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  • Scilly Islands: Cornwalls Goldstücke

Scilly Islands Cornwalls Goldstücke

  • von Julia Großmann-Krieger
Am Happy-End der Welt: Der Golfstrom sorgt auf den Inselzwergen südlich von Cornwall für eine ausgefallene Botanik, die Abgeschiedenheit für wenig Besucher und Prinz Charles dafür, dass die Ursprünglichkeit nicht verloren geht
Panoramablick
Panoramablick
Leere Strände und ein toller Blick über Tresco. Jeder Hügel lohnt sich, schon allein wegen des Blickes, erklommen zu werden
© Hauke Dressler
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"Wer hier ankommt, ist am Ende der Welt einfach über den Rand gesprungen", sagt Julian Pearce beim ersten Frischgezapften des Abends. Seine grünen Gummistiefel drücken die Teppich-Blumenwiese des "Mermaid Inn" platt. Julian stammt vom Festland und ist vor 20 Jahren selbst über den Rand gehüpft. Tagsüber gibt er am Pier der Insel St. Mary’s geduldig Auskunft über Fährzeiten und Wanderwege oder sitzt in der Touristeninformation, je nachdem, wo seine Kenntnisse gerade gefragt sind. Abends belohnt sich der Aussteiger mit einem Pint im Pub. Eine Belohnung hätte auch ich verdient, findet er, und drückt mir ein Bier in die Hand, schließlich sei die Anreise ja strapaziös. Stimmt eigentlich: Knapp zwölf Stunden war ich unterwegs, über London und Newquay. Für die letzte Etappe hatte ich eine kleine Propellermaschine bestiegen. In meinen Ohren dröhnte der Motor, unter mir schäumte der Atlantik, hinter mir lag die Küste von Cornwall. Mit an Bord: zwölf weitere Passagiere und ein Hund. Die Tür zum Piloten – er trank Kaffee – stand offen. Und so flogen wir unterhalb der Wolkendecke den Isles of Scilly entgegen. Plötzlich erhoben sich dutzende Felsenriffe aus dem Meer wie eine Festung, gegen die sich der Ozean warf. Aufgescheucht von der Gischt, umkreisten Seevögel die Insel-Kuppen, um sich dann wieder niederzulassen, bis das Spiel mit der nächsten Welle von vorn begann. Und dann sprangen wir auch schon über den Rand, wie Julian es später im Pub nennen sollte. Denn kaum sind die Riffe passiert, kommt der Atlantik zur Ruhe. Der Meeresboden ist aus der Luft deutlich zu erkennen, das Wasser strahlt in Türkis, weiße Sandbänke ziehen sich hindurch. Grün leuchten die fünf bewohnten Inseln des Archipels, der aus 140 Einzelstücken besteht: Tresco, St. Martins, Bryher, St. Agnes – und St. Mary’s, mein erstes Ziel. Der Pilot reichte jedem beim Aussteigen die Hand, was wohl auch dazu beitrug, dass ich mich auf dieser Inselgruppe instinktiv geborgen fühlte.

Ein Gefühl, das Julian gut kennt, wie er mir am Abend beim zweiten Pint erzählt. Ein Urlaub auf den Scillys hatte ihm damals gereicht, um die Karriere auf dem Festland nicht mehr erstrebenswert zu finden. "Alles egal, Hauptsache, hier sein." Dann kam die Liebe hinzu, und beim nächsten Besuch blieb er. "Neulich bin ich mit meiner Frau nach der Arbeit einfach mit dem Boot raus, neben uns schwammen Delfine. Früher saß ich zu der Zeit noch im Pendlerzug und war völlig entnervt", sagt er. Die Isles of Scilly liegen zwar nur 45 Kilometer vor der südenglischen Küste, und doch sieht es hier aus wie am Mittelmeer. Stünde auf den Postkarten, die der Laden gegenüber dem Pub verkauft, Rhodos, würde keiner der Empfänger Zweifel hegen. Allein wer vor Ort ist, weiß, dass die Frische des Atlantiks nur selten ohne Neoprenanzug genießbar, dass eine Allwetterjacke unabdingbar und ein Lager mit Schaum hier der Cocktail mit Schirmchen ist. "Jede der Inseln hat ihren eigenen Charakter" wird ein zentraler Satz an diesem ersten Abend. Matt, der Farmer, Andrew, die Sportskanone, und Julien – alle sagen sie ihn auf. Schwer vorstellbar, misst der Archipel doch gerade mal 16 Quadratkilometer, was etwas kleiner ist als der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. St. Mary’s ist für alle Besucher der Ausgangspunkt. Die Hauptinsel erinnert am ehesten an die Staatszugehörigkeit der Scillys. Steinerne Cottages und Schlösser stehen zwischen Kuhweiden und goldenen Buchten. In den Cafés am Strand gibt’s zum Tee Gurkensandwich und Scones.

