auch auf den anderen aufpasst. Das war entscheidend – und dieses enge Miteinander hat uns zusammengeschweißt. Ein wesentlicher Faktor dafür, dass wir es nach sechs Jahren bis zum Meer geschafft haben.
Würdet ihr das Ganze noch einmal durchziehen?
Beide: zu 100 Prozent!
Vielleicht das nächste Mal auf dem Sambesi oder Kongo-Fluss?
Na ja, wir sind keine großen Fans von Krokodilen. Aber wir haben darüber nachgedacht, wie cool es wäre, einen der großen Flüsse in Nordamerika zu befahren.