Gepflegte Häuserreihen säumen die wenigen Straßen von Hugh Town mit Plüschkitsch in den Fenstern. In einem Einfamilienhaus ist die Polizeistation des Archipels untergebracht. Fünf Mitarbeiter hat sie. Wenn die Cops gerade kein Robbenbaby retten oder Trunkenbolde trennen, überbrücken sie die Zeit damit, ihre Facebook-Seite zu bestücken, mit viel Wortwitz und Bildern der Wache-eigenen Katze. Ein Jobaufruf im vergangenen Jahr wurde zum viralen Hit (goo.gl/kSNnf6) und so zählt die Polizeistation mehr als 52 000 Fans, 23-mal mehr Menschen, als der Archipel Einwohner hat. Die Insel verfügt über den einzigen Fähr- und Flughafen des Archipels. Zweieinhalb Stunden fährt die Fähre "Scillonian III" jeden Morgen von der kornischen Hafenstadt Penzance bis nach St. Mary’s. Sie bringt neben Urlaubern alles, was benötigt wird: Kühe, Post, Zementmischungen. Die Propellermaschine pendelt täglich mehrmals zwischen Newquay, Exeter, Land’s End und St. Mary’s. Mehr Möglichkeiten, die Inseln zu erreichen, gibt’s nicht. Der Transport zwischen den Inseln ist bedeutend einfacher, vielleicht auch, weil die Insulaner ihn selbst organisieren. Handschriftlich werden die Abfahrtszeiten der Fährboote auf Tafeln notiert. Wer mit will, findet sich am Steg ein und hofft auf einen Platz. Nach zwei Tagen schon nerven mich der sehr überschaubare Inselverkehr und die dreiköpfige Rentnerbande vor mir am Geldautomaten. Ich bin bereit für eine kleinere Insel.

Die Haare peitschen mir ins Gesicht, während wir Sandbänke und Felsen umkurven. St. Martin’s haben wir bereits im Blick. Die weißen Linien am Horizont verwandeln sich nach und nach in breite Sandstrände, die sich in meterhohem Küstengras verlieren. Als wir nach zwanzig Minuten den Anleger von Lowertown erreichen, zeichnen sich zwei Silhouetten im Sonnenlicht ab. Meine Gastgeber Terry und Cheryl stehen dort, wo die reinkommende Flut bereits am Kai nagt. Gegen den Atlantikwind schützen sie sich mit Norwegerpullis, ihre braungebrannten Beine aber stehen knöcheltief im Meer. Feinster Sandstrand umgibt den Anleger. Schuhe und Socken sind schnell ausgezogen, der Sand ist warm von der Sonne. Ich laufe bis zur nächsten Kuppe, dahinter schließt sich mit Lawrence’s Bay ein weiterer Strand an, nicht weniger schön und ebenfalls menschenleer. "Insgesamt acht solcher Strände haben wir auf St. Martin’s", sagt Cheryl, während wir barfuß zum Auto stapfen. Mit dem Landrover meiner Gastgeber geht es auf Inselrundfahrt. Terry hat kaum Zeit, Middletown, den größten Ort der Insel, vorzustellen, da haben wir die Straße, an der zehn Cottages und eine knallrote Telefonzelle stehen, auch schon wieder verlassen. Als Sehenswürdigkeiten zeigt mir Cheryl die Bäckerei und das wenige Reben umfassende Weinanbaugebiet. Hinter Hasenglöckchen und Fingerhut eröffnet sich auf einer Anhöhe das Postkarten- Panorama von St. Martin’s. Die Strände Little und Great Bay strecken die Sandfinger nach einander aus. Wiesen, von keltischen Steinmauern und Wildblumen durchkreuzt, mustern das Inselinnere. In einem Wintergarten am Straßenrand wird hinter Muschelketten der Tee für das Nachmittagskränzchen aufgegossen. Müßiggang beherrschen die meisten der rund 2200 Scillonians, doch auf St. Martin’s scheint man ihn perfektionieren zu wollen. Jeder nimmt sich Zeit für einen Plausch am Straßenrand, auch die Tagesbesucher lassen sich davon anstecken. Bei einem Spaziergang spreche ich mit Keith über die anderen Inseln, mit Anna darüber, wo es am Abend Live-Musik gibt, und Bob erzählt mir, dass es sein 20. Sommer auf den Scillys ist. Dann geht jeder seines Wegs, bis der nächste Gesprächspartner auftaucht.

Unser Ausflug endet nach rund 20 Minuten am preisgekrönten Imbiss des Archipels. In "Adams Fish & Chips" kommt auf den Teller, was Besitzer Adam Morton am Tag gefangen hat, meist Dorsch oder Hummer. Am nächsten Morgen nimmt er mich mit aufs Meer. Täglich tauscht er bei Sonnenaufgang die Kochschürze und das selbsterbaute Restaurant gegen eine gelbe Allwetterhose und ein selbstgezimmertes Boot. Dann bleibt Adam so lange auf dem Wasser, bis er genügend Fang für die Reservierungen am Abend gemacht hat. Während die Angelleine ausliegt, kontrolliert er seine Hummerfallen. Mit einem Glucksen verschwindet ein Exemplar wieder unter der Wasseroberfläche, es folgen drei Artgenossen, die Adam auch zurück ins Meer wirft. "Alle zu klein", sagt er. Dann ein Prachtstück. Blau schimmernd prangt der Hummer in seiner Hand. Hunderte schwarze Eier beflaggen den Unterleib. Er zückt das Messer. Adam ritzt zwei kleine Dreiecke in den unteren Panzer und entlässt das Weibchen wieder in die Fluten. "Das ist unsere Form von Umweltschutz. Kein anderer Fischer kann diesen Hummer in den nächsten drei, vier Jahren auf dem Markt verkaufen. So lange dauert es, bis die Markierung rausgewachsen ist, und so lange kann sie für Nachwuchs sorgen", erklärt Adam. Die Größe der Hummer, die er fangen darf, und das Abkommen, trächtige Weibchen ein paar Jahre zu schonen, um so die Hummerpopulation rund um die Scillys zu sichern, haben die Fischer per Handschlag ausgemacht. Adam steht mit geduldiger Zuversicht in der Kapitänskabine, denn er weiß: Auch heute wird er seine Gäste satt bekommen. Da zuckt auch schon die Angelleine.

